Berlin. Für diesen Herbst können Ärztinnen und Ärzte wohl mit keiner klaren Richtschnur der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) rechnen, welche Patientinnen und Patienten gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) geimpft werden sollen. Das hat Prof. Klaus Überla, Sprecher der STIKO-Arbeitsgruppe RSV, am Montag (18. September) in einer Expertenrunde vor Journalisten in Aussicht gestellt.
Die STIKO erarbeitete derzeit noch verschiedene für eine offizielle Empfehlung nötige Aspekte, etwa eine Modellierung zum möglichen Einfluss der Impfstoffe auf die RSV-Verbreitung in der Bevölkerung. Laut Überla sei nicht zeitnah damit zu rechnen, dass die nötigen Daten für eine STIKO-Empfehlung vorliegen.
Neben der STIKO-Empfehlung fehlen im Praxisalltag weitere wichtige Antworten, etwa mit Blick auf die Kostenerstattung, was dazu führen dürfte, dass die RSV-Impfung und -Prophylaxe keine breite Anwendung finden könnten.
Kombi-Prophylaxe für Hochrisikokinder
Dabei stehen – nach verheerenden Situationen vergangenen Winter, Prof. Bernard Resch von der Medizinischen Uni Graz berichtete am Montag von bis zu 200 Patientenvorstellunen pro Stunde – in dieser Saison mit Abrysvo® (Pfizer) und Arexvy® (Glaxo-Smith-Kline) erstmals Impfstoffe gegen RSV zur Verfügung.
Abrysvo® ist für Schwangere vorgesehen, die den Immunschutz im Mutterleib und später über das Stillen an den Säugling weitergeben. Zusätzlich ist der Impfstoff zur aktiven Immunisierung von Personen ab 60 Jahren geeignet. Arexvy® ist ebenfalls für diese Altersgruppe angedacht, bisher jedoch nicht für Schwangere.
Zudem ist seit September mit Beyfortus® (Astrazeneca/Sanofi) ein neuer monoklonaler Antikörper verfügbar, der Säuglinge in ihrer ersten RSV-Saison vor dem Erreger schützen kann. Gerade für Hochrisikokinder – laut Resch Säuglinge unter sechs Monaten, Frühgeborene sowie Kleinkinder mit schweren Vorerkrankungen – sei eine Kombination aus maternaler Impfung und monoklonalem Antikörper eine bedeutende Prophylaxe, so die Experten.
Saison steht vor der Tür
Doch: Die STIKO-Empfehlung sei auch in den kommenden Wochen nicht zu erwarten, machte Überla deutlich. Und im Oktober, spätestens November beginnt offiziell die Saison, die dann zu Jahresbeginn ihren Höhepunkt erreichen und Ende März ausklingen dürfte.
Eine generelle Impfempfehlung für Schwangere sei aktuell schwierig zu geben, da eine – wenn auch nicht signifikante – erhöhte Zahl von Frühgeburten in den Studien beobachtet worden sei. Hier herrsche Unsicherheit, da die Gründe noch unklar seien.
Mit Blick auf ältere Patienten sagte Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Uniklinikum Erlangen, dass die Anwendung bei Senioren auf individueller Basis vorstellbar sei, vor allem wenn viele Vorerkrankungen und damit ein großes Risiko vorliegen.
Kostenübernahme liegt im Ermessen der Kassen
Zweiter Knackpunkt ist jedoch, dass die Prophylaxe Stand heute keine Kassenleistung ist – und ohne STIKO-Empfehlung wohl auch zunächst nicht werden dürfte. Es liege damit im Ermessen der einzelnen Kasse, die Kosten für die Impfung zu übernehmen. Gerade beim Einsatz monoklonaler Antikörper kämen auf Familien jedoch hohe Kosten zu, erinnerte Resch.
Prof. Folke Brinkmann, Leiterin der Sektion Pädiatrische Pneumologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, betonte darüber hinaus die hohe Belastung aufgrund der regelmäßig benötigten Injektionen beim Einsatz monoklonaler Antikörper. „Das ist sowohl für das Kleinkind als auch für die Familie belastend.“
Rechtssicherheit und Logistik-Klarheit nötig
Zudem seien wichtige Fragen in der Logistik noch offen, so die Kliniker. Gerade die Prophylaxe, die bei Hochrisikosäuglingen noch im Wochenbett beginnen müsse, werfe Fragen auf. „Das wird in der Praxis schwer zu implementieren sein“, so Resch. „Wer führt was wann durch? – Da gilt es noch viel zu beantworten.“
Darüber hinaus erinnerte er an die in Österreich beobachtete niedrige Bereitschaft im dritten Trimester zu impfen.
Infektionsgeschehen wieder “normaler” erwartet
Insgesamt rechnen die Fachleute mit einem früheren Beginn der Welle, aber wieder mit mehr „Normalität“. Nachgeholte Infektionen bei Ein- bis Zweijährigen, die in der Corona-Pandemie nicht mit RSV in Kontakt gekommen waren, seien voraussichtlich nicht mehr ganz so ausgeprägt zu sehen.
Und: Wiederkehrende Infektionen liefen deutlich milder ab, erklärte Brinkmann. Ab dem dritten Lebensjahr sei quasi jedes Kind mit RSV in Kontakt gekommen. Es gebe keinen vorbeugenden Schutz, jeder sei dem Virus gleichermaßen ausgesetzt.
Ob generell alle Säuglinge geschützt werden sollen, sei daher auch eine „Grundsatzfrage“, sagte sie mit Blick auf die ausstehende STIKO-Empfehlung.