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VorhoffflimmernAntikoagulation bei Demenz und anderen Risikogruppen

Die Indikation zu einer oralen Antikoagulation wird häufig in der Klinik gestellt. Während der langjährigen Betreuung der Patienten durch den Hausarzt treten nicht selten weitere Erkrankungen auf. Dann stellt sich die Frage, ob die orale Antikoagulation fortgeführt werden soll.

Etwa ein Viertel bis ein Drittel der ischämischen Schlaganfälle sind kardioembolischer Genese aufgrund von Vorhofflimmern [1, 2]. Bei Vorhofflimmern ist das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall im Mittel um den Faktor 5 erhöht [3]. Vorhofflimmern ist eine Erkrankung des hohen Alters, und in einer älter werdenden Gesellschaft steigt die Prävalenz von Vorhofflimmern. Damit stellt sich vermehrt die Frage nach der adäquaten Schlaganfallprävention.

Es ist unbestritten, dass eine orale Antikoagulation (OAK) bei Patienten mit Vorhofflimmern Schlaganfälle und embolische Ereignisse mit hoher Effektivität verhindert. Metaanalysen konnten eine relative Risikoreduktion von 66 Prozent für Embolien unter dem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) Warfarin im Vergleich zu einer Thrombozytenaggregationshemmung zeigen [4].

Nutzen-Risiko-Abwägung

Eine zentrale Frage in der Verschreibung oraler Antikoagulanzien ist die Abwägung zwischen Blutungskomplikationen und Reduktion des Risikos für ischämische Schlaganfälle. In einer großen Kohorte von Patienten mit Vorhofflimmern und Warfarin-Behandlung wurde beobachtet, dass ein höheres Ischämierisiko mit einem höheren Blutungsrisiko korreliert. Der klinische Nettonutzen, d. h. die Rate der verhinderten thromboembolischen Ereignisse minus die gewichtete Rate der Blutungskomplikationen, ist jedoch für alle CHA2DS2-Vasc-Scores und alle Altersstufen positiv. Der klinische Nettonutzen ist sogar im Alter und bei höherem Ischämierisko größer [5].

In den Studien mit neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) wurde die hohe Wirksamkeit von Vitamin-K-Antagonisten erneut bestätigt; gleichzeitig traten unter den neuen oralen Antikoagulanzien Blutungskomplikationen und insbesondere Hirnblutungen seltener auf als unter Vitamin-K-Antagonisten [6–8].

Demenz und hohes Lebensalter

Ein dementielles Syndrom per se stellt keine Kontraindikation für eine orale Antikoagulation dar [9, 10]. Metaanalysen zeigen jedoch, dass orale Antikoagulanzien bei Vorliegen eines dementiellen Syndroms deutlich seltener verschrieben werden [11].

Prospektive Daten zeigen, dass Patienten mit dementiellem Syndrom unter einer oralen Antikoagulation im Vergleich zu nicht antikoagulierten Patienten ein niedrigeres Risiko für ischämische Schlaganfälle und eine geringere Mortalität haben. Die Zahl intrakranieller Blutungen war nicht signifikant erhöht [12].

In der randomisierten, kontrollierten BAFTA-Studie verhinderte Warfarin bei Patienten mit Vorhofflimmern im Alter ab 75 Jahren effektiv embolische Ereignisse, ohne das Risiko für Blutungskomplikationen im Vergleich zu Acetylsalicylsäure zu erhöhen [13]. Somit gab es in den Zulassungsstudien für die neuen oralen Antikoagulanzien keine Altersbegrenzung. In einer Subgruppenanalyse profitierten ältere Patienten sogar relativ mehr von der Behandlung mit neuen oralen Antikoagulanzien als jüngere [6].

Im Alltag entscheidend ist bei Patienten mit dementiellem Syndrom die häusliche Versorgung und Sicherstellung der Medikamentenadhärenz. Eine Untersuchung zeigte, dass die Qualität der INR-Einstellung bei einer kognitiven Störung abnimmt und das Risiko für ischämische Schlaganfälle und auch das Risiko für Blutungskomplikationen zunimmt [12]. Durch das im Vergleich einfachere Therapieregime scheint die Verwendung neuer oraler Antikoagulanzien deshalb einen Vorteil zu versprechen.

Im Kontext dementielles Syndrom und orale Antikoagulation interessant ist die Beobachtung in einem schwedischen Register von Patienten mit Vorhofflimmern. Friberg et al. beobachteten, dass die Abwesenheit einer oralen Antikoagulation ein unabhängiger Risikofaktor für ein dementielles Syndrom ist [14]. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass eine orale Antikoagulation neben klinisch apparenten Schlaganfällen auch stumme Ischämien verhindert. In der Summe könnten sie zu einer Netzwerkstörung führen, die sich in einer kognitiven Verschlechterung äußert.

Fazit

Demenz und hohes Lebensalter sind per se keine Kontraindikation für eine orale Antikoagulation. Wichtig ist, dass die Einnahmetreue gewährleistet ist.


Intrakranielle Blutung

Besonders schwierig erscheint die Entscheidung zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern bei einer neu aufgetretenen intrakraniellen Blutung. Formal ist eine intrakranielle Blutung eine Kontraindikation für eine orale Antikoagulation. Es besteht das klassische Dilemma, bei dem das Risiko der erneuten Blutungskomplikation dem Risiko eines ischämischen Schlaganfalls gegenübersteht.

Derzeit wird in mehreren Studien untersucht, ob die Wiederaufnahme dem Auslassen einer orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern und Z.n. intrakranieller Blutung überlegen ist (ENRICH-AF, PRESTIGE-AF, APACHE-AF). Als Alternative wird in CLOSURE-AF untersucht, ob ein Vorhofohrverschluss eine effektive Schlaganfallprävention in dieser Situation sein könnte.

Retrospektive Analysen zeigen für Patienten mit Vorhofflimmern nach einer intrakraniellen Blutung unter oraler Antikoagulation eine deutliche Reduktion embolischer Ereignisse und der Mortalität sowie eine Verbesserung der klinischen Ergebnisse bei nur leicht erhöhter Rate an Blutungskomplikationen. Bei Patienten nach einer intrakraniellen Blutung sank die Wahrscheinlichkeit neuer Ischämien mit Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation absolut um 10 Prozent, während das Risiko für eine erneute intrakranielle Blutung absolut nur um 1,5 Prozent anstieg [15].

Dabei scheint die Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation bei nicht lobären Blutungen sicherer zu sein als bei lobären Blutungen. Der ideale Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation ist aber weiterhin unklar.

Fazit

Bei Patienten mit intrakranieller Blutung und Vorhofflimmern besteht für die Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation wahrscheinlich ein Nettonutzen.


Zerebrale Mikroblutungen

Zerebrale Mikroblutungen sind kleinste Hämosiderinablagerungen im Hirnparenchym. Große Beobachtungsstudien zeigen, dass sich das Blutungsrisiko bei Patienten mit Mikroblutungen generell erhöht [16, 17]. Dabei korreliert die Anzahl der Mikroblutungen mit der Höhe des Blutungsrisikos.

Zu einer oralen Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern und Mikroblutungen gibt es keine randomisierten Studien. In der Beobachtungsstudie CROMIS-2 zeigte sich, dass auch bei Patienten mit Vorhofflimmern, zerebralen Mikroblutungen und oraler Antikoagulation die Anzahl der ischämischen Schlaganfälle absolut deutlich höher ist als die Anzahl der intrakraniellen Blutungen [18]. Eine Analyse von Patienten mit Vorhofflimmern, zerebralen Mikroblutungen und Z.n. lobärer intrakranieller Blutung zeigt, dass die Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation das Sterberisiko relativ um 70 Prozent verringerte und die Wahrscheinlichkeit für gute klinische Ergebnisse um den Faktor 3 erhöhte [19].

Fazit

Bei Patienten mit Mikroblutungen scheint die orale Antikoagulation vorteilhaft zu sein.


Nach Stürzen

Durch Stürze steigt die Gefahr für intrakranielle, insbesondere für traumatische Blutungen. Nach der Leitlinie der DGN sind Stürze per se keine Kontraindikation für eine orale Antikoagulation [9]. Hierzu gibt es jedoch nur wenige Daten. Eine Studie mit 1.245 sturzgefährdeten Patienten ergab, dass im Vergleich zur nicht sturzgefährdeten Gruppe zwar häufiger intrakranielle Blutungen auftreten, der Nutzen der oralen Antikoagulation ab einem CHA2DS2-Vasc-Score von 2 aber überwiegt [20]. Unabhängig von der Risiko-Nutzen-Abwägung scheint für diese Patienten die Sturzprophylaxe entscheidend zu sein (feste Schuhe, Gehhilfe, Physiotherapie etc.).

Fazit

Sturzgefährdete Patienten haben ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko, das durch orale Antikoagulanzien nur gering erhöht wird. Es besteht wahrscheinlich ein Nettonutzen.


Gastrointestinale Blutungen

Unter einer Therapie mit oralen Antikoagulanzien können gastrointestinale Blutungen auftreten. In einem ersten Schritt sollte die Blutungsursache gefunden werden. Bei vielen gastrointestinalen Blutungen handelt es sich um eine behandelbare Ursache (Polypen, Präkanzerosen etc.). Studien zeigen, dass das Risiko für gastrointestinale Blutungen bei den neuen oralen Antikoagulanzien unterschiedlich ist. Besonders wenig gastrointestinale Blutungskomplikationen traten unter Apixaban im Vergleich zu Warfarin auf [6].

Fazit

Gastrointestinale Blutungen sollten nicht automatisch zu einer dauerhaften Beendigung einer oralen Antikoagulation führen. Oftmals sind die Ursachen effektiv behandelbar, sodass ggf. die Antikoagulation wieder begonnen werden kann.


Literatur

  1. Sposato LA, Cipriano LE, Saposnik G, Ruiz Vargas E, Riccio PM, Hachinski V. Diagnosis of atrial fibrillation after stroke and transient ischaemic attack: a systematic review and meta-analysis. Lancet Neurol 2015;14:377-87.
  2. Friberg L, Rosenqvist M, Lindgren A, Terent A, Norrving B, Asplund K. High prevalence of atrial fibrillation among patients with ischemic stroke. Stroke 2014;45:2599-605.
  3. Wolf PA, Abbott RD, Kannel WB. Atrial fibrillation as an independent risk factor for stroke: the Framingham Study. Stroke 1991;22:983-8.
  4. Hart RG, Pearce LA, Aguilar MI. Meta-analysis: antithrombotic therapy to prevent stroke in patients who have nonvalvular atrial fibrillation. Ann Intern Med 2007;146:857-67.
  5. Singer DE, Chang Y, Fang MC, et al. The net clinical benefit of warfarin anticoagulation in atrial fibrillation. Ann Intern Med 2009;151:297-305.
  6. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJ, et al. Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011;365:981-92.
  7. Patel MR, Mahaffey KW, Garg J, et al. Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. N Engl J Med 2011;365:883-91.
  8. Flaker GC, Eikelboom JW, Shestakovska O, et al. Bleeding during treatment with aspirin versus apixaban in patients with atrial fibrillation unsuitable for warfarin: the apixaban versus acetylsalicylic acid to prevent stroke in atrial fibrillation patients who have failed or are unsuitable for vitamin K antagonist treatment (AVERROES) trial. Stroke 2012;43:3291-7.
  9. Endres M et al. S3-Leitlinie Sekunda¨rprophylaxe ischa¨mischer Schlaganfall und transitorische ischa¨mische Attacke. 2015 In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 28.11.2019)
  10. Dichgans M. et al. S1-Leitlinie Vaskuläre Demenzen. 2017. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 28.11.2019)
  11. Fanning L, Ryan-Atwood TE, Bell JS, et al. Prevalence, Safety, and Effectiveness of Oral Anticoagulant Use in People with and without Dementia or Cognitive Impairment: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Alzheimers Dis 2019;71:1375-8.
  12. Subic A, Cermakova P, Religa D, et al. Treatment of Atrial Fibrillation in Patients with Dementia: A Cohort Study from the Swedish Dementia Registry. J Alzheimers Dis 2018;61:1119-28.
  13. Mant J, Hobbs FD, Fletcher K, et al. Warfarin versus aspirin for stroke prevention in an elderly community population with atrial fibrillation (the Birmingham Atrial Fibrillation Treatment of the Aged Study, BAFTA): a randomised controlled trial. Lancet 2007;370:493-503.
  14. Friberg L, Rosenqvist M. Less dementia with oral anticoagulation in atrial fibrillation. Eur Heart J 2018;39:453-60.
  15. Kuramatsu JB, Huttner HB. Management of oral anticoagulation after intracerebral hemorrhage. Int J Stroke 2019;14:238-46.
  16. Wilson D, Ambler G, Lee KJ, et al. Cerebral microbleeds and stroke risk after ischaemic stroke or transient ischaemic attack: a pooled analysis of individual patient data from cohort studies. Lancet Neurol 2019;18:653-65.
  17. Charidimou A, Karayiannis C, Song TJ, et al. Brain microbleeds, anticoagulation, and hemorrhage risk: Meta-analysis in stroke patients with AF. Neurology 2017;89:2317-26.
  18. Wilson D, Ambler G, Shakeshaft C, et al. Cerebral microbleeds and intracranial haemorrhage risk in patients anticoagulated for atrial fibrillation after acute ischaemic stroke or transient ischaemic attack (CROMIS-2): a multicentre observational cohort study. Lancet Neurol 2018;17:539-47.
  19. Biffi A, Kuramatsu JB, Leasure A, et al. Oral Anticoagulation and Functional Outcome after Intracerebral Hemorrhage. Ann Neurol 2017;82:755-65.
  20. Gage BF, Birman-Deych E, Kerzner R, Radford MJ, Nilasena DS, Rich MW. Incidence of intracranial hemorrhage in patients with atrial fibrillation who are prone to fall. Am J Med 2005;118:612-7.

Mögliche Interessenkonflikte einzelner Autoren:

Prof. Endres:

1. Forschungsförderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), European Union (EU), Corona Foundation, Fondation Leducq, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Deutsches Zentrum für Herz- Kreislaufforschung (DZHK), Bayer, Roche;

2. Honorarzahlung an die Charité (keine persönliche Zuwendung) für Studientätigkeit, Beratung und/oder Vorträge: Bayer, Pfizer, BMS, Sanofi, MSD, Boston Scientific, Novartis, GSK, Roche, Daiichi Sankyo;

3. Angestelltenverhältnis an der Charité-

Universitätsmedizin Berlin sowie DZNE;

4. Mitgliedschaft in: Deutsche Schlaganfallgesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Neurologie, American Heart Association –

Stroke Council, World Stroke Organization, European Stroke Organization, Society for Cerebral Blood Flow and Metabolism.

Prof. Nolte erhielt Honorare für Vorträge oder Beratertätigkeit von Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Pfizer Pharma, Gore and Associates sowie Abbott.

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