Neue LeitlinienPraxisleitlinien zur opioidinduzierten Obstipation

Häufigste Nebenwirkung einer längerfristigen Opioidbehandlung ist eine Form der Obstipation, die die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen kann und oft unzureichend auf die gängigen Basismaßnahmen anspricht. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin hat nun ausführliche Praxisleitlinien erstellt.

Chronische Schmerzen erfordern eine patientenzentrierte und multidisziplinäre Vorgehensweise. Im Vordergrund stehen in der Regel nicht-medikamentöse Verfahren wie Bewegungs- und Physiotherapie, Verhaltenstherapie und Psychoedukation einschließlich Vermittlung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells sowie Stressreduktion und Entspannungsverfahren. Ob eine medikamentöse Behandlung angezeigt ist und welche Wirkstoffklassen dafür in Frage kommen, hängt unter anderem vom Schmerztyp und der Schmerzintensität ab. Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Therapien soll immer gemeinsam mit den Betroffenen erfolgen. Partizipative Entscheidungsfindung schließt auch eine sorgfältige Aufklärung über die Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Therapieoptionen ein. [1]

Indikation sorgfältig prüfen

Opioide können im Rahmen des WHO-Stufenschemas bei nozizeptiven Schmerzen in Frage kommen. Auch bei neuropathischen Schmerzen sind Opioide wirksam und können gegebenenfalls mit Antikonvulsiva oder Antidepressiva kombiniert werden. “Neuropathische Schmerzen neigen besonders stark zur Chronifizierung und sollen daher unbedingt behandelt werden”, warnte Ulf Schutter, Marl. Viele Schmerzsyndrome hätten sowohl eine nozizeptive als auch eine neuropathische Komponente.

Eine Opioidrotation kann in manchen Fällen sinnvoll sein.

Kontraindiziert sind Opioide, wenn chronische Schmerzen sich als Leitsymptom einer psychischen Störung entwickeln, das heißt auch bei somatoformen Schmerzstörungen. Das hohe Abhängigkeitspotenzial von Opioiden schließt auch deren Anwendung bei Patienten mit Suchterkrankungen aus. Bei der Auswahl eines Opioidanalgetikums sollen neben Wirkpotenz und -dauer auch Begleiterkrankungen, Kon-traindikationen, Nebenwirkungsprofile der jeweiligen Substanzen und Patientenpräferenzen berücksichtigt werden. [1]

Versagen herkömmlicher Mittel

“Obstipation ist die häufigste Nebenwirkung einer längerfristigen Opioidtherapie”, berichtete PD Dr. Michael Überall, Nürnberg. Laut einer Online-Umfrage unter 4.283 Ärzten in Deutschland ist die Hälfte aller mit Opioiden behandelten chronischen Schmerzpatienten davon betroffen. Für ebenfalls häufige Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Mundtrockenheit, Leistungsabfall, neurologische und psychische Symptome sowie Schlafstörungen liegen die Inzidenzen zwischen 27 Prozent und 11 Prozent. [2] Obstipation, verursacht durch eine direkte Stimulation von μ-Opioidrezeptoren des gastrointestinalen Nervensystems, ist Überall zufolge oft ein großes Problem für die Betroffenen. Schmerzhafte Defäkation könne zu Stuhlverhalt führen, ein Teufelskreis, der auf Basismaßnahmen wie Anpassung des Ernährungs- und Trinkverhaltens, reichlich körperliche Bewegung oder Laxanzien oft nicht mehr ausreichend reagiere. Mit einer nennenswerten Habituation im Verlauf könne man auch bei länger dauernden Opioidbehandlungen nicht rechnen.

Opioidrotation kann sinnvoll sein

“Die opioidinduzierte Obstipation nimmt mit der Potenz des Opioids, der Tagesdosis und mit der Gleichförmigkeit der Plasmakonzentration zu”, erläuterte Überall. Auch bei transdermaler Applikation starker Opioide wie Fentanyl trete sie fast so häufig auf wie unter oraler Zufuhr. Buprenorphin scheint hier eine Ausnahme darzustellen, mit deutlich geringerem Obstipationsrisiko unter transdermaler im Vergleich zur oralen Applikation. [3−5]

Zwischen den oral verfügbaren potenten Opioidagonisten zeigten sich laut klinischen Studien keine nennenswerten Unterschiede hinsichtlich des Obstipationspotenzials. [6, 7, 5] In den in diesem Jahr neu herausgegebenen Praxisleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) wird jedoch darauf hingewiesen, dass eine Opioidrotation in manchen Fällen sinnvoll sein kann, da das Obstipationspotenzial einzelner Subtanzen individuell stark variieren könne. [5] “Unter dem kombinierten μ-Agonisten/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Tapentadol ist Obstipation ein eher selten gesehenes Problem”, ergänzte Überall.

μ-Antagonisten sind wirksam

Durch die Kombination mit einem μ-Antagonisten kann die Neigung zu opioidinduzierter Obstipation reduziert werden. Das zeigte beispielsweise die Post-hoc-Analyse einer zwölfwöchigen offenen, endpunktverblindeten Studie. Der Anteil der Patienten, die laut Bowel Function Index (BFI) trotz Opioidtherapie weiterhin eine normale Darmfunktion aufwiesen, lag unter der Behandlung mit Oxycodon/Naloxon bei 54,5 Prozent, unter Oxycodon bei 32,8 Prozent und unter Morphin bei 29,7 Prozent. Die Unterschiede im Vergleich zu Oxycodon/Naloxon waren statistisch signifikant, sowohl für Oxycodon (Odds Ratio 2,74; 95 Prozent KI: 1,77-3,44; p<0,001) als auch für Morphin (Odds Ratio 2,84; 95 Prozent KI: 2,03-3,97; p<0,001). [8]

Peripher wirksame μ-Antagonisten wie Naloxegol oder Methylnaltrexon haben sich in der Behandlung opioidinduzierter Obstipation als wirksam erwiesen. Bislang ergaben sich keine Hinweise darauf, dass periphere μ-Antagonisten die analgetische Potenz der verwendeten Opioide beeinträchtigen. Die DGS empfiehlt dennoch, die analgetische Wirksamkeit im Verlauf zu kontrollieren. [5]

Welches Laxans?

Als Mittel der ersten Wahl für die Laxanzientherapie opioidinduzierter Obstipation empfiehlt die DGS Macrogol, Bisacodyl, Natriumpicosulfat oder Sennapräparate. In den Praxisleitlinien wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit dieser Präparate bislang nicht zweifelsfrei durch geeignete randomisiert-kontrollierte Studien belegt ist. Zucker und Zuckeralkohole, wie Laktose, Laktulose oder Sorbitol, kämen wegen der häufigen Nebenwirkungen wie saurem Aufstoßen und Meteorismus bis hin zu kolikartigen Schmerzen, nur in Ausnahmefällen in Frage. Ebenfalls wegen potenziell schwer wiegender Nebenwirkungen abzuraten sei von salinischen Laxanzien wie Magnesiumhy-droxid und von Paraffinöl. [5]

Quelle: Individuelles Management chronischer Schmerzpatienten. Symposium auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt am Main

Literatur:

  1. Deutsche Schmerzgesellschaft. S3-Leitlinie Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS). AWMF-Leitlinie Nr. 145-003, Stand 2015. www.awmf.org
  2. Ueberall MA, Eberhardt A, Mueller-Schwefe GH. Pain Res Treat 2015:745048.
  3. Breivik H et al. Scand J Pain 2010;1:122-141.
  4. Wolff RF et al. Curr Med Res Opin 2012;28:833-845.
  5. Deutsche Gesellschaft für Schmerz- medizin (Hrsg.) DGS-Praxisleitlinie Opioidinduzierte Obstipation. Berlin 2019. www.dgschmerzmedizin.de
  6. Kalso E et al. Pain 2004;112:372-380.
  7. Ueberall MA et al. Schmerzmedizin 2018;34:64-73.
  8. Ueberall MA and Mueller-Schwefe GH. J Pain Res 2015;8:459-75.
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