Jetzige Generationen haben die realistische Lebenszeitperspektive, sehr alt zu werden: So werden über die Hälfte der nach dem Jahr 2000 geborenen Menschen mindestens 100 Jahre alt, schilderte Prof. Daniela Jopp, Psychologin an der Universität Lausanne, beim Jahreskongress der Geriater in Köln [1].
Der Prozess des erfolgreichen Alterns sei sehr komplex. Er sei durch eine ausgewogene Mischung von mindestens drei Kriterien gekennzeichnet: “Erfolgreiches Altern bedeutet das gleichzeitige Vorhandensein von einem hohen geistigen und körperlichen Funktionsstatus, einem geringen Krankheitsrisiko sowie einer aktiven Teilnahme am Leben”, verriet Jopp.
In einer Befragung [2] von 152 Hundertjährigen waren die fünf häufigsten Gründe für das hohe Alter
- der eigene Lebensstil,
- der Glaube,
- das Lebensmanagement oder die Adaptationsfähigkeit,
- die persönliche Einstellung und
- Arbeit.
Die optimale Anpassung an den Alterungsprozess wird durch die persönlichen Überzeugungen getriggert, die bestimmte Anpassungsstrategien unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen ermöglichen: “Daher brauchen wir für Hochbetagte neue Kriterien, um deren erfolgreiches Altern zu erfassen. Während wir bei Älteren unter 80 Jahren vor allem auf körperliche Faktoren wie ein geringes Risiko für Krankheiten achten, müssen wir bei sehr alten Menschen viel stärker psychologische Faktoren berücksichtigen”, rät Jopp [3].
Gesundheitliche Probleme kommen oft erst spät
Die Altersforschung sucht daher nach neuen Modellen, die umfassender diejenigen Kriterien berücksichtigen, die ein erfolgreiches Altern ermöglichen. Diese Modelle könnten beispielsweise zur Entwicklung von Interventionen und Präventionen speziell für diese Altersklasse helfen.
Der Gesundheitsstatus ist natürlich auch bei Hundertjährigen ein Thema: So haben Hochbetagte durchschnittlich fünf chronische Erkrankungen (s. Abb. 1) wie Seh- und/oder Hörprobleme (94 Prozent), Mobilitätsprobleme (72 Prozent, zum Beispiel Stürze), muskuloskelettale Erkrankungen (60 Prozent, darunter Arthritis), kardiovaskuläre Erkrankungen (57 Prozent, zum Beispiel Bluthochdruck) und Harnwegsbeschwerden (55 Prozent, etwa Inkontinenz oder Prostatabeschwerden) [4].
Allerdings manifestieren sich die Gesundheitsbeschwerden bei den meisten Hundertjährigen (69 Prozent) erst in einem hohen Alter ab 90 Jahren, sodass sie den größten Teil ihres Lebens überwiegend ohne gesundheitliche Einschränkungen leben konnten.
Der Anteil der Hundertjährigen mit Demenz scheint je nach Untersuchung zwischen 34 bis 80 Prozent stark zu variieren. Umfragen von Jopp zufolge liegt der Anteil mit kognitiven Einschränkungen unter Hundertjährigen derzeit bei circa 52 Prozent. Somit nehmen etwa die Hälfte der Hundertjährigen leichte bis starke kognitive Einschränkungen wahr, wobei die andere Hälfte keine oder wenige Einschränkungen erfährt.
Lebenszufriedenheit durch mentale Stärken
Depressionen treten durchschnittlich bei etwa 30 Prozent der über Hundertjährigen auf, insbesondere bei starker Gebrechlichkeit [5].
Trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Aktivitätseinschränkungen und wenigen Sozialpartnern sind über 80 Prozent der Hundertjährigen mittel (36 Prozent) bis sehr zufrieden (46 Prozent) mit ihrem Leben, da sie erfolgreich Strategien zur Problembewältigung entwickelt haben. Akzeptanz, Emotionskontrolle und Umbewertung gehören beispielsweise zu den mentalen Stärken von Hundertjährigen, wie Jopp in ihren Umfragen herausfand.
Kennzeichnend für erfolgreiches Altern ist eine gelungene Adaptation an die alterstypischen Stressoren: “Die Lebenszufriedenheit dieser Menschen hängt vor allem von einem positiven Blick auf die Zukunft, vom Zusammenleben mit anderen Menschen und davon ab, ob sie glauben, noch selbstständig handeln zu können”, erläutert die Psychologin [3].
Optimismus und Lebenswille sind die wichtigsten Prädiktoren für die Lebenszufriedenheit in dieser Altersgruppe. Die eigene Überzeugung zur Handlungsfähigkeit, die persönliche Einstellung (Lebenssinn) und weitere Leitmotive wie Berufung und Passion gehören zu den wichtigsten Stärken von Hundertjährigen.
Zukünftige Interventions- und Präventionsmaßnahmen für Hochbetagte sollten mentale Unterstützungen bieten und auch an die Bedürfnisse nach Sinn und Kompetenzerleben angepasst werden, rät Jopp. In medizinischer Hinsicht können Pflegende und Ärzte beispielsweise für die hohe Prävalenz von Schmerzen bei sehr alten Menschen und für die regelmäßige Anpassung der Hilfsmittel wie Brillen und Hörgeräte stärker sensibilisiert werden.
Literatur
- Christensen et al. Ageing populations: the challenges ahead. Lancet. 2009 Oct 3;374(9696):1196-1208
- Jopp et al. Life at Age 100: An International Research Agenda for Centenarian Studies. Journal of Aging & Social Policy. 2016:28(3)
- www.dggeriatrie.de/images/Dokumente/180816-keynote-lecture-daniela-jopp.pdf
- Jopp et al. Health and Disease at Age 100: Findings from the Second Heidelberg Centenarian Study. Dtsch Arztebl Int 2016;113(12):203-210
- Ribeiro et al. Frailty and depression in centenarians. International Psychogeriatrics 2018;30(1): 115-124
Quelle: Jopp D. Erfolgreiches Altern bei Hundertjährigen. DGGG/DGG-Jahreskongress, Köln, 6.9.18