Neue Ansätze zur Behandlung der schubförmigen MS (RMS) bestehen nicht nur in der Eingrenzung der Autoaggressivität des Immunsystems. Darüber hinaus nehmen sie seine grundsätzliche Korrektur ins Visier.Das wurde auf den wichtigsten Fach-Kongressen mit MS-Schwerpunkt, der Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN) in Philadelphia, dem Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Oslo und den Kongressen des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) in Paris, Berlin und Stockholm deutlich.
Bei allem Respekt vor dem Erfolg der neuen Therapien sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, dass der weitaus überwiegende Teil der MS-Patienten Frauen im gebärfähigen Alter sind. Doch auch für sie gibt es jetzt gute Nachrichten: Aufgrund der umfangreich dokumentierten Sicherheit der seit mittlerweile mehr als 25 Jahre eingesetzten Interferon (IFN) beta-Präparate hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) eine Zulassungserweiterung ausgesprochen. Demnach kann IFN beta-1a oder -1b, wenn es klinisch erforderlich ist, auch während einer Schwangerschaft eingesetzt werden und – uneingeschränkt – während der Stillzeit.
MS ist eine Erkrankung des ganzen Gehirns
Wie Prof. Dr. Hans Lassmann, Wien (Österreich) konstatierte, galt MS lange als Erkrankung der weißen Substanz. Dass auch die graue Substanz betroffen ist, wurde hingegen weitgehend vernachlässigt. Bei beiden Lokalisationen handelt es sich um immunologisch bedingte Entmarkungs-Prozesse. Lassmann wies darauf hin, dass es allerdings deutliche Unterschiede in deren Pathologie gibt und dass sich die kortikale Demyelinisierung unabhängig von den Vorgängen in der weißen Substanz entwickelt. So beruhen die Läsionen der weißen Substanz auf einer Störung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) und einer massiven Infiltration von Immunzellen aus dem peripheren Blut. Diese richten sich gegen die Oligodendrozyten und gegen die Myelinscheiden der Nervenfasern und somit die Funktion der Axone. Im weiteren Verlauf werden auch die Axone selbst zerstört.
In den Läsionen der grauen Substanz hingegen findet sich seinen Ausführungen zufolge ein wesentlich geringeres Ausmaß an entzündlichem Infiltrat. Ihre Destruktivität stufte er somit als weitaus schwächer ein. Die eher schleichende neuronale Zerstörung bestehe hier neben der Entmarkung mehr in einem subtilen Verlust von Synapsen und Dendriten und damit der neuronalen Kommunikation. Er räumte zwar ein, dass die MS wahrscheinlich als fokale Erkrankung der weißen Substanz beginne, betonte aber, dass auch die Großhirnrinde und die tiefe graue Substanz sehr früh beteiligt sind. Im weiteren Krankheitsverlauf übernehme die graue Substanz zusehends die führende Rolle und habe in der Progredienz schließlich einen überproportionalen Anteil.