Der Fall Kopfschmerzen hat doch jeder mal?

Eine 32-jährige Patientin klagt über wiederkehrende Kopfschmerzen. Steckt etwas Ernstes dahinter?

Kopfschmerz vom Spannungstyp gehört zusammen mit der Migräne zu den am häufigsten auftretenden Kopfschmerzen.

Das sagt der Hausarzt

von Dr. med. Hans Michael Mühlenfeld, Gemeinschaftspraxis für Familienmedizin, Bremen

Ich frage nach, wie lange Frau R. die Schmerzen schon hat, wo genau sie am Kopf lokalisiert sind und in welchen Situationen sie stärker werden. Die Patientin sagt, dass der Schmerz an beiden Kopfseiten zu spüren sei und eher als dumpf oder drückend beschrieben werden könne.

Die Schmerzen seien nicht allzu stark, aber unangenehm und mitunter mehrere Tage andauernd. Körperliche Aktivität verstärke sie nicht, im Gegenteil seien die Beschwerden danach manchmal sogar besser oder ganz weg. Die Schmerzen würden sich aber besonders an stressigen Tagen verschlimmern.

Nach dem Anamnesegespräch führe ich eine orientierende neurologische Untersuchung durch, um Ausfälle und Funktionsabweichungen des Nervensystems zu erkennen; diese ist unauffällig. Ich bitte dann meine VERAH, den Blutdruck der Patientin zu messen und ihr den Kopfschmerzfragebogen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes auszuhändigen (s. Link-Tipp). In der Zwischenzeit versorge ich weitere Patienten.

Die Informationen aus dem Kopfschmerzfragebogen helfen, die Symptome für die Schmerzen besser einzugrenzen und abwendbar gefährliche Verläufe zu erkennen:

  • intrazerebrale Blutung (ICB): stärkste Kopfschmerzen (“Vernichtungskopfschmerz”)
  • erstmaliges Auftreten im hohen Lebensalter oder neuartiger Schmerzcharakter
  • Migräne mit Hirnstammaura/Schädel-Hirn-Trauma/ICB: neurologische Begleitsymptome, psychomotorische Verlangsamung oder Vigilanzminderung
  • Hirndruckzeichen (zum Beispiel morgendlicher Kopfschmerz mit Nüchternerbrechen)
  • Meningitis/ICB: Meningismus, Fieber
  • Arteriitis: Schmerzen im Bereich der Arteria temporalis superficialis
  • Glaukomanfall: Bulbusschmerz

Der Kopfschmerzfragebogen fragt nicht nur Red Flags ab, sondern dokumentiert zeitgleich Patientenhistorie und bereits erfolgte Diagnostik. Er wird im Anschluss im System eingescannt. Schnell bin ich überzeugt, dass es sich hier um Spannungskopfschmerzen handelt.

Ich kläre Frau R. darüber auf, dass hinter dieser Art von Kopfschmerzen nur selten eine andere Erkrankung steckt und rate ihr dazu, einen regelmäßigen Tagesrhythmus einzuhalten, regelmäßig körperlich aktiv zu werden (moderater Ausdauersport, dreimal die Woche für mindestens 30 bis 45 Minuten), viel an die frische Luft zu gehen und ausreichend Zeit für Entspannung einzuplanen. Gemeinsam entscheiden wir uns für dieses Vorgehen und einen Kontrolltermin nach sechs Wochen.

Interessenkonflikte: Dr. Mühlenfeld ist Vorsitzender des IHF.

Das sagt der Facharzt

von Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul, Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie, Neurologische Intensivmedizin Kopfschmerzzentrum Frankfurt

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp ist häufig, führt aber im Vergleich zur Migräne viel seltener zum Arztbesuch und wird oft in der Selbstmedikation mit Analgetika aus der Apotheke behandelt. Dabei ist die Diagnose keineswegs so trivial, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag (“Kopfschmerz hat doch jeder mal”).

So können sich Kopfschmerzen nach einem Schädel(hirn)trauma, nach einer Meningitis oder nach Covid-19 klinisch bei jedem zweiten Betroffenen ebenfalls so präsentieren wie ein Kopfschmerz vom Spannungstyp.

Die ärztliche Anamnese ist dann der Schlüssel zur korrekten Diagnose und gegebenenfalls notwendigen Überweisung zum Facharzt oder zur Zusatzdiagnostik. Wenn es anamnestisch keinen Hinweis auf solche Erkrankungen gibt, ist eine körperliche Untersuchung zur Diagnostik ausreichend. Der Fragebogen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (s. oben) kann eine gute Unterstützung bei der Diagnostik sein.

Bei mindestens der Hälfte der Betroffenen besteht eine erhöhte perikraniale Druckempfindlichkeit der Muskulatur, die durch Palpation diagnostiziert werden kann. Bei gelegentlichen Kopfschmerzen vom Spannungstyp kann zur akuten Schmerzlinderung Pfefferminzöl auf Stirn und Schläfen aufgetragen werden, was für viele Betroffene ausreicht.

Auch physikalische Maßnahmen wie Eisabreibungen der Muskulatur oder Wärme können hilfreich sein; des Weiteren helfen einfache Übungen zum Dehnen und Detonisieren der Muskulatur. Das rechtzeitige Einlegen kurzer Pausen, progressive Muskelrelaxation und Bewegung können die Beschwerden gut lindern.

Stärkere Kopfschmerzen vom Spannungstyp können auch mit Paracetamol, Ibuprofen oder der Kombination aus Acetylsalicylsäure (ASS), Paracetamol und Koffein gut behandelt werden.

Dabei ist es wichtig, dass es bei einer gelegentlichen Einnahme bleibt: Sie sollte nicht häufiger als an drei Tagen in Folge und an weniger als zehn Tagen im Monat erfolgen. Tritt der Kopfschmerz vom Spannungstyp chronisch (das heißt an 15 oder mehr Tagen im Monat) auf, kann eine prophylaktische Medikation mit Amitriptylin am Abend versucht werden.

Sinnvoll ist dabei ein langsames Aufdosieren beginnend mit Tropfen am Abend. Da vom chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp häufig ältere Menschen betroffen sind, ist besonders auf die kognitiven Nebenwirkungen, EKG-Kontrollen und Interaktionen zu achten.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen (Bewegung, Entspannungsverfahren) und Stressbewältigungstraining sollten die Basis der Therapie darstellen. Der Kollege hat Frau R. mit seinem Vorgehen wahrscheinlich gut helfen können!

Interessenkonflikte: Dr. Gaul ist selbstständig als Facharzt für Neurologie, spezielle Schmerztherapie im Kopfschmerzzentrum Frankfurt tätig und Autor des oben genannten Patientenratgebers. Referentenhonorare und Advisory Boards der letzten 3 Jahre: Allergan Pharma, TEVA-Ratiopharm, Lilly, Novartis Pharma, Hormosan Pharma, Lundbeck, Perfood, Sanofi, Chordate, Grünenthal. Kein Besitz von Aktien oder Anteilen pharmazeutischer Unternehmen. Ehrenamtlicher Generalsekretär der DMKG.

Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp gehört zusammen mit der Migräne zu den am häufigsten auftretenden Kopfschmerzen. Die Diagnose basiert auf der Kopfschmerzanamnese und dem Ausschluss anderer Diagnosen, wobei die klinischen Kriterien der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen [1] zugrunde gelegt werden.

Die diagnostischen Kriterien umfassen dabei vor allem Charakteristika, die nicht auftreten sollen, was die Diagnose erschwert. Typisch für den Kopfschmerz vom Spannungstyp ist demnach:

  • Schmerzcharakter nicht pulsierend, sondern drückend oder beengend
  • Schmerz ist normalerweise beidseitig lokalisiert
  • leichte bis mittlere Schmerzintensität
  • keine Verstärkung bei körperlicher Aktivität wie Gehen oder Treppensteigen
  • entweder Photophobie oder Phonophobie, nicht beides
  • weder Übelkeit noch Erbrechen (außer milde Übelkeit beim chronischen Kopfschmerz, dann aber keine Photo- bzw. Phonophobie).

Die genauen diagnostischen Kriterien finden sich in [1] . Der “chronische Kopfschmerz vom Spannungstyp” tritt dabei an durchschnittlich mindestens 15 Tagen pro Monat für über drei Monate ( ≥ 180 Tage/Jahr) auf; beim “episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp” wird je nach Häufigkeit der Kopfschmerzepisoden zwischen einer selten und einer häufig auftretenden Form unterschieden.

Zur Akuttherapie sind laut der sich in Überarbeitung befindenden S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [2] Analgetika wie ASS, Paracetamol, Ibuprofen oder Naproxen sowie eine Kombination aus ASS, Paracetamol und Koffein empfehlenswert. Auch gebe es Hinweise für die Wirksamkeit der lokalen Anwendung von Pfefferminzöl auf Schläfen und Nacken.

Laut Deutscher Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft können für die Selbstmedikation bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp folgende Therapien als First-Line-Therapie empfohlen werden: die Fixkombination aus Paracetamol, ASS und Koffein sowie die Fixkombination aus Paracetamol und Koffein sowie die Monotherapien mit Ibuprofen oder ASS oder Diclofenac [3].

Schmerzmittel sollten demnach allerdings nicht häufiger als zehn Mal pro Monat eingenommen werden, um das Auftreten des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes, der ähnliche Symptome wie der Kopfschmerz vom Spannungstyp hat, zu vermeiden.

Tritt der Kopfschmerz vom Spannungstyp chronisch auf, sollte eine prophylaktische Therapie in Betracht gezogen werden. Diese soll medikamentöse Strategien (zu den Mitteln der ersten Wahl zählt zum Beispiel Amitriptylin) und nichtmedikamentöse Strategien (wie Biofeedback, Entspannungs- und Physiotherapie, Lebensstilmodifizierung, Akupunktur) beinhalten.[4]

Quellen:

1. Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, dritte Auflage, www.hausarzt.link/z5tRT

2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S1-Leitlinie “Therapie des episodischen und chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp und anderer chronischer täglicher Kopfschmerzen”. AWMF-Registernummer: 030/077

3. doi 10.1007/s10194-010-0266-4

4. doi 10.1038/s41572-021-00257-2

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