Ärzte mit naturheilkundlichem Interesse sollten die Möglichkeiten der Ernährung maximal ausschöpfen. Sie ist eine der fünf Therapiegruppen der Naturheilkunde.
Zunächst hilft eine umfassende Ernährungsanamnese, die heute professionell mit Spezialsoftware über Piktogramme auf einem Touchscreen erfolgt. Einen vom Patienten selbstständig auszufüllenden Fragebogen stellt das Robert-Koch-Institut über sein Projekt DEGS (Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland) kostenfrei zur Verfügung. Auch ohne aufwendige Instrumente lassen sich in weniger als zehn Minuten wichtige Punkte eruieren (Tab. 1).
Säuberung, Schonung, Schulung
Aus den Antworten können in der Regel eine Fülle von Vorschlägen für Experimente abgeleitet werden. Die Grundrichtung ist einfach und zum Teil der Philosophie des Arztes Franz Xaver Mayr (1897–1965) entlehnt. Dieser hat sicherlich etwas dogmatisch, aber vermutlich als erster Arzt „Säuberung, Schonung und Schulung“ des gereizten Darms (und damit des gesamten Verdauungsapparates) zum obersten Ziel gesetzt:
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Geringere Anforderungen durch gut vorbereitete, überwiegend erhitzte Mahlzeiten, sorgfältige Nutzung von Gewürzen und Kräutern
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Günstige Begleitumstände wie Ruhe beim Essen, gründliches Kauen, Einspeicheln und Schlucken, angenehme mittlere Temperaturen (ca. 25 bis 35°C) von Speisen und Getränken, eher kleinere Portionen.
Individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte hyperkinetische Effekte von Kohlensäure, Nikotin und Kaffee sowie hypokinetische Effekte von Alkohol sind leicht erklärt und prüfbar.
Insbesondere bei Dyspepsie können Gewürze und Küchenkräuter entgegen landläufiger Meinung aufgrund ihrer sekretions- und motilitätsfördernden Eigenschaften sehr günstig wirken. Befürchtete Steigerungen der Säureproduktion sind nicht anzunehmen, geschweige denn jemals sauber bewiesen worden. In einer ayurvedischen Ernährungsberatung spielen sie eine zentrale Rolle.
Die Verkleinerung der Portionen mit entsprechender Erhöhung der Mahlzeitenfrequenz ist aus metabolischer Sicht vermutlich ungünstig, hier müssen Kompromisse eingegangen werden.
Grundsätze
Angesichts einer Flut von Publikationen erscheinen zwei Grundsätze wichtig:
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Jede Symptombesserung durch Ernährungsumstellung wird sich relativ schnell in maximal vier Wochen einstellen. Experimente können also rasch modifiziert werden, eine erfolglose Abstinenz von Laktose, Gluten, Histamin usw., auch in jeder Kombination, muss nicht heroisch bis stoisch über lange Zeiträume durchgezogen werden. Ichschwache oder zu Depressivität neigende Patienten finden hier leicht ihre Stigmata.
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Der Patient muss sich von allen Kolportagen einer „gesunden Ernährung“ lösen und seine Symptomkontrolle priorisieren. Hat er ein befriedigendes Regime gefunden, das er möglicherweise für „ungesund“ hält, kann eine versierte Ernährungsberaterin ihn bezüglich einer ausreichenden Nährstoffversorgung beraten, unterstützt vom Arzt, der Serumparameter misst und ggf. Nahrungsergänzungsmittel verordnet. Leider werden die Möglichkeiten zur Kostenübernahme durch GKV und PKV viel zu selten genutzt.
Meteorismus steht oft im Vordergrund und erweist sich als schwer therapierbar. Im günstigsten Fall liegt Aerophagie zugrunde. Schon die physiologische Gaspassage von ca. 2,5 l/Tag [1] besteht überwiegend aus Aerophagie und kann Beschwerden verursachen. Dieses Volumen wird leicht bei falscher Atemtechnik oder Sprechen während des Kauens und Schluckens gesteigert. Neben der Gasproduktion ist seine Verteilung und Resorptionsmöglichkeit entscheidend für das Beschwerdebild [2].
Praktisches Vorgehen
Beim praktischen Vorgehen kann zunächst eine temporäre Entlastung des Verdauungstrakts sowohl gegenüber spezifischen Bestandteilen der Ernährung wie auch ihrer generellen stofflichen Breite („Antigenflut“) sinnvoll sein. Der Einfluss von Lebensmittelzusatzstoffen wird von den Patienten wohl auch wegen ihres generell negativen Images eher überschätzt.
Mit weiteren Anregungen können die Anforderungen an das Verdauungssystem zurückgenommen werden, insbesondere durch einen höheren Anteil erhitzter Kost und kritische Auswahl der Kohlenhydrate. Diese haben auf die Transitzeit, aber auch auf die Ausbildung von Meteorismus einen entscheidenden Einfluss.
Unverträglichkeiten und Malabsorption
Häufige Kohlenhydratmalabsorptionsformen insbesondere für Laktose, Fruktose und/oder Maltose können zu Dyspepsie und Reizdarm beitragen. Ein positives Testergebnis darf im Einzelfall nicht automatisch ätiologisch gewertet werden. Während Patienten einer Spezialambulanz für Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach diagnostizierter Laktose-Unverträglichkeit in bis zu 80 Prozent der Fälle von einer Laktose-Abstinenz profitierten, ergaben sich für andere, weniger gefilterte Patientengruppen eher enttäuschende Resultate [3].
Unverträglichkeiten für kleinmolekulare Zucker werden neuerdings umfassender im Konzept der FODMAP-armen Ernährung (fermentable oligo-di-monosaccharides and polyols) berücksichtigt [4]. Diese gehört inzwischen zum Rüstzeug jeder Ernährungsberatung, benötigt keine individuellen Testergebnisse und ist das bestuntersuchte und erfolgreichste Therapiekonzept bei Reizdarm überhaupt [5]. Als relativ gut verträgliche Energieträger aus Kohlenydraten bieten sich etwa Reis, Quinoa und Hirse an.
Spezielle Maßnahmen
Entlastend wirken so genannte Schalttage mit striktem, aber für jeden Patienten sehr einfach durchführbarem Regime. Immer noch aktuell ist etwa die Kempner‘sche Apfel-Reis-Diät (Kempner 1948) mit 300 g Reis pro Tag und zusätzlich sechs bis acht gedünsteten Äpfeln, die als streng kochsalzarme und zugleich kaliumreiche Kostform zugleich antihypertensiv und ausschwemmend wirkt.
Eine noch deutlichere Entlastung bis Ruhigstellung des Magen-Darm-Trakts („bowel arrest“) wird in der Naturheilkunde mit intensiv-diätetischen Maßnahmen realisiert (Tab. 2) [7, 8]. Diese werden z.B. in naturheilkundlichen Kliniken im Verbund mit anderen Maßnahmen angeboten. Je nach Ausrichtung der Klinik kommen insbesondere Entspannungsverfahren, psychotherapeutische Gespräche, Hydro-/Balneotherapie, Hyperthermie, Kolonmassagen nach Vogler oder die manuelle Bauchbehandlung nach F.X. Mayr zum Einsatz. Vollstationäre Verfahren sollen unabhängig von der Frage des Kostenträgers nur nach ausgiebigen erfolglosen Therapieversuchen erwogen werden.
CED
Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) bedürfen einer individuellen und wegen sehr wechselhafter Probleme im Verlauf insbesondere des Morbus Crohn auch wiederholter und stadienangepasster Beratung. Insbesondere bei Dünndarmbeteiligung und nach Resektionen bis hin zum Kurzdarmsyndrom müssen Mangelzustände unterstellt werden.
Bei geringer Krankheitsaktivität und Abwesenheit von Strikturen und Stenosen kann eine faserstoffreiche Ernährung zur Remissionserhaltung beitragen [8, 9]. Grundsätzlich sollte die Ernährung bei CED besonders vitalstoffreich und gut verdaulich sein.
Fazit
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Schon durch eine einfache Ernährungsanamnese lassen sich oft symptomauslösende Ernährungsbestandteile und -verhalten ausmachen.
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Grundsätzlich empfiehlt sich eine vorübergehende Schonung, ehe das Magen-Darm-System über eine stufenweise gesteigerte Belastung wieder eine biologisch hochwertige Ernährung verkraften kann.
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Verschiedene Formen der Fastentherapie können bei ungünstigen Verläufen in der Hand erfahrener Ärzte und Kliniken sinnvoll sein.
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Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen müssen individuell neben akuter Symptomatik und vorangegangenen Operationen Mangelzustände sowie günstige Einflüsse von Faserstoffen auf das Remissionsverhalten berücksichtigt werden.
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Eine stärkere Kooperation von Ärzten und Ernährungsberatung sollte angestrebt werden.
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Literatur
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1 Hader H: Meteorismus – Ursachen und gezielte Therapieansätze. Deutsches Ärzteblatt 102, (2005) A-3264.
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2 Matthews SB, Waud JP, Roberts AG, Campbell AK: Systemic lactose intolerance: a new perspective on an old problem. Postgrad Med J 81 (2005), 167-173.
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3 Dainese R, Galliane EA, De Lazzari F, Di Leo V, Naccarato R: Discrepancies between reported food intolerance and sensitization test findings in irritable bowel syndrome patients. Am J Gastroenterol 94 (7) (1999), 1892-1897.
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4 https://www.dge-medienservice.de/e-u-t-beim-reizdarmsyndrom.html
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5 Rao SS, Yu S, Fedewa A. Systematic review: dietary fibre and FODMAP-restricted diet in the management of constipation and irritable bowel syndrome.Aliment Pharmacol Ther. 2015 Jun;41(12):1256-70. doi: 10.1111/apt.13167.
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6 Lützner H: Aktive Diätetik. Fasten, Intensivdiätetik, Ernährungstherapie. Hippokrates, Stuttgart 1993
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7 Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung e.V. : Leitlinien zur Fastentherapie. ExpertInnengruppe der ÄGHE: F. Wilhelmi de Toledo, A. Buchinger, H. Burggrabe, M. Gaisbauer, G. Hölz, W. Kronsteiner, C. Kuhn, E. Lischka, N. Lischka, H. Lützner, W. May, D. Melchart, A. Michalsen, H. Müller, E. Peper, K.-L. Resch, M. Witzmann-Widderich, A. Wessel, H. Wichert, R. Stange . Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkunde 9 (2002), 189-198.
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8 Chiba M, Abe T, Tsuda H, Sugawara T, Tsuda S, Tozawa H, et al. Lifestylerelated disease in Crohn’s disease: relapse prevention by a semi-vegetarian diet. World J Gastroenterol (2010) 16(20):2484–95. doi:10.3748/wjg.v16. i20.2484 30
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9 Chiba M, Tsuji T, Nakane K, Komatsu M. High amount of dietary fiber not harmful but favorable for Crohn disease. Perm J (2015) 19(1):58–61. doi:10.7812/TPP/14-124