Neue Antidiabetika haben für ausgewählte Patienten einen Zusatznutzen. Im Gespräch mit Dr. med. Ulrich Scharmer hebt Dr. med. Til Uebel, Sprecher der Arbeitsgruppe Diabetes der DEGAM, hervor, dass Metformin nach wie vor die Substanz der ersten Wahl ist. Er warnt vor einem zu niedrig gewählten HbA1c-Ziel und setzt sich kritisch mit dem Konzept der Lebensstil-Intervention auseinander.
Einer der ersten Schritte in der Behandlung bei Typ-2-Diabetes besteht darin, mit dem Patienten gemeinsam einen Zielwert für das HbA1c festzulegen. Woran orientieren Sie sich dabei?
Uebel: Die Ziele der Behandlung bei Typ-2-Diabetes lassen sich in zwei Bereiche einteilen: den Schutz vor Hyperglykämien und den dadurch verursachten Symptomen einerseits und das Verhindern von Folgeerkrankungen des Diabetes andererseits. Wenn man das den Patienten erklärt, können sie selbst entscheiden, was ihnen persönlich wichtig ist. Für den Schutz vor Symptomen genügt ein HbA1c-Wert unter 8,5 bis 9 Prozent. Um Folgeerkrankungen vorzubeugen, sollte das HbA1c niedriger liegen, oft ist ein Ziel im Bereich von 7 bis 8 Prozent jedoch vollkommen ausreichend.
Das liegt über dem Korridor von 6,5 bis 7,5 Prozent, den die abgelaufene NVL zu Typ-2-Diabetes als allgemeines Ziel vorgibt.
Diese Festlegung in der vergangenen NVL war seinerzeit ein Expertenkonsens. Für einen Zielbereich von 6,5 bis 7,5 Prozent gibt es keine Evidenz. Wenn man sich klar macht, dass das Mortalitätsrisiko durch eine zu starke Senkung des HbA1c sogar steigen kann, erscheint ein allgemeiner Zielkorridor zwischen 7 und 8 Prozent, wie es beispielsweise das American College of Physicans (ACP) vorschlägt, sinnvoller und sicherer. Das schließt als Randbereich bei ausgewählten Patienten auch Zielwerte von 6,5 oder 8,5 Prozent ein. Allgemein soll das HbA1c-Ziel bei älteren Menschen, bei kardiovaskulären Begleiterkrankungen und bei Gabe von Antidiabetika mit höherem Hypoglykämierisiko weniger streng gewählt werden, sprich möglichst nicht unter 7 Prozent.
Aber sollte das Ziel nicht so streng wie möglich sein, wenn man bedenkt, dass das Risiko von Folgeschäden mit der Höhe des HbA1c-Spiegels steigt?
Das stimmt zwar, aber Studien wie ACCORD, VADT und ADVANCE haben gezeigt, dass der Umkehrschluss nicht gilt. Wenn man das HbA1c mit Medikamenten unter etwa 7 Prozent drückt, kann das die Sterblichkeit sogar erhöhen. Dazu kommt, dass eine Korrelation zwischen dem HbA1c-Wert und dem Risiko von Spätschäden nichts darüber aussagt, ob hinter diesem statistischen auch ein kausaler Zusammenhang steht, ein neuer und den meisten noch sehr fremder Gedankengang. Auch wenn beispielsweise schon seit Jahren bekannt ist, dass das HbA1c beispielsweise auch physiologisch im Alter ansteigt. Korrekterweise müsste man jeden Wert altersadaptiert angeben.
Bedenken sollte man ferner, dass neuere Antidiabetika wie Empagliflozin und Liraglutid, für die eine Senkung der kardiovaskulären Mortalität bei Menschen mit Diabetes mit bestimmten Begleiterkrankungen belegt ist, das HbA1c in den betreffenden Studien nur geringfügig gesenkt haben.
Ist unter den oralen Antidiabetika Metformin immer noch das Mittel der ersten Wahl?
Ja, uneingeschränkt. Voraussetzung ist natürlich, dass es vertragen wird. Metformin ist unter einer GFR von 30 ml/min kontraindiziert. In der Praxis spielt diese Kontraindikation aber kaum eine Rolle, denn ein Patient mit einer GFR unter 30 hat in der Regel andere Sorgen, als das Risiko möglicher Diabetesfolgeerkrankungen in vielleicht 15 Jahren zu verringern.
Sie haben die Mortalitätssenkung für bestimmte Patienten durch einzelne Gliflozine und GLP1-Agonisten angesprochen. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Praxis?
Für eine abschließende Aussage über den Nutzen dieser Substanzen ist es noch zu früh. Bislang ist beispielsweise für Empagliflozin nur belegt, dass es die Sterblichkeit von Menschen mit Typ-2-Diabetes mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung und wie es sich abzeichnet bei erheblicher – großer – Proteinurie senkt. Ich würde die Anwendung dieser Substanz daher nicht auf alle Patienten mit Diabetes ausgeweitet wissen wollen.
Das deckt sich mit der frühen Nutzenbewertung durch den G-BA, wonach ein beträchtlicher Zusatznutzen der Kombination Metformin plus Empagliflozin nur bei manifesten Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht ….
… aber nicht mit den in der Zulassung genannten Indikationen. Danach kann das Gliflozin als Monotherapie gegeben werden, wenn Metformin kontraindiziert/unverträglich ist, oder in Kombination mit anderen Antidiabetika, sofern individuelle Therapieziele nicht erreicht werden. Eine unbefriedigende Situation für die Verordner.
Wie bewerten Sie die GLP1-Agonisten, die die Wirkung der körpereigenen Inkretine nachahmen?
Auch für Liraglutid gibt es einen positiven Nutzennachweis für Menschen mitTyp-2-Diabetes mit Herz-Kreislauf-Erkrankung. Inkretine könnten ferner bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sinnvoll sein, die unter Insulin massiv zunehmen. Diese sich logisch erschließende Anwendung ist aber noch nicht ausreichend untersucht.