KongressberichtWie gelingt Gesundheitsgerechtigkeit?

Gesundheit ist nicht gleich verteilt – und das liegt nicht nur an der genetischen Ausstattung des einzelnen Individuums. Was ist zu tun, um die Situation zu verbessern? Antworten gab es bei der Tagung des Verbandes der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland.

Frauen mit niedrigem Bildungsstatus leiden etwa dreimal so oft unter Diabetes als Frauen aus höheren Bildungsgruppen.

Es sind häufig die sozioökonomischen Faktoren, die dazu führen, dass sich die Gesundheit und in der Folge auch die Lebenserwartung abhängig von sozioökonomischen Status deutlich unterscheiden. So liegt zum Beispiel die Lebenserwartung von einkommensschwachen Männern je nach Studie um bis zu 15 Jahre niedriger als die Lebenserwartung einkommensstarker Frauen [1].

Sehr deutlich zeigt sich die fehlende Gesundheitsgerechtigkeit auch bei Erkrankungen wie Diabetes und Adipositas: Frauen mit niedrigem Bildungsstatus leiden etwa dreimal so oft unter Diabetes wie Frauen aus höheren Bildungsgruppen [2].

Adipositas, einer der größten Risikofaktoren für Diabetes mellitus, tritt in niedrigeren sozioökonomischen Schichten etwa doppelt so häufig auf wie in höheren Schichten [3]. Gleiches gilt für die Prävalenz von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen: Diese stieg nur in Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status von 20,0 Prozent in den Jahren 2003 bis 2006 auf 25,5 Prozent in den Jahren 2014 bis 2017 [4].

Zugang zu medizinischer Versorgung sichern

Was mit dem Begriff ‚Gesundheitsgerechtigkeit‘ gemeint ist, verdeutlichte Prof. Claudia Luck-Sikorski aus Gera: “Gesundheitsgerechtigkeit würde bedeuten, dass Menschen – unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrem Wohnort, ihrer Herkunft oder ihrem Einkommen – die gleichen Chancen auf ein gesundes Leben und damit eine vergleichbare Lebenserwartung haben sollten.”

Doch die Realität sieht anders aus, denn Menschen mit niedrigem Einkommen haben häufig einen schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung. Sie leben oft in einer gesundheitsschädlichen Umgebung mit höherer Luft- und Wasserverschmutzung. Darüber hinaus ist ein geringeres Einkommen häufig mit schlechterer Ernährung verbunden, da gesunde Nahrungsmittel teurer sind als (ungesunde) verarbeitete Lebensmittel.

Dazu kommt, dass ärmere Menschen teils weniger körperlich aktiv sind, da ihnen keine sicheren Orte für sportliche Aktivitäten zur Verfügung stehen. “Diese Umstände erhöhen das Risiko für verschiedene Krankheiten – von Atemwegserkrankungen bis hin zu psychischen Erkrankungen”, erklärte die Expertin für psychische Gesundheit.

Passgenaue Präventions- und Therapie-Angebote machen

Um für Patienten mit Adipositas und Diabetes mehr Gesundheitsgerechtigkeit unabhängig vom sozioökonomischen Status zu erreichen, erwiesen sich laut Studien folgende Maßnahmen als vielversprechend [1,2,3]: Die Berücksichtigung von Lebensmittelpreisen und der politische Mut zu Steuerentscheidungen.

“Denn es ist bekannt”, so Luck-Sikorski, “dass hochwertigere Ernährung tendenziell mit höheren Kosten verbunden ist und es gäbe Möglichkeiten, diese Zugangsbeschränkung zu verringern und gesunde Ernährung auch Menschen mit niedrigem Einkommen zu ermöglichen.”

Zudem ist eine zielgruppenspezifische Ansprache erforderlich, die sowohl Geschlechtsunterschiede als auch unterschiedliche Bildungsgrade der Patienten berücksichtigt und ihnen passgenaue Therapie- und Präventionsangebote unterbreitet.

“Die Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas und Diabetes hilft nicht weiter, vielmehr benötigen wir empathische, patientenorientierte Angebote”, erklärte Luck-Sikorski. Anstatt über Kosten für das Gesundheitssystem zu diskutieren, sollten soziale Unterschiede anerkannt und ein Fokus auf vulnerable Gruppen gelegt werden.

Potenzial der Diabetesberatung ausschöpfen

“Diabetesberater sind eine bewährte und unverzichtbare Ressource in der ambulanten und stationären Diabetesversorgung, deren Potenzial bisher noch lange nicht ausgeschöpft wird”, berichtete Kathrin Boehm, Bad Mergentheim. So stellen Schulungen eine Kernkompetenz dieser Berufsgruppe dar, die idealerweise unmittelbar nach der Diagnosestellung und im Verlauf der Erkrankung angeboten werden sollen. “Doch gerade in der frühen Krankheitsphase – in der man etwa hinsichtlich der Motivation zur Lebensstiländerung – noch sehr viel bewirken kann, geschieht viel zu wenig”, betonte die Diabetesberaterin.

Das liegt einerseits daran, dass Hausärzte keine Diabetesberater vorhalten (müssen), andererseits sind die Terminkalender der diabetologischen Facharztpraxen sehr ausgelastet. Ein Bereich, in dem die frühzeitige Schulung sehr gut funktioniert, ist die Beratung und engmaschige Begleitung von Schwangeren mit Gestationsdiabetes. “Diese Vorgehensweise würde ich mir auch für Menschen mit Typ-2-Diabetes wünschen, zumal davon zunehmend jüngere Patienten betroffen sind”, erklärte Boehm.

Für die Gesundheitsgerechtigkeit spielt die professionelle Beratung eine wichtige Rolle, da sie das Selbstmanagement und die Gesundheitskompetenz der Betroffenen stärkt und durch spezifische strukturierte Schulungsprogramme die Therapieadhärenz fördert.

Schlechte Aussichten für die Gesundheitsgerechtigkeit?

Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) befürchtet, dass im Zuge des aktuellen Reformvorhabens bewährte und notwendige Strukturen wegbrechen könnten und sich dadurch insbesondere im ländlichen Raum der Zugang zu Versorgungsangeboten verschlechtert.

“Werden das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sowie das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) so umgesetzt, wie es derzeit geplant ist, brechen für die Diabetologie und für Menschen mit Diabetes schwierige Zeiten an”, betonte Dr. Gottlobe Fabisch, Berlin. Das im Ansatz gut gemeinte GVSG ist für diabetologische Schwerpunktpraxen fatal, da es z.B. die höheren Kosten für Diabetesberater nicht berücksichtigt. “Ohne Nachbesserungen verschlechtern sich die Aussichten für die Gesundheitsgerechtigkeit”, resümierte Fabisch.

Quellen:

  1. Robert Koch-Institut (2014)
  2. Heidemann C et al. J Health Monit 2021; 6(3) DOI 10.25646/8456
  3. Schienkiewitz A et al. J Health Monit 2022 7(3):21-28 DOI 10.25646/10293
  4. Hoebel J et al. Dtsch Arztebl Int 2022; 119(49): 839-845
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