Neurologische Erkrankungen, die Gangstörungen, Schwindel und Stürze verursachen können, treten meistens im höheren Lebensalter auf. Häufig überlagern sie sich mit altersassoziierten Problemen, zum Beispiel Gebrechlichkeit bei Sarkopenie, Schmerzen bei Osteoporose oder Sehstörungen im Rahmen einer Makuladegeneration.
Während aufrechtes Stehen schon ein komplexer Vorgang ist, ist das Gehen ein noch komplizierterer Vorgang. Allein die Schrittinitiierung basiert auf einer stereotypen, zeitlich genauen Abfolge verschiedener Gewichtsverlagerungen in verschiedene Richtungen, die völlig automatisiert (unbewusst) ablaufen, ohne die das Spielbein aber nicht sicher vom Boden abgehoben werden kann. Die Kompetenz zu diesen physiologischen Abläufen kann auf verschiedenen Ebenen gestört sein: Die Schrittinitiierung wird in der Regel mit dem Frontalhirn assoziiert und kann bei Normaldruckhydrozephalus oder Morbus Parkinson gestört sein. Die Gangzentren im Mittelhirn sind wahrscheinlich für den Rhythmus des Gehens und die Schrittweite verantwortlich. Das Kleinhirn sorgt für die zeitliche Koordination der entsprechenden komplexen Muskelaktivierungen.
Klassifikation
Die Beobachtung des Gangbildes erlaubt in vielen Fällen eine Klassifikation der Gangstörung auf der Syndromebene, die häufig zu einer Diagnose führt. Dabei sind durchaus Überlagerungen verschiedener Syndrome möglich. Die wichtigsten Gangsyndrome sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Parkinson-Erkrankung
Die Parkinson-Erkrankung beginnt schleichend, meistens einseitig. Die Gangstörung etabliert sich in der Regel erst nach einer Krankheitsdauer von ein bis vier Jahren. Allgemeine Bewegungsverlangsamung, Rigor (unter anderem mit HWS-Beschwerden) oder ein diskreter einseitiger Ruhetremor treten in der Regel früher auf.
Während eine Gangverlangsamung und das verminderte Mitschwingen der Arme zunächst mit den üblichen Medikamenten (Levodopa, Dopaminagonisten) gut behandelbar ist, können im weiteren Verlauf (nach 10 bis 12 Jahren) die therapierefraktären Symptome des Festfrierens (freezing), der Festination und der Sturzgefahr hinzukommen. Die Sturzgefahr basiert auf einem Fehlen der Gleichgewichtsreflexe.
Zur Prüfung der Gleichgewichtsreflexe ist der einfache Pull-Test anzuwenden: Der Untersucher, der hinter dem Patienten steht, zieht den Patienten nach Vorwarnung mit einem Ruck an den Schultern nach hinten, sodass dieser einen Ausfallschritt machen muss. Kommt kein Ausfallschritt zustande oder werden drei bis vier Schritte zum Ausgleichen benötigt, sind die Gleichgewichtsreflexe reduziert. Der Untersucher muss hierbei natürlich in der Lage sein, den Patienten aufzufangen.
Atypische Parkinson-Syndrome
Die atypischen Parkinson-Syndrome (Multisystematrophie und progressive supranukleäre Blicklähmung) können verschiedene Symptome verursachen: spastische Gangstörung, ataktische Gangstörung oder auch eine ausgeprägte Verlangsamung, die mit einer Parkinson-Gangstörung zu verwechseln ist. Bei der progressiven supranukleären Blicklähmung treten früh im Verlauf (1 bis 2 Jahre nach Symptombeginn) Stürze auf und die Gleichgewichtsreflexe sind vermindert (Pull-Test, siehe oben). Diese im Krankheitsverlauf frühe Verminderung der Gleichgewichtsreflexe wäre für eine klassische Parkinson-Erkrankung ungewöhnlich. Bei der progressiven supranukleären Blicklähmung kommt eine Schwäche der konjugierten Blickhebung hinzu (nach 2 bis 4 Jahren), die pathognomonisch für die Erkrankung ist.
Parkinson-Medikamente sind bei diesen beiden atypischen Parkinson-Erkrankungen von äußerst begrenztem Nutzen. Die Lebenserwartung ist erheblich reduziert (auf 5 bis 6 Jahre nach Symptombeginn).
Schlaganfall
Die Gangstörung nach Schlaganfall ist in der Regel durch eine halbseitige Spastik mit Tonuserhöhung eines Beins, eventuell auch mit zusätzlicher Lähmung einer Hand, gekennzeichnet. Auch wenn das Bein aktiv kaum innerviert werden kann, sorgt die Spastik dafür, dass es wie eine Stelze eingesetzt werden kann und der Patient somit eingeschränkt gehen kann.
Physiotherapeutische Gangschulung sowie regelmäßiges aktives und passives Durchbewegen der Muskulatur (Heimtrainer) sorgen für einen Erhalt der Gangfähigkeit.
Normaldruckhydrozephalus
Der Normaldruckhydrozephalus ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Die klassische Trias Gangstörung (Gangapraxie), Demenz und Inkontinenz muss nicht immer vorhanden sein. In der Bildgebung (MRT) zeigt sich eine Erweiterung der inneren Liquorräume mit Resorptionszonen an deren frontalem Rand. Durch einen Liquor-Ablassversuch (40 ml) ergeben sich gelegentlich dramatische Besserungen des Gangbildes, fast bis zur Normalisierung. In diesen Fällen wird ein ventrikulär-peritoneales Shuntsystem eingesetzt, das die Gangstörung langfristig bessern kann.
Schwindel
Gangstörungen bei Schwindel sind außerordentlich vielgestaltig, da sich auch die Schwindelsyndrome insbesondere im Zeitverlauf (akuter Schwindel, chronischer Schwindel) unterscheiden (Tab. 2). Bei einem hohen Anteil der Schwindelpatienten wird keine organische Ursache gefunden, hier nimmt man eine psychosomatische Ursache der Beschwerden an. Bei sachgemäßer Aufklärung der Patienten und gegebenenfalls Medikation (Antidepressiva) sind auch diese Symptome therapierbar.
Medikation
Wenn Gangstörungen vorhanden sind, sollte neben dem Versuch einer Diagnosesicherung auch die Medikation des Patienten überprüft werden. Hier stehen alle Medikamente im Fokus, die eine anticholinergeWirkung haben können, da diese besonders bei älteren Menschen eine Sturzgefahr sowie die Gefahr von Verwirrtheit oder eines Delirs beinhalten können. Die Liste dieser Medikamente ist außerordentlich lang (siehe Tab. 3).
Polyneuropathie
Die Gleichgewichtstörung bei Polyneuropathie (z. B. bei Diabetes mellitus) äußert sich besonders im Dunkeln: Hier fällt das Sehen als stabilisierender Faktor weg, der Lagesinn der Extremitäten ist durch die Polyneuropathie beeinträchtigt und das Gleichgewichtssystem allein kann nicht für eine ausreichende Gang- und Standsicherheit sorgen. Der Patient wird also im Dunkeln außerordentlich unsicher gehen. Die Polyneuropathie äußert sich häufig auch durch Hypästhesie der Extremitäten (vermindertes Vibrationsempfinden) und gelegentlich auch durch brennende Schmerzen und kribbelnde Missempfindungen, die nächtlich betont sind. Der Achillessehnenreflex ist bei schwerer Polyneuropathie in der Regel ausgefallen.
Multifaktorielle Gangstörungen
Multifaktorielle Gangstörungen sind besonders bei gebrechlichen Menschen häufig, da das Sehen, das Hören und die Sensibilität reduziert sind (Polyneuropathie). Hinzu kommt eine verminderte Muskelmasse, da nicht nur bei Mangel an Bewegung, sondern allein durch den Alterungsprozess ein physiologischer Muskelschwund (Sarkopenie) zu verzeichnen ist. Nicht selten sind diese Patienten auch durch kognitive Einschränkungen nicht vollständig in der Lage, in dieser Situation vorgeschlagene Hilfsmittel (Geländer, Hilfe durch andere Personen) ausreichend in Anspruch zu nehmen: Sie laufen einfach los und stürzen. Das daraus resultierende therapeutische Dilemma ist ungelöst: Soll man den Patienten in einen Rollstuhl zwingen und damit immobilisieren, wodurch die Sturzgefahr gebannt wäre, oder soll man die Mobilität erhalten und damit das Sturzrisiko in Kauf nehmen?
Behandlung und Maßnahmen
Während orthopädische und internistische Probleme, die Gangstörungen verursachen, häufig recht gut therapiert werden können, sind die neurologischen Gangstörungen, mit Ausnahme der frühen Parkinson-Erkrankung und einiger Fälle von Normaldruck-hydrozephalus, schwer behandelbar.
Physiotherapie für den Betroffenen und Aufklärung des Patienten und der Angehörigen haben daher einen sehr hohen Stellenwert bei neurologischen Gangstörungen. Selbstverständlich müssen auch Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden (Hüftprotektoren, Haltegriffe im Haus, Beseitigung von Stolperfallen). In jedem Falle sollte die Medikationsliste genauestens überprüft werden, um Verwirrtheitszustände und kognitive Einschränkungen, die schnell zu Sturz und Morbidität führen, zu vermeiden.
Fazit
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Neurologische Gangstörungen können in der Regel einem nervalen Subsystem zugeordnet werden.
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Häufig treten Überlagerungen zwischen neurologischen Symptomen und den Symptomen anderer Fachgebiete auf.
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Bei Gangstörungen und auch bei kognitiven Einschränkungen ist immer die Medikation auf mögliche anticholinerge Potenz zu überprüfen.
Literatur beim Verfasser.
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.