Das Wichtigste auf einen Blick
- Der Bundestag hat die Reform des umstrittenen Werbeverbots für Abtreibungen (Paragraf 219a StGB) beschlossen; der Bundesrat hatte sich zuvor nicht geäußert.
- Ärzte und Kliniken dürfen künftig über die Tatsache informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den gesetzlichen Voraussetzungen durchführen. Für weitergehende Informationen müssen sie allerdings auf Behörden, Beratungsstellen und Ärztekammern verweisen.
- Weitere Änderungen: Die Bundesärztekammer soll eine Liste der Ärzte und Krankenhäuser erstellen, die Abbrüche durchführen. Verhütungspillen werden länger von der Krankenkasse bezahlt – bis zum 22. Geburtstag und nicht wie bisher bis zum 20. Geburtstag. Eine Studie soll die psychischen Folgen von Abtreibungen analysieren.
Berlin. Der Bundestag hat am Donnerstag (21. Februar) die umstrittene Reform von Paragraf 219a des Strafgesetzbuches beschlossen. Für Ärzte bedeutet das konkret: Sie dürfen – ebenso wie Kliniken – künftig auf ihrer Praxiswebseite angeben, dass sie Abtreibungen durchführen. Aber: Weitere Infos dürfen sie nicht geben, sondern nur auf offizielle Stellen, etwa Ärztekammern, verweisen.
Das Bundeskabinett hatte den Gesetzentwurf bereits kurz zuvor verabschiedet; der Bundesrat verzichtete in seiner Sitzung am 15. Februar auf eine Äußerung zur Reform. In der Plenarabstimmung erhielten weder die Ausschussempfehlungen für eher kritische Äußerungen noch das positive Votum “keine Einwendungen” eine Mehrheit. Daher kam eine Stellungnahme nicht zustande.
In seiner Ausgestaltung folgt der Gesetzentwurf der Grundidee des Deutschen Ärztetags. Dieser hatte sich im Mai nach einer hoch emotionalen, auf sehr hohem Niveau geführten Debatte gegen eine Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 219a ausgesprochen. Statt das darin festgehaltene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche abzuschaffen, sollten neutrale Information, individuelle Beratung und Hilfeleistung für Frauen in Konfliktsituationen gestärkt werden, forderten die Delegierten.
Kritik: Fehlende Rechtssicherheit für Ärzte
Viele Politiker und Ärzte kritisieren jedoch, dass dies nur zum Teil gelungen sei. Vor allem eine mit dem Gesetz geplante Studie zu den psychischen Folgen von Abbrüchen sorgt für harsche Kritik. “Schon jetzt finden Frauen in Not kaum einen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt”, kritisiert die FDP-Abgeordnete Nicole Bauer. Das werde sich mit der Neuregelung kaum ändern, stattdessen würden Frauen stigmatisiert. Auch die Grüne-Abgeordnete Katja Keul spricht von “unnötiger Kriminalisierung von Ärzten”, die sie einschüchtere und von Abtreibungen abhalte. Die Opposition hatte auch in einer kontroversen Diskussion im Rechtsausschuss, die der Entscheidung des Bundestags vorausgegangen war, scharfe Kritik geübt – auch mit Blick auf die Verfassungsrechtlichkeit des Entwurfs. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Ausschuss den Entwurf schließlich angenommen.
Als “Sahnehäubchen obendrauf”, sagen Linke, FDP und Grüne, finanziere die Regierung dann auch noch eine unnötige Studie des CDU-geführten Gesundheitsministeriums zu den gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen. Das offenbare eigentlich nur das “fragwürdige Frauenbild” von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), meint Bauer.
Diese Untersuchung stößt auch in der Fachwelt auf große Skepsis: “Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen”, sagt Cornelia Helfferich, die das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Freiburg leitet. “Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem.”
Paket explizit als Kompromiss geschnürt
Der Argwohn rührt zum einen daher, dass die Studie quasi im Gegenzug zum 219a-Kompromiss zustande kam. Die SPD wollte den Paragrafen am liebsten ganz abschaffen, setzte gegen die Union dann zumindest die Änderung durch. Es wird auch eine monatlich aktualisierte Liste aller Ärzte und Kliniken geben, an die sich ungewollt Schwangere wenden können. Etappensieg für die SPD – trotz heftiger Kritik daran, dass Ärzte weiterhin beispielsweise nicht angeben dürfen, mit welche Methode sie abtreiben. Dafür bekommt Spahn fünf Millionen Euro für seine Studie, die von 2020 bis 2023 die “Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen” untersucht. Ergebnisoffen, wie das Ministerium betont.
Kritik daran gibt es auch aus wissenschaftlicher Sicht. Denn Dutzende Studien haben die psychischen Folgen von Abtreibungen in den vergangenen Jahren schon untersucht. “Es lässt sich nicht beweisen, dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen hat”, sagt Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG). Helfferich sagt: “Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen.” Sie hat 2012 bis 2018 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 14.000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt.
Stigmatisierung und fehlende Hilfe
Rund 101.000 Schwangerschaften wurden laut Statistischem Bundesamt 2017 in Deutschland abgebrochen. “Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen Folgen hat”, betont Anette Kersting von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Es sei zwar bekannt, dass Frauen, die eine Abtreibung wünschen, häufiger emotionale Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben. “Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen”, sagt Kersting. Das liege aber nicht am Abbruch an sich, sondern an der psychischen Konstellation und am Umfeld – etwa an Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung.
Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen, die beste Entscheidung treffen zu können. “Bei der ganzen Diskussion fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so treffen und wissen, was sie tun”, sagt sie. SPD-Abgeordneter Prof. Karl Lauterbach merkt an: “Wir wissen doch, dass sich Frauen diese Entscheidung sehr schwer machen.” Und kein Arzt nehme Abtreibungen vor, um daran Geld zu verdienen.
Mit Material von dpa