Neuropathische Schmerzen bessern sich nicht durch einfache Analgetika der WHO-Stufe 1. Was hilft den Betroffenen?
Schmerzen haben recht unterschiedliche pathophysiologische Grundlagen. Liegt die Schmerzursache in den Schmerzrezeptoren des Gewebes (den Nozizeptoren) begründet, so klassifizieren wir den Schmerz als Nozizeptorschmerz.
Ist die Ursache dagegen eine Läsion im Nervensystem, sprechen wir von neuropathischen Schmerzen. Sie entstehen, wenn schmerzleitende oder -verarbeitende Neurone im peripheren oder zentralen Nervensystem beeinträchtigt werden. Die Ursache kann daher im gesamten Verlauf der peripheren Nerven, des Rückenmarks oder des Gehirns (und dort typischerweise im Thalamus oder Parietalhirn) liegen.
Im Alltag selten
Von der phänomenologischen Ausprägung her unterscheiden wir zwei Arten neuropathischer Schmerzen: Neuralgien und neuropathische Dauerschmerzen. Bei den Neuralgien schießen Schmerzen typischerweise für Sekunden ein. Dieser Sekundenschmerz kann von vernichtender Intensität sein.
Ein Beispiel ist die Trigeminusneuralgie. Neuropathische Dauerschmerzen treten in sehr unterschiedlichen klinischen Szenarien auf, zum Beispiel:
Schmerzen bei Polyneuropathie etwa bei Diabetikern oder beim chronischem Alkoholabusus
Schmerzen nach Querschnittslähmung
Schmerzen nach Schlaganfall
Schmerzen bei Multipler Sklerose (meist Herde im Thalamus oder Parietalhirn)
Phantomschmerzen nach Amputation einer Gliedmaße, Brust usw.
Somatische Nozizeptorschmerzen sind alltäglich (wenn man sich in den Finger schneidet), ebenso wie viszerale Nozizeptorschmerzen (wenn man sich den Magen “verdirbt”). Auch neuralgiforme Schmerzen (wenn man sich den “Musikantenknochen” anstößt) kommen manchmal im normalen Leben vor.
Daher haben die meisten Ärzte eigene Erfahrungen mit diesen drei Schmerzarten und können sich gut in ihre Patienten hineindenken. Schwieriger wird dies bei neuropathischen Dauerschmerzen, die eigentlich nur bei krankhaften Zuständen auftreten. Die Betroffenen beschreiben diesen Schmerz daher für andere, die sie noch nicht erlebt haben, teilweise bizarr anmutend, zum Beispiel als “brennend wie Feuer” oder “wie Tiere unter der Haut”.
Skalen zur Schmerzerfassung
Schmerzerfassung hält sich auch bei neuropathischen Schmerzen an das Paradigma, dass nur derjenige den Schmerz gut beurteilen kann, der ihn erleidet. Alle üblichen Skalen kommen zum Einsatz, etwa die Numerische Rangskala NRS (Schmerz wird in der Stärke vom Patienten von null bis zehn eingeordnet) oder die verbale Rangskala VRS (Schmerz wird Begriffen wie leicht, mittelstark, sehr stark usw. zugeordnet).
Sie ersetzen aber nicht die empathische Annäherung an den betroffenen leidenden Menschen. Bei verbal oder vom Bewusstsein her eingeschränkten Patienten muss in einer suchenden Haltung nach der Vielfalt von Ausdrucksformen von Schmerzen gefahndet werden.
Etablierte Skalen für Demenzbetroffene (zum Beispiel BESD), schwer neurologisch Erkrankte (zum Beispiel ZOPA) oder Menschen mit geistiger Behinderung (zum Beispiel EDAAP) können unterstützend hinzugezogen werden.
Bei neurologisch Erkrankten sind neuropathische Schmerzen besonders häufig. Bei Schädigung einer schmerzspezifischen Gehirn- oder Rückenmarksregion sprechen wir von zentral neuropathischen Schmerzen. Typischerweise sind anatomische Strukturen erkennbar, etwa der Schmerz einer Körperhälfte bei Schädigung einer Hirnhälfte oder ein querschnittsförmiges Muster bei Schädigung des Rückenmarks.
Typische Schmerzcharaktere sind brennende Dauerschmerzen, neuralgiform einschießende Sekundenschmerzen oder eine Mischung beider Charakteristika. Tumorpatienten sind oft durch Druck des Primärtumors oder der Metastasen auf umgebendes Nervengewebe betroffen. Es handelt sich dabei in der Regel um peripher neuropathische Schmerzen, da periphere Nervenfasern komprimiert werden.
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