Mit einer Pressemitteilung setzte der GKV-Spitzenverband am 12. Februar 2015 den vorläufigen Höhepunkt in einer Aufführung, die bis dahin die Gemüter erhitzt hatte: Man habe sich mit dem pharmazeutischen Unternehmer Gilead Sciences auf einen Erstattungsbetrag zum Arzneimittel Sovaldi® (Wirkstoff Sofosbuvir) zur Behandlung der chronischen Hepatitis C bei Erwachsenen geeinigt. Zeitgleich wurde die Höhe des vereinbarten Erstattungsbetrags veröffentlicht: 14.520,84 Euro pro Monatspackung.
Kostenexplosion befürchtet
Die Befürchtungen der Krankenkassen einer extremen Kostenbelastung schienen gerechtfertigt: Von 2013 bis 2014 war laut IMS Health bei den HCV-Präparaten ein Umsatzwachstum von +222 Prozent auf insgesamt 661 Millionen Euro zu verzeichnen. Das wissenschaftliche Institut der AOKen (WIdO) schätzte im Mai 2015, dass im vergangenen Jahr rund 7.800 Patienten auf eine neue Hepatitis-C-Therapie eingestellt wurden.
Dabei ist Deutschland kein Hochprävalenzland für chronisch virale Hepatitiden: In seinem Beschluss zu Sofosbuvir ging der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) von circa 99.900 für die neue Therapie infrage kommenden HCV-Infizierten aus. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die HCV-Prävalenz auf 0,3 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Da jedoch die HCV-Infektion nicht selten bei Menschen mit Risikoverhalten wie etwa intravenösem Drogenmissbrauch und schlechtem Zugang zur Diagnostik vorkommt, gehen andere Schätzungen von bis zu 500.000 Infizierten in Deutschland aus.
Weniger Folgeerkrankungen
Durch die absehbar hohen Ansprechraten bei leitliniengerechter Therapie verlieren zukünftige Kosten durch Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose und Leberkarzinome, die HCV-Infizierte ohne wirksame Behandlung entwickeln können, an Relevanz. Die wirtschaftlichen Folgen, die durch diese Komplikationen entstehen, sind durchaus relevant (Tab. 1). Ungeachtet dessen bleibt die Preispolitik der Industrie zu hinterfragen.
Wirtschaftlichkeit
Gesundheitspolitisch rückte rasch die Arzneimittelpreisregulierung in den Mittelpunkt. Die Krankenkassen forderten beim AMNOG-Prozess Nachbesserungen, insbesondere ein nachträgliches Vorziehen des GKV-Erstattungsbetrags auf den Monat der Zulassung. Weniger im Rampenlicht stand das Vorgehen einiger Krankenkassen, die unter Verweis auf mögliche Regressrisiken Unsicherheit bei den verordnenden Ärzten schürten. Die Folge: Eine Beeinträchtigung der Versorgung.
Hintergrund war und ist, dass nicht alle Fragen der Wirtschaftlichkeit im AMNOG-Verfahren abschließend geklärt sind. Ganz konkret: Was gilt vor dem GBA-Nutzenbewertungsbeschluss und nach dem Abschluss der Erstattungsbetragsverhandlung als wirtschaftlich? Stellt der verhandelte „Mischpreis“ die Wirtschaftlichkeit über alle Indikationsgruppen her?
Die Politik sah bisher keinen Handlungsbedarf, die Situation zu klären. Wichtig war, dass sich KBV und GKV-Spitzenverband im Oktober 2014 auf ein Sonderausgabenvolumen für 2014 und 2015 einigten: Die neuenHCV-Wirkstoffe sind damit nicht Gegenstand der Richtgrößenprüfungen. Die Krankenkassen haben jedoch weiterhin die Möglichkeit, Einzelprüfanträge zu stellen, so dass Regresssorgen bei behandelnden Ärzten nicht geschwunden sind.
Mängel der Regelversorgung
Die Behandlung der HCV-Infektion wird überwiegend von Internisten, v. a. Gastroenterologen, und von HIV-Schwerpunktärzten sichergestellt. Von Letzteren sind nicht wenige als spezialisierte Infektiologen im hausärztlichen Bereich niedergelassen.
HCV ist die häufigste Komorbidität von HIV. Die Betreuung und Therapie von HCV-Infizierten sowie die Kontrolle unerwünschter Arzneimittelwirkungen machen spezialisierte Kenntnisse notwendig. Bis dato existiert allerdings keine Qualitätssicherungsvereinbarung, die – wie etwa bei HIV/Aids oder bei Krebserkrankungen – die Struktur- und Prozessqualität forciert. Studien zeigen vielmehr anhand von Daten zur geringen Therapierate, dauerhaften Diagnosekodierung, verkürzten Verordnungsdauer und geringen Rate an Viruslastkontrollen, dass die Regelversorgung Mängel aufweist und dass den existierenden S3-Leitlinien-Empfehlungen zu Diagnostik, Monitoring und Therapie der chronischen Hepatitis C nicht immer gefolgt wird.
HCV-Selektivverträge
Abseits der Arzneimittelpreisbildung stellt sich somit die versorgungspolitische Herausforderung fehlender Qualitätsparameter in einem komplexen wie hochpreisigen Therapieumfeld. Selektivverträge zur Erhöhung der HCV-Versorgungsqualität versuchen aktuell, diesem Umstand Rechnung zu tragen und die Regelversorgung passgenau zu ergänzen. Der Grundgedanke ist die Sicherstellung einer qualitätsgesicherten und bedarfsgerechten sowie wirtschaftlichen Therapie aus Spezialistenhand, wie sie etwa bei HIV/Aids seit Längerem existiert.
Der erste Strukturvertrag dieser Art nach Paragraf 73a SGB V wurde Ende 2014 federführend durch die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) und dem Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen (bng) vorbereitet und dann zwischen AOK Rheinland/Hamburg und der KV Nordrhein offiziell abgeschlossen. Der Vertrag setzt insbesondere Anreize zur Etablierung einer am individuellen Krankheitsverlauf abgestimmten und auf Qualitätsparameter gestützten Behandlung durch erfahrene Ärzte und sieht für besondere Fälle ein Zweitmeinungsverfahren vor. Die Vereinbarung umfasst ebenso Regelungen zur Wirtschaftlichkeit. Weitere selektivvertragliche Vereinbarungen sind seitdem dazugekommen, eine kollektivvertragliche Regelung steht jedoch noch aus.
Bedarf besteht: So erwartet etwa das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) durch den sukzessiven Markteintritt neuer HCVWirkstoffe eine zunehmende Dynamik. Der letzte Vorhang in der HCV-Aufführung ist somit noch nicht gefallen.
Literatur beim Verfasser; Interessenkonflikte: keine