SchmerztherapieAkuter Rückenschmerz: Angst nehmen und mobil halten

Die zeitgerechte Therapie akuter Rückenschmerzen stützt sich nicht mehr in erster Linie auf die Schmerzreduktion. Das Ziel besteht in einer umgehenden und anhaltenden Mobilisierung der Betroffenen sowie deren emotionale Unterstützung.

61 Prozent der Gesamtbevölkerung leiden mindestens einmal im Jahr unter einer akuten Rückenschmerzerkrankung.

Der akute Rückenschmerz hat in den letzten Jahren eklatant zugenommen. “Etwa ein Drittel aller Erwerbstätigen sind einmal in der Woche mit Kreuzschmerzen beschäftigt und rund 61 Prozent der Gesamtbevölkerung leiden mindestens einmal im Jahr unter einer akuten Rückenschmerzerkrankung”, verdeutlichte Priv.-Doz. Dr. Michael A. Überall, Nürnberg bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS).

Frauen sind etwas häufiger betroffen; insgesamt steigt die Anzahl der monatlichen Schmerztage bei beiden Geschlechtern mit dem Alter. Parallel dazu erhöht sich auch der Anteil an Patienten mit chronischen Rückenschmerzen [1]. Dieser Anstieg ist laut Überall einerseits mit der Überalterung der Gesellschaft assoziiert, hängt aber andererseits wohl auch mit dem Umgang der Erkrankung und der Therapie zusammen.

Unnötige Bildgebung und Operationen vermeiden

Bei der Anzahl bildgebender Untersuchungen (MRT) aufgrund von Rückenschmerzen ist Deutschland weltweit führend. Das Problem dabei besteht in der hohen Rate falsch positiver Befunde [2].

“Wenn man nur alt genug ist, wird man bei der Bildgebung immer irgendeine Auffälligkeit finden, auch wenn keine Symptome vorhanden sind”, konstatierte Überall. Daher empfiehlt die Nationale Versorgungs Leitlinie (NVL) für Patienten mit akuten Kreuzschmerzen keine weiteren diagnostischen Maßnahmen, sofern sich beim Erstkontakt keine Hinweise auf gefährliche Verläufe oder andere ernstzunehmende Pathologie finden [3].

Vor dem Hintergrund der “absurd hohen” chirurgischen Eingriffe bei Menschen mit Kreuz-/Rückenschmerzen müsse man sich Überall zufolge fragen, ob die Besonderheiten der Vergütungsstrukturen zum Krankheitstreiber statt zum Krankheitsbehandler werden. Darauf weisen auch große regionale Unterschiede bei schmerzbedingten Wirbelsäulen-Operationen hin.

Interessant ist eine Untersuchung, in der die Indikation zur Operation anhand einer Zweitmeinung (durch eine interdisziplinäre Schmerzkonferenz) überprüft wurde [4].

Hier stellte sich heraus, dass die Experten nur bei 2,4 Prozent der Patienten eine Operation befürworteten – bei 97,6 Prozent dagegen nicht! Die geringste OP-Zustimmung (3 Prozent) betraf das Bundesland mit der höchsten Operationszahl, während das Bundesland mit eher seltenen Operationen eine hohe Bestätigungsquote (85 Prozent) erzielte.

Emotionale Aspekte berücksichtigen

Bei Rückenschmerzen funktioniert das simple “broken car concept” nicht (Schaden entdecken, beheben, wiederhergestellt), denn bereits in der akuten Phase der Erkrankung spielt die Schmerzverarbeitung im Gehirn eine wesentliche Rolle.

Dabei scheint die Chronifizierung der Schmerzen insbesondere auf Veränderungen der emotionalen Anteile (affektive Bewertung) zu beruhen. Dies zeigte eine Studie, in der die sensorischen Anteile des Schmerzes durch die Pharmakotherapie erfolgreich reduziert und wirksame kognitive Bewältigungsstrategien durchgeführt wurden [5].

Dennoch entwickelten alle Patienten chronische Schmerzen, weil es nicht gelang, die emotionalen Aspekte in ausreichendem Umfang in das Therapiesetting mit aufzunehmen.

Eine entscheidende Komponente im Chronifizierungsgeschehen ist laut Überall die Angst. “Ein zentrales Momentum all unserer therapeutischen Maßnahmen muss es daher sein, den Patienten die Angst bereits in der Frühphase der Erkrankung zu nehmen – durch Beratungsgespräche, Information und geeignete pharmakotherapeutische Maßnahmen”, betonte der Experte. Zudem müssten die Patienten unbedingt in Bewegung gehalten werden.

Hilft die NSAR-Behandlung?

Die NVL empfiehlt für Patienten mit akuten Kreuz-/Rückenschmerzen nur eine einzige medikamentöse Therapie – nämlich NSAR. Alle anderen Therapieformen erhielten keine positive Empfehlung, sondern allenfalls die Bewertung: “kann gegeben werden”.

Doch wirken NSAR tatsächlich bei akuten Rückenschmerzen? Die Ergebnisse eines Cochrane-Reviews mit 32 Studien lassen daran zweifeln [6]. Denn ein Unterschied von 7,29 mm auf der visuellen Analogskala (VAS, 0-100, 95 Prozent: KI-10,98 bis -3,61; 4 RCTs, n=815) nach dreiwöchiger NSAR-Therapie ist der Placebo-Gabe zwar rechnerisch signifikant überlegen, für die Patienten jedoch irrelevant, da eine Schmerzreduktion von unter 20 mm auf der VAS kaum wahrnehmbar ist.

Praktische Vorgehensweise

Handlungsempfehlungen zum praktischen Vorgehen gibt der DGS-PraxisLeitfaden zur Behandlung akuter Kreuz-/Rückenschmerzen [7]. Ein primäres Ziel besteht demnach nicht in der Schmerzlinderung sondern in einer:

  • raschen und nachhaltigen Normalisierung der körperlichen Aktivität,
  • einer Wiedererlangung altersentsprechender Beweglichkeit und Funktionalität im Alltag und
  • der Meidung passiver Schmerzvermeidungskonzepte und unnötig(lang)er Tagesruhepausen.

Dabei sei die Schmerzreduktion nur Mittel zum Zweck, betonte Überall. Im Gegensatz zur NVL empfiehlt der PraxisLeitfaden auch die Anwendung von Paracetamol und von “Muskelrelaxanzien (wie z.B. Pridinol oder Methocarbamol) in Mono- oder rational begründeter Kombinationstherapie.”

Neben einer engmaschigen Evaluation von Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit der Therapiemaßnahmen sollte man besonderes Augenmerk auf psychosoziale Risikofaktoren legen, da sie den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen können.

Zu diesen sog. “yellow flags”, zählen insbesondere kognitiv/emotionale und verhaltensbezogene Merkmale wie z.B. Angst (vor allem Angst-bedingtes Vermeidungsverhalten), depressive Verstimmung, inadäquates Schmerzerleben, Schlafstörungen, sozialer Rückzug, Katastrophisierung oder frühere traumatische Erfahrungen [7].

Das Risiko für eine Chronifizierung lässt sich anhand des STarT Back Screening Tools einschätzen, einem einfachen und validierten Fragebogen für Patienten mit lumbalem Rückenschmerz.

Quelle: DGS: Schmerzmedizin UP-TO-DATE

Literatur

1. von der Lippe E et al. Journal of Health Monitoring 2021; 6(53): 2-14

2. Brinjikji W et al. Am J Neuroradiol 2015; 36(4): 811-816

3. Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) 2017; 2. Auflage Version 1

4. Überall MA, Küster M. Schmerzmedizin 2022; 38(2): 10-11

5. Hashmi JA et al. Brain 2013; 136: 2751-68

6. Van der Gaag WH et al. Cochraine Database of Systematic Reviews 2020; Issue 4 No CD013581

7. DGS-PraxisLeitfaden zur Behandlung akuter Kreuz-Rückenschmerzen 2021; Version 1.0

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