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Hausarzt MedizinInfektionsrisiko “Sex”

Die HIV-Infektion und andere sexuell übertragbare Infektionen haben weitgehend gleiche Übertragungswege. Durch Beratung und zielführende Diagnostik bei Personen aus Risikogruppen sollte der Hausarzt als "Präventionslotse" fungieren.

Die unverminderte Zunahme an HIV-Erstdiagnosen in Deutschland wird auf ein zunehmendes Risikoverhalten in ausgewiesenen Risikogruppen zurückgeführt, die mit den gängigen Präventionskonzepten nicht beeinflussbar sind [2]. Parallel dazu sind auch die Meldungen von Erst-/Neudiagnosen anderer sexuell übertragbarer Infektionen (STI) in Deutschland angestiegen [5, 6].

Unter sexuellem Risikoverhalten wird ungeschützter vaginaler, analer und oraler Sex verstanden. Bei Sex in Szene-Treffpunkten unter Kerngruppen, Gruppensex, Sexpartys, aber auch bei spontanem ungeschütztem Sex durch nicht den Risikogruppen zuzuordnenden Personen besteht ein erhöhtes Risiko für die Akquisition einer STI.

Infektiologische Aspekte

Das Vorliegen einer sexuell übertragbaren Infektion sollte als Indikator für eine mögliche, bereits bestehende HIV-Infektion angesehen werden. Durch injizierende Drogengebraucher aus anderen Risikogruppen, z. B. Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), Sexarbeiter, besteht ein weiteres Verbreitungspotenzial für HIV und andere STI. Primär vorliegende STI mit ulzerativen Verlaufsformen, d. h. mit leichtem Zugang zu Blut, werden als begünstigend für die sekundäre Aufnahme von HIV und HCV angesehen. Sie müssen als Kofaktoren indikativ sowohl für eine bereits erworbene HIV-Infektion als auch prädestinierend zumindest für den Erwerb einer HIV-Infektion angesehen werden.

Anamnese

Bei bereits HIV-infizierten Patienten oder bei Verdacht auf eine HIV-Infektion ist Folgendes zu beachten:

Etwa ein bis wenige Wochen nach erfolgter HIV-Infektion entwickeln ca. 50 Prozent (40 – 90 Prozent) der Infizierten eine unspezifische Symptomatik, die als akutes retrovirales Syndrom (ARS) bezeichnet wird (Tab. 1). Auch Symptome an der Haut/Schleimhaut sind zu beachten. Differenzialdiagnostisch ist auf andere virale oder bakterielle Infektionen zu achten (Tab. 2). In der Sexualanamnese muss neben ungeschützten vaginalen und analen Sexualpraktiken auch nach oralem Sex (pharyngeale Infektionen) gefragt werden [7], ggf. nach Praktiken wie Fisting u. ä. Ggf. muss der mögliche Austausch von potenziell infektiösem Blut in Verbindung mit ungereinigten, nicht desinfizierten Händen/Handschuhen, nicht desinfiziertem Sexspielzeug beachtet werden. Beratende Ärzte sollten sich darüber im Klaren sein, dass nicht alle Patienten Fragen zu sexuellen Praktiken, Drogengebrauch und Risikoverhalten wahrheitsgemäß und vollständig beantworten. Die Patienten sind oft frustriert über die eigene HIV-Infektion, aber auch, wenn skrupellos die Übertragung von HIV und anderen STI auf andere Personen billigend in Kauf genommen wurde. Sinngemäß strukturierte Anamnesen gelten auch für injizierende Drogengebraucher.

Bei HIV-positiven Patienten ist die Anamnese auch auf neurokognitive Störungen auszuweiten. Einem Bericht der ECDC/WHO zufolge waren in der EU/EEA 2014 die meisten "AIDS kennzeichnenden Erkrankungen" die Pneumocystis-Pneumonie, die ösophagopharyngeale Candidiasis, das Wasting-Syndrom und die pulmonale Tuberkulose [8].

Eine Reiseanamnese wird wegen möglicherweise anderer Spektren an STI und HIV aus anderen HIV-Subgruppen dringend angeraten; das gilt derzeit auch für Flüchtlinge und Migranten aus Herkunftsländern mit hoher Prävalenz für HIV und Hepatitis C [9, 10]. Insbesondere Migranten aus Westafrika und Patienten mit Reisen in westafrikanische Länder sind unbedingt auf eine HIV-2-Testung hinzuweisen. Die sexuelle Risikoanamnese sollte einen längeren, auch zurückliegenden Zeitraum zur Einschätzung des Risikos für möglicherweise vorliegende STI umfassen.

Diagnostik

Wenn sexuelle Risikosituationen bzw. Hinweise auf Drogengebrauch jeglicher Art vorliegen, sollte die Diagnostik auf eine HIV-Infektion angeraten werden. Im Stadium des frühen akuten retroviralen Syndroms können Tests auf HIV-spezifische Antikörper noch "nicht nachweisbar" ausfallen, so dass ggf. HIV-spezifische Kombitests der neuesten Generation bzw. HIV-RNA-Nachweise aus Serum bzw. Plasma wegen der höheren Nachweissensitivität angefordert werden sollten; ggf. ist eine zweite Testung nach zwei bis drei Wochen (ggf. auch mehr) erforderlich.

Die "Late presenter" (CD4+-T-Zellen unter 350/µl) kommen erst spät bei bereits fortgeschrittenem Immundefekt im Verlauf ihrer HIV-Infektion zur Erstvorstellung. Bei der Erstvorstellung eines solchen Patienten sind Untersuchungen auf STI einschließlich Hepatitis B und C zur Einschätzung evtl. erschwerender Verläufe durch den bereits fortgeschrittenen Immundefekt anzuraten.

Bereits HIV-Infizierte sind auf Anzeichen bzw. Vorliegen anderer STI zu untersuchen; ggf. sind eine Diagnostik per Serologie, molekularbiologische Verfahren, Abstrichdiagnostik u. a. durchzuführen.

Beratung bei HIV-Infektion

Neben der kombinierten antiretroviralen Therapie gegen die HIV-Infektion wird das Konzept des frühzeitigen Beginns einer antiretroviralen Therapie als eine HIV-Präventionsmaßnahme gegen die anhaltende HIV-Ausbreitung angesehen ("Treatment as Prevention", TASP). Denn die HIV-Infektiosität der behandelten Patienten wird durch die Senkung ihrer individuellen HI-Viruslast im Blut in der Regel unter einen kritischen Schwellenwert verringert und dadurch die personengebundene HIV-Ausbreitung auf Populationsebene reduziert. Voraussetzung für den Erfolg dieses Konzepts ist, dass die Medikation lückenlos erfolgt.

Aus infektiologischer Sicht wird dieses Konzept jedoch als bedenklich angesehen. Denn der begleitende Hinweis auf "nicht mehr HIV-infektiös" wird häufig unkritisch reflektiert und kann leichtsinnig zu ungeschütztem Sexualverkehr verleiten, z. B. mit der Folge, sich mit STI zu infizieren oder/und ART-resistente HI-Viren zu übertragen oder zusätzlich zu erwerben. Zur Vermeidung von Neu-/Reinfektionen durch STI unter TASP muss darauf hingewiesen werden, dass als risikovermindernder Schutz vor STI weiterhin Kondome verwendet werden sollten. Derartige Aufklärungen sind erforderlich, um den Patienten zu ihrem eigenen Schutz/Vorteil die Rahmenbedingungen für einen optimalen Erfolg der Therapie der eigenen HIV-Infektion zu erläutern und auch eine verhaltensbedingte Verringerung des eigenen HIV-Transmissionspotenzials zum Schutz für die Partner zu erreichen.

Fazit

  • Die HIV-Pandemie ist sowohl in Deutschland als auch weltweit ungebrochen.

  • Da HIV-/STI-Koinfektionen häufig sind, ist die Kenntnis der Klinik von STI mit ihren oft gleichen Übertragungskonstellationen bei der Frühdiagnose einer HIV-Infektion hilfreich.

  • Das Konzept "Treatment as Prevention" (TASP) ist aus infektiologischer Sicht als bedenklich anzusehen. Es setzt voraus, dass die Medikation lückenlos eingehalten wird. Daher ist eine umfassende Beratung der Patienten erforderlich.

Mögliche Interessenkonflikte: keine

Literatur

  • 1 Schimanke W. (2014) Das Gesundheitswesen zukunftssicher machen – Ein Rückblick auf den 117. Deutschen Ärztetag, Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern 24 (7): 241 – 246.

  • 2 Marcus U. (2002) Zunahme von sexuellem Risikoverhalten und sexuell übertragbaren Infektionen bei homosexu-ellen Männern. Bundesgesundheitsbl. – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 45 (1):40–46.

  • 3 Deutsche AIDS Hilfe/DAH; Zugang 24.01.2016: http://www.iwwit.de/wissenscenter/drogen/slamming.

  • 4 Vernazza P., et. al., (2008) HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler The-rapie sexuell nicht infektiös. Schweizerische Ärztezeitung 89 (5): 165 – 169.

  • 5 Potthoff A., Brockmeyer N. H. (2005) Syphilis und HIV-Infektion, Besonderheiten der Diagnose, Klinik und Therapie. Hautarzt 56 (2): 133 – 149. Doi: 10.1007/s00105-004-0868-3.

  • 6 RKI (2007) Ratgeber des RKI aktualisiert, Syphilis Diagnostik. http://www.gapinfo.de/gesundheitsamt/alle/seuche/infekt/bakt/lues/rg/08.htm

  • 7 Brockmeyer N. H., 48. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie (DDG), 29. April bis 2. Mai 2015, Berlin – Symposium „STI – Die neue Herausforderung 2016“ und Plenarvortrag „Neue Herausforderungen bei STI“, 29. April / 1. Mai 2015.

  • 8 ECDC/WHO (2014) HIV/AIDS surveillance in Europe, 2013. http://ecdc.europa.eu/en/publications/Publications/hiv-aids-surveillance-report-Europe-2013.pdf

  • 9 Hernando V, et al., (2015) HIV infection in migrant populations in the European Union and European Economic Area in 2007-2012; an epidemic on the move. J Acquir Immune Defic Syndr. 70 (2): 204-211. doi: 10.1097/QAI.0000000000000717;

  • 10 Aus aktuellem Anlass weisen wir a.) auf das RKI (2015), Epidem Bull 38 hin: „Für medizinisches Personal: Akut behandlungsbedürftige, für Deutschland ungewöhnliche Infektionskrankheiten, die bei Asylsuchenden auftreten können“ (Stand: 14. September 2015), DOI 10.17886/EpiBull-2015-007.2; b.) weitere Hinweise über: RKI, (2015), https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2015/08_2015.html, HIV-Indikatorerkrankungen: Leit¬faden zur Durchführung von HIV-Tests bei Erwach¬senen in Einrichtungen des Gesundheitswesens: http://hiveurope.eu/Portals/0/Guidance/2012-014_CHIP_losark-Tysk_v2.pdf.

  • 11 RKI (2013) Syphilis in Deutschland 2012. Epidem Bull 44: 449 ff. Anmerkung: Da das Risiko einer HIV-Übertragung bei Vorliegen einer Syphilis-Infektion steigt, ist es wichtig, dass Syphilis-Infektionen frühzeitig erkannt und behandelt werden. MSM mit hohen Partnerzahlen sollten daher regelmäßig auf Syphilis und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI) untersucht werden.

  • 12 RKI (2013) Gonorrhö (Tripper). Epidem Bull 14: 115 ff.

  • 13 RKI (2013) Chlamydia trachomatis – Laborsentinel. Epidem Bull 46: 469 ff.

  • 14 RKI (2014) Chlamydia trachomatis – Untersuchungen bei Männern, Ergebnisse des Laborsentinels für 2008 – 2013. Epidem Bull 38: 373 ff.

  • 15 Götz H. et al. (2004) Preliminary report of an outbreak of lymphogranuloma venereum in homosexual men in the Netherlands, with implications for other countries in western Europe. Eurosurveillance, 8 (4). http://www.eurosurveillance.org/ViewArticle.aspx?PublicationType=W&Volume=8&Issue=4&OrderNumber=1

  • 16 Mosthaf F., Esser St., Das Kaposi-Sarkom, Synonym: Sarcoma idiopathicum multiplex hemorrhagicum. Zugriff April 30., 2016, http://www.hivleitfaden.de/cms/index.asp?inst=hivleitfaden&snr=2896

  • 17 RKI (2015) Welttuberkulosetag 2015: Tuberkulose aktuell. Epidem Bull 11/12: 83 ff.

  • 18 RKI (2014) HIV-Testung bei Tuberkulose-Diagnose: eine Selbstverständlichkeit? Epidem Bull 48: 463 ff.

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