Bei einem akuten Leberversagen ist die Funktion der Leber plötzlich gestört. Zwischen 200 bis 500 Patienten entwickeln pro Jahr in Deutschland das lebensbedrohliche Krankheitsbild des akuten Leberversagens (ALV).
Die Datenlage in Bezug auf Epidemiologie, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten ist noch lückenhaft. Am häufigsten wird das akute Leberversagen durch eine Infektion der Leber mit Viren (Hepatitis) oder durch giftige Stoffe wie Medikamente, Drogen, Knollenblätterpilze oder Chemikalien hervorgerufen.
Die Patienten bekommen Gelbsucht, haben Gerinnungsstörungen, werden schläfrig oder fallen ins Koma. Eine Ursache für akutes Leberversagen können neben Paracetamol als Arzneimittelhauptverursacher vor allem Medikamente mit Wirkung auf das zentrale Nervensystem sein [1].
ZNS-wirksame Pharmaka
Die zu betrachtenden Arzneimittel ergeben sich aus den von Selim und Kaplowitz und von Telles-Correia und Kollegen als hepatotoxisch identifizierten psychotropischen Arzneimittel bei akutem Leberversagen (ALV) [2, 3].
Die Marktrücknahmen psychotroper Arzneimittel seit 1999, wie Kava-Kava, Desipramin, Nefazodon und Tacrin, vor allem wegen Leberschäden, zeigen die Notwendigkeit, vorhandene Daten zu analysieren und das Meldewesen unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu intensivieren [4].
Antidepressiva
Alle hier betrachteten Antidepressiva werden in der Leber über Cytochrom P450 metabolisiert (der Subtyp ist in Klammern benannt).
Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin (CYP 2D6) und Duloxetin (CYP 2D6) zeigen in der Europäischen Nebenwirkungsdatenbank ähnlich hohe Fallzahlen (25 bzw. 26 Fälle). In den Fachinformationen findet sich bezüglich akuten Leberversagens bei Venlafaxin kein Eintrag, während die Texte bei Duloxetin “akuten Leberschaden” als gelegentliche Wirkung aufführen.
Bei den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern stechen in der Europäischen Datenbank Sertralin (CYP2C19) mit 16 Meldungen, (Fachinfo: seltene Nebenwirkung), Paroxetin (CYP2D6) mit 18 Meldungen (Fachinfo: sehr seltene Nebenwirkung) und Fluoxetin (CYP2D6) mit 14 Fällen hervor.
Bei den anderen Antidepressiva fallen mit mehr als 10 Fällen nur Escitalopram (CYP2C19) mit 11 Meldungen, Amitriptylin (CYP2D6) mit 16 und Mirtazapin (CYP 2D6) mit 10 Fällen ins Gewicht [6, 7, 8].
Neuroleptika
Die Leber ist auch für Neuroleptika das maßgebliche Metabolisierungsorgan. Auch hier steht Cytochrom P450 im Vordergrund:
Clozapin (über CYP1A2 und CYP3A4 und in geringerem Ausmaß durch CYP2C19 und CYP2D6) findet sich in der Europäischen Nebenwirkungsdatenbank mit 20 Einträgen zu akutem Leberversagen.
Olanzapin (CYP1A2 und CYP2D6) ist mit immerhin 31 Fällen beschrieben, während Risperidon (CYP 2D6) mit 12 Einträgen vertreten ist.
Die häufigsten Meldungen des ALV verzeichnet Quetiapin (CYP3A4), das extensiv in der Leber metabolisiert wird, mit 36 Fällen. Zu Quetiapin gab es schon 2006 eine Warnmeldung der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft bezüglich häufigem Leberversagen [5, 6, 7, 8].
Unter den Benzodiazepinen ist im Zusammenhang mit akutem Leberversagen nur Diazepam erwähnenswert. Der Abbau von Diazepam erfolgt hauptsächlich in der Leber zu den ebenfalls pharmakologisch aktiven Metaboliten N-Desmethyldiazepam (Nordazepam), Temazepam und Oxazepam. Es sind 16 Fälle von ALV in der Europäischen Datenbank beschrieben.
Antiepileptika
Vor und während der Behandlung mit Antiepileptika sollen die Leberwerte kontrolliert werden, da erhöhte Leberwerte und Lebererkrankungen häufig vorkommen.
Carbamazepin wird in der Leber oxidiert, desaminiert, hydroxyliert und anschließend mit Glucuronsäure verestert. Die Europäische Datenbank verzeichnet 58 Fälle akuten Leberversagens.
Valproinsäure unterliegt der Biotransformation durch Glukuronidierung (etwa 40 Prozent), hauptsächlich über UGT1A6, UGT1A9 und UGT2B7, sowie der Beta-, Omega- und Omega-1-Oxidation. Häufig und dosisunabhängig auftretende, schwerwiegende bis tödlich verlaufende Leberschädigungen spiegeln sich auch in der Datenbank wieder. Von den hier untersuchten Arzneistoffen hat es mit 214, davon 92 tödlich verlaufenden Ereignissen, einen unrühmlichen Rekord.
Lamotrigin wird über UDP-Glucuronyltransferasen metabolisiert. Das akute Leberversagen wird in den Fachinformationen als sehr seltenes Ereignis angegeben, während in der Datenbank 54 Fälle dokumentiert sind.
Dies steht in gewissem Widerspruch zu der Tatsache, dass die Fachinformationen von Topiramat (wird nur zu 20 Prozent metabolisiert: Es entstehen sechs Metabolite durch Hydroxylierung, Hydrolyse und Glucuronidierung.) ALV als immerhin seltene unerwünschte Wirkung angeben und in Europa “nur” 30 Fälle gemeldet sind.
Gabapentin, das laut Hersteller selten hepatotoxisch wirkt, ist auch insofern unter den Antiepileptika ungewöhnlich, da es keinen Hinweis auf eine Metabolisierung beim Menschen gibt. In der Europäischen Datenbank finden sich 15 Einträge zu akutem Leberversagen.
Aber auch Pregabalin wird beim Menschen nicht nennenswert metabolisiert. Das N-Methyl-Derivat, der Hauptmetabolit von Pregabalin, macht 0,9 Prozent der Dosis im Urin aus. Das akute Leberversagen wird als sehr seltenes Ereignis in den Fachinformationen angegeben. Die Europä-ische Datenbank der unerwünschten Arzneimittelwirkungen enthält 23 dokumentierte Fälle von ALV [6, 7, 8].
Fazit
Das akute Leberversagen ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild und sollte, vor allem bei vorgeschädigter Leber, als Risiko beachtet werden.
Als Ursache von unerwünschter Arzneimittelwirkung tritt ALV, in Bezug auf die hier untersuchten Wirkstoffe, bei dem Neuroleptikum Quetiapin und den Antiepileptika Carba-mazepin, sowie Lamotrigin und angeführt von Valproinsäure, am häufigsten auf. Die Fachinformationen und Packungsbeilagen sollten bezüglich des Risikos des akuten Leberversagens immer wieder angepasst werden.
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
- A. Canbay et. al.: Akutes Leberversagen – Ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, Deutsches Ärzteblatt International, 108(42): 714-20, 2011
- K. Selim, N. Kaplowitz: Hepatotoxicity of Psychotropic drugs, Hepatology Volume 29, No. 5, 1347-1351, 1999
- D. Telles-Correia et. al.: Psychotripic drugs and liver disease: A critical review of pharmacokinetics and liver toxicity, World Journal of Gastrointestinal Pharmacology and Therapeutics, 8 (1); 26-38, 2017
- DrugDatenbank: https://go.drugbank.com, Canadian Institut of Health Reserche, Alberta
- Arzneimittelkomission der Deutschen Ärzteschaft: Leberversagen durch Quetiapin, Deutsches Ärzteblatt, 103(5), 2006
- P. Schweikert-Wehner: Nebenwirkung von Antidepressiva – Serotonin im Überschuss, Pharmazeutische Zeitung; 160 Jahrgang; 9. Ausgabe; 22-24; 2015
- www.adrreports.eu, Europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen der EUROPEAN MEDICINES AGENCY, Stand: 12.2022
- Fachinformationen: Venlafaxin-ratiopharm®, Duloxetin-ratiopharm®, Sertralin-ratiopharm®, Paroxetin-ratiopharm®, Fluoxetin-ratiopharm®, Escitalopram-ratiopharm®, Amitriptylin-neuraxpharm®, Mirtzapin-neuraxpharm®, Clozapin-neuraxpharm®, Olanzapin-neuraxpharm®, Risperidon-ratiopharm®, Quetiapin-ratiopharm®, Diazepam-ratiopharm®, Carbamazepin-ratiopharm®, Valproinsäure-ratiopharm®, Lamotrigin-ratiopharm®, Topiramat-ratiopharm®, Gabapentin-ratiopharm®, Pregabalin-neuraxpharm®