Sinnliche Liebe als Ressource
“Unser Leben ist ohne Sexualität nicht vorstellbar”, betont Dr. Viola Kürbitz, Sexualmedizinisches Kompetenzzentrum Hannover. Nicht “sogar”, sondern “besonders auch” für Menschen mit einer Krebserkrankung könne eine lebendige Sexualität, ein sinnlicher und liebevoller Umgang mit sich selbst und dem Partner viel Trost, Entspannung, Freude und − etwa über die Stimulation der Immunfunktion − sogar heilsame Wirkungen vermitteln. Kürbitz berichtet, viele Betroffene seien dankbar, wenn sie dazu ermutigt werden, diese persönliche Ressource zu nutzen, mit dem Partner aber auch für sich im stillen Kämmerchen.
Das Ansprechen des Themas erfordert einen respektvollen, sensiblen Kommunikationsstil. Eine Prise Humor kann wiederum zur Lockerung beitragen: “Masturbieren bis der Arzt kommt”, ist einer der doppeldeutigen Sätze, mit denen die erfahrene Urologin in ihren Beratungsgesprächen regelmäßig ein Lächeln auf die Lippen ihrer Patienten und Patientinnen zaubert.
Für den Gesprächseinstieg empfiehlt Kürbitz drei einfache Fragen: Sind Sie mit Ihrer Sexualität zufrieden? Möchten Sie, dass sich etwas ändert? Ist Sexualität Thema für Sie? Oft ist danach bereits das Eis gebrochen und es können Tabuthemen an- und explizite Tipps ausgesprochen werden. Beispielsweise die Ermutigung, als Paar trotz krankheitsbedingter Erektionsstörungen oder Dyspareunien auch ein zärtliches Streicheln der intimen Bereiche mal wieder auszuprobieren.
Die Betroffenen sind oft freudig überrascht, wie viel Genuss sie sich damit gegenseitig wieder vermitteln können, wie viel Nähe und Intimität doch trotz der Erkrankung möglich ist. Sexuelle Funktionsstörungen haben nämlich oft die Folge, dass Zärtlichkeiten jeglicher Art unterlassen werden, aus Angst den Partner zu verletzen.
Oft geht es primär darum, den Erwartungsdruck herunterzufahren, der bei Frauen und Männern unserer Gesellschaft so weit verbreitet ist. “Sexualität ist eben viel mehr als nur Geschlechtsverkehr”, erinnert die Expertin. Es geht um das Lieben mit allen Sinnen und um erfüllte Zweisamkeit.
Ab vier Arzneien wird’s kritisch
In der Schmerztherapie älterer, multimorbider Menschen hält es Dr. Johannes Horlemann, Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin an der Uni Düsseldorf, für besonders wichtig, die Risiken einer Multimedikation im Auge zu behalten.
Dass dabei auch die Selbstmedikation ein erhebliches Gewicht hat, zeigte eine Studie an der Charité. Juliana Schneider und Mitforschende fanden bei den insgesamt über 200 Teilnehmenden mit Schmerzerkrankungen, die pflegebedürftig waren und zu Hause lebten, dass ein Viertel dieser Personen selbst verordnete Arzneimittel einnahmen.
Häufige geriatrische Probleme werden durch unvernünftigen Arzneimittelgebrauch verursacht oder verstärkt. Zu den klassischen Problembereichen gehören laut Horlemann nicht nur das Nachlassen kognitiver Funktionen, Ganginstabilität und Inkontinenz, sondern auch die oft fatalen Folgen von Unterbehandlung auf der einen und paradoxen Arzneimittelreaktionen auf der anderen Seite.
Der Nestor der Geriatrie, Prof. Ingo Füsgen, empfehle daher, eine medikamentöse Therapie bei Älteren mit der Hälfte der bei Erwachsenen üblichen Dosis zu beginnen und als Erhaltungsdosis 1/3 der bei Erwachsenen üblichen Dosis anzustreben. Ab einer Kombination von vier Medikamenten ist mit kontradiktischen Interaktionen zu rechnen; kein Mensch kann voraussagen, wie ein solcher Cocktail im Körper eines konkreten Patienten wirkt.
Die Zahl der Medikamente sei daher, so Horlemann, wenn irgend möglich, zu begrenzen und nichtmedikamentöse Maßnahmen bevorzugt einzusetzen. Bei der Auswahl von Medikamenten bei älteren Menschen stehe unter anderem die Vermeidung von sedierenden Effekten und von Interaktionen im Vordergrund.
Gehen Hand in Hand: Funktion und Psyche
Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen stehen nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Physiotherapie sowie psychotherapeutische Interventionen einschließlich Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie im Vordergrund. Dass bei dieser Patientengruppe die Erweiterung des ärztlichen Blicks von rein somatischen auf psychosoziale Aspekte besonders wichtig ist, konnte vielfach belegt werden.
Eine Studie an der Uniklinik Kiel bestätigte nun bei 100 Patienten, dass das Ausmaß der krankheitsassoziierten Funktionseinschränkungen stärker mit psychischen Charakteristika der Patienten korreliert war, wie Depressivität oder Angst, als mit somatosensorischen Symptomen, etwa Sensibilitätsstörungen.
Plazebos wirken, auch ohne Verblindung
Dass mit Plazebos bei Schmerzen beachtliche Effekte erzielt werden können, ist nicht neu. Dass das in gewissen Grenzen auch dann noch gilt, wenn der Patient weiß, dass er nichts als eine Zuckerpille nimmt, ist aber immer wieder überraschend. In den USA machte Prof. Ted J. Kaptchuk, Harvard University, in den vergangenen Jahren mit Erfolgen von so genannten “Open-Label-Plazebos (OLP)” bei verschiedenen Schmerzerkrankungen Furore.
Positive Ergebnisse aus kontrollierten Studien gibt es bislang zu Migräne, Reizdarmsyndrom, Depression, Tumor-Fatigue und Rückenschmerzen. Dr. Julian Kleine-Borgmann berichtete nun auf Grundlage einer Studie an der Neurologischen Klinik der Uni Essen, man habe bei den insgesamt 127 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eine signifikante Überlegenheit von OLP gegenüber der Standardbehandlung gefunden.
Ein entscheidender Vorteil von OLP besteht neben deren konkurrenzlos guter Verträglichkeit darin, dass man damit das – bei verdeckter Plazebogabe unvermeidliche – ethische Dilemma umgeht, dem Patienten etwas vorgaukeln zu müssen.