Checkliste für die PraxisHIV und AIDS beenden

Das Gespräch über eine mögliche HIV-Infektion zählt vermutlich zu den schwierigsten Themen im ärztlichen Bereich. Dabei ist eine HIV-Infektion heute mit nahezu normaler Lebenserwartung und hervorragenden therapeutischen Möglichkeiten zu betrachten. Dabei kommt es vor allem auf eine frühe Diagnose an - eine Checkliste zur HIV-Erstdiagnose hilft.

In Deutschland wussten im Jahr 2022 etwa 10 Prozent der HIV-positiven Personen nicht um ihren Infektionsstatus.

Bei der frühzeitigen Diagnose der HIV-Infektion kommt es gerade auf die hausärztlich tätigen Kollegen und Kolleginnen an – hier ist der Patient bekannt, hier stellt sich der Patient am häufigsten vor und hier werden die meisten HIV-Diagnosen gestellt – aber auch die meisten Chancen zur frühzeitigen Diagnostik einer HIV-Infektion vertan, wie jüngst die vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte “FindHIV”-Studie zeigte.

In Deutschland wussten im Jahr 2022 etwa 10 Prozent der HIV-positiven Personen nicht um ihren Infektionsstatus und viele HIV-Infektionen werden noch immer erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung dia-gnostiziert.

Diese späten Diagnosen gehen potenziell mit gesteigerter Morbidität und Mortalität sowie dem Risiko weiterer Transmissionen einher. Es kommt also darauf an, zum richtigen Zeitpunkt, beim richtigen Symptom und beim richtigen Patienten an eine mögliche HIV-Infektion zu denken und einen Test auf HIV ebenso selbstverständlich anzubieten, wie einen Test auf Diabetes oder eine Schilddrüsenstoffwechselstörung.

Erkenntnisse aus der FindHIV-Studie

Als Teil der FindHIV-Studie, bei der zwischen Januar 2019 und Mai 2020 deutschlandweit in 40 Studienzentren Primärdaten zu 706 Personen mit kürzlich erfolgter HIV-Erstdiagnose erhoben wurden, konstatierten die HIV-Behandler bei fast der Hälfte aller untersuchten HIV-Neudiagnosen im deutschen Gesundheitssystem potenzielle Chancen für eine frühere HIV-Erstdiagnose.

Viele Betroffene suchen das Gesundheitssystem bereits vor der HIV-Erstdiagnose mit einschlägigen Symptomen, wie Soorbefall, Gewichtsabnahme, Herpes zoster-Ausbrüchen oder Blutbildveränderungen auf.

Symptome und Erkrankungen also, die zum hausärztlichen Alltag gehören. Gerade aber die Breite des Behandlungsspektrums und der niederschwellige Zugang führen vermutlich dazu, dass diese Symptome, die im weiteren Verlauf häufig zur HIV-Diagnose führen, zunächst nicht mit einer solchen in Verbindung gebracht werden.

Anders als vielleicht vermutet, zeigt die Studie aber auch, dass auf Patientenseite bei guter Erläuterung von Gründen und Zusammenhängen eine sehr hohe Bereitschaft besteht, einen HIV-Test anzunehmen, wenn dieser vom Arzt angeboten wird.

Grundsätzlich, wie so häufig in der Medizin, gilt hier das Prinzip “daran denken” und “man sieht nur, was man kennt”. Bei der Vielzahl der Krankheitsbilder und Aufgaben im hausärztlich tätigen Bereich gilt aber vermutlich auch “leichter gesagt als getan”.

Die wenigen, aber häufig im Rahmen einer HIV-Diagnose auftretenden typischen Symptome (siehe Faktencheck) müssen im Alltag mit dem Gespräch über HIV und dem Angebot eines Tests auf HIV in Verbindung gebracht werden, um die Chance einer für das Leben des Patienten wesentlichen Diagnose nicht zu verpassen.

Um die Entscheidung, ob ein HIV-Test angeboten werden sollte, zu erleichtern, wurde nun auf Basis der Erkenntnisse aus der FindHIV-Studie ein Entwurf eines Scoring-Instruments sowie einer damit verbundenen Handlungsempfehlung spezifisch für die Versorgungssituation in Deutschland erstellt und in drei Fokusgruppen diskutiert und überarbeitet.

Hier kam es den Organisatoren der Studie darauf an, die realen Bedürfnisse im klinischen Alltag möglichst gut abzubilden.

Teilnehmer der Fokusgruppen waren daher neben Vertreterinnen und Vertretern der FindHIV-Studiengruppe, fünf HIV-Behandler (sowohl aus dem stationären, als auch dem ambulanten Bereich), eine Vertreterin des “Let’s talk about Sex-Projektes” der Deutschen Aidshilfe (DAH), ein Vertreter des Deutschen Hausärzteverbands, ein niedergelassener Hausarzt, der keinen Verband vertrat, zwei Vertreter der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, ein Vertreter der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, ein Vertreter eines großen Krankenkassenverbands, ein Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit, ein Vertreter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie ein Patientenvertreter.

HIV-Scoring: Handlungsempfehlung für einen HIV-Test

Das Scoring-Instrument fokussiert auf Symptome und Erkrankungen, die sich in den Studiendaten als besonders relevante Anlässe für Kontaktaufnahmen zum Gesundheitswesen zeigten und die als potenzielle Chance für eine frühere HIV-Erstdiagnose bewertet wurden.

Mit Bedacht wurde darauf verzichtet, Verhaltensweisen oder Lebensumstände, wie z.B. das Sexualverhalten zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass gerade diejenigen durch “das Raster” fallen, die schon jetzt aufgrund falscher Vorstellungen über “typische” und “untypische” Betroffene eine relevante Gruppe der spät diagnostizierten Patienten stellen.

Zudem sind beispielsweise Fragen zum Sexualverhalten teilweise mit einem subjektiven Schamgefühl bei Patienten aber auch bei Ärzten behaftet, was die Anwendung des Instruments oder wahrheitsgemäße Antworten negativ beeinflussen könnte.

Wie funktioniert das HIV-Scoring- Instrument?

Für die vorausgegangenen 24 Monate werden zehn Symptom- und Erkrankungskomplexe abgefragt, denen ein Punktwert zwischen 1 und 3 zugeordnet wird. Zur Vereinfachung werden die Komplexe teilweise durch Beispielerkrankungen dargestellt.

Im Detail wurden folgende Symptom- und Erkrankungskomplexe integriert: Unklarer Gewichtsverlust (1 Punkt), unklares Fieber und Nachtschweiß (1 Punkt), allgemeine Leistungsminderung (1 Punkt), Hautausschlag (2 Punkte), chronische Durchfälle ohne nachgewiesene Erreger (2 Punkte), akuter, hochfieberhafter Infekt (2 Punkte), Lymphadenopathie (2 Punkte), sexuell übertragbare Erkrankungen (3 Punkte; zum Beispiel Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydieninfektion, Hepatitis A , Hepatitis B, Hepatitis C), Indikator-/HIV-assoziierte Erkrankungen (3 Punkte; zum Beispiel Soorstomatitis, Herpes zoster bei Personen < 60 Jahren, Thrombozytopenie, seborrhoische Dermatitis, Analkarzinom) sowie AIDS-definierende Erkrankungen (3 Punkte; zum Beispiel Lymphom, Kaposi-Sarkom, rezidivierende Pneumonien > 2 mal pro Jahr, Soorösophagitis, Tuberkulose, Zervixkarzinom). Führt das Scoring zu einem Wert von ≥ 3, wird empfohlen, der Person einen HIV-Test anzubieten.

Die Gewichtung der Punktvergabe richtet sich dabei nach der Spezifität des Indikators. Die Beispiele wurden im Austausch mit den Expertinnen und Experten der Fokusgruppen, explizit orientiert an ihrer praktischen Bedeutung, ausgewählt: So sollen es einerseits Beispiele sein, die verhältnismäßig häufig bei einer (unentdeckten) HIV-Infektion vorliegen, anderseits sollten sie auch mit einer relevanten Häufigkeit im Praxisalltag, und hier insbesondere im hausärztlichen Bereich, anzutreffen zu sein. Die Auswahl der Symptome und Erkrankungen erfolgte auch, um sowohl eine länger bestehende, als auch eine kürzlich erworbene HIV-Infektion zu erkennen.

Kostengünstiges Tool

Mit dem Scoring-Instrument und den assoziierten Handlungsempfehlungen wird Ärztinnen und Ärzten ein leicht und kostengünstig anzuwendendes Tool in die Hand gegeben, das niedrigschwellig beim Angebot eines HIV-Tests unterstützen und die Awareness bezüglich HIV bei Symptomen und Erkrankungen, die ein Indikator auf eine HIV-Infektion sein können, steigern kann.

Konsequent angewandt liegt hier das Potenzial, zahlreichen Menschen mit HIV auch eine frühere HIV-Erstdiagnose zu ermöglichen und somit weitere Transmissionen und, auf der Individualebene, gesundheitliche Schäden zu vermeiden (siehe Checkliste).

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Literatur:

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