Der Vortrag von Prof. Moissl-Eichinger von der Medizinischen Universität Graz (Österreich) hatte nicht umsonst den bezeichnenden Titel: “The microbiome in, on and around us – or the importance of a healthy (indoor) microbiome”.
Zunächst die Tatsachen: Es gibt etwa 1,3 mal so viele Bakterien in und auf unserem Körper, als dieser Körperzellen besitzt. Diese Bakterien besitzen den 360-fach größeren Genpool als das menschliche Genom. Einige dieser Mikroben sind überlebensnotwendig, weil sie uns kalorisch und qualitativ die Nahrung aufbereiten. Sie umfassen ca. 10.000 Spezies, von denen uns bislang nur die wenigsten bekannt sind – nämlich jene, die wir leicht in der Petrischale kultivieren können, wie etwa E. coli.
Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass es gerade die noch nicht so bekannten Spezies wie Akkermansia muciniphila sind, die für unser Gedeihen, also unsere Verdauung, aber auch für unseren Immunstatus oder unser psychisches Befinden wichtig sind. Alles in allem machen allein die Darmbakterien eine Masse von durchschnittlich zwei Kilogramm aus. Die Anzahl der auf unserer Haut lebenden Mikroben ist größer als die Erdbevölkerung.
Wichtig bereits in den ersten Lebenstagen
Schon in den ersten Lebenstagen eines frisch geborenen Erdenbürgers werden, was das Mikrobiom betrifft, wesentliche Weichen gestellt: Wird das Neugeborene während eines natürlichen Geburtsvorganges mit den mütterlichen Keimen inokuliert oder aber mit potenziell pathogenen Hospitalkeimen?
Erhält das Neugeborene mit der Muttermilch die wesentlichen Immunkomponenten für den Cross-Talk mit dem sich bildenden Mikrobiom oder wird ihm nur eine pure, sterile Nahrung zugeführt? Genauso, wie diese Erstbesiedelung mit den nötigen Mikrobiom-Keimen später nicht mehr mit dem gleichen Effekt nachgeholt werden kann, etwa durch die Gabe von Probiotika, so können auch Keime, die durch eine zu radikale Medikation erst einmal verloren sind, kaum wieder mit einem bleibenden Erfolg substituiert werden.
Eine ähnliche Bedeutung hat es, wo wir leben: Ob wir immer wieder hospitalisiert wurden, oder weitgehend im normalen häuslichen Umfeld leben, vielleicht sogar auf einem traditionell bewirtschafteten Bauernhof. Die Erkenntnis, dass Kinder von Müttern, die noch selbst im Kuhstall arbeiten weniger unter Allergien und Asthma leiden, sollte uns nachdenklich machen: Prof. Moissl-Eichinger plädierte für eine ständige Auseinandersetzung mit unserer Umwelt, mit dem Outdoor-Mikrobiom.
Sie verwies auf Studien, dass etwa Zimmerpflanzen die Indoor-Welt, in der wir uns etwa 90 Prozent unserer Zeit aufhalten, deutlich verbessern. Der Effekt ist so eindeutig, dass sie im Klinikum Graz dafür plädiert, das Verbot von Topfpflanzen in Krankenzimmern zu überdenken und möglichst zu revidieren!
Auch unsere Haut hat ein Mikrobiom
Ein ganz wichtiges bakterielles, aber auch mykologisches Ökosystem ist die menschliche Haut. Oberflächlich gesehen nimmt die Haut eine Fläche von im Schnitt 1,5 bis 2 m² ein. Rechnet man jedoch alle Invaginationen mit, die ebenfalls und bevorzugt von Mikroorganismen besiedelt werden, so kommt man auf eine Fläche von ca. 30 m². Hier leben schätzungsweise 1.000 verschiedene Spezies, wobei deren Zusammensetzung so individuell ist, wie der Fingerabdruck eines Menschen, im Gegensatz zu letzterem jedoch praktisch die ganze Lebensgeschichte und vor allem die Gewohnheiten der Haut-“Pflege” erzählen kann.
Die Hautflora dient vor allem dem Schutz der Hautbarriere. Gleichzeitig führt sie zu einer “gesunden” Stimulation des Immunsystems. Die wichtigsten (bekannten) Spezies auf und “in” unserer Haut sind Staphylococcus epidermidis und Staphylococcus aureus sowie Propionibacterium acnes.
Eine Imbalance zwischen Immunsystem und Haut-Mikrobiom liegt vor bei Patienten mit Neurodermitis, Psoriasis, Rosacea oder Acne vulgaris. Eine Kolonisierung mit pathogenen Hautkeimen ist bei immunsupprimierten Patienten deutlich häufiger als bei Gesunden. Das betrifft die Besiedelung mit Bakterien wie auch Pilzen. Auch banale Irritationen der Haut, etwa durch häufigen Wechsel von Pflastern oder Tapes (“tape stripping”) führen zu Schäden der Hautbarriere mit Verlust von Feuchtigkeit und einer höheren Anfälligkeit für eine pathogene Besiedelung.
Eine Erholung der Haut ist erst nach etwa 14 Tagen zu erwarten. Für ein funktionstüchtiges Haut-Mikrobiom sind Faktoren wie der pH-Wert, die Hautfeuchtigkeit und auch die Temperatur entscheidend. So ist die Verwendung von alkalischen Seifen eigentlich “verboten”, weil dadurch der Säuremantel der Haut neutralisiert wird. Ebenso sind Öle und Cremes für eine zu trockene Haut lange nicht so gut wie Salben, die auf der Haut einen feuchten Film wesentlich länger halten.
Um die wichtigsten Mikrobiom-Funktionen zu erhalten ist es also wichtig, mit ihnen in einer vernünftigen Balance zu leben, wie Prof. Moissl-Eichinger betonte. Das bedeutet im Alltag nicht nur, die Antibiotika-Verordnung stets kritisch zu hinterfragen, sondern auch die Haut, selbst die bakterielle Besiedelung auf chronischen Wunden vor radikalen antimikrobiellen Aktionen zu schützen.
Noch ein Blick ins Krankenhaus
Frau Prof. Moissl-Eichinger verwies auf die Daten des “Hospital Microbiome Project”, bei dem am New Hospital in Chicago Tausende von Proben an den verschiedensten Stellen des Krankenhauses genommen und ausgewertet wurden (Daniel Patrick Smith, Hospital Microbiome Workshop, University of Chicago, 6.7.2012). Dabei zeigte es sich, dass das Krankenhaus-Mikrobiom sowohl von Faktoren seitens des Personals (z. B. strikte Einhaltung der Hygiene-Richtlinien), aber nicht zu unterschätzen auch von baulichen Faktoren abhängig ist.
So sollte ein Klinikneubau immer auch im Dialog mit Hygienefachkräften und womöglich auch mit Mikrobiologen geplant werden. Unter dem Strich fand sich jedoch in den Daten dieses Großprojekts kein eindeutiger Hinweis, um ein “normales” Mikrobiom in der Klinik definieren zu können.
Allerdings gibt es für die Intensivmedizin einige interessante Aussagen: Grundsätzlich – das ist bekannt – sind Intensivpatienten deutlich anfälliger für Infektionen mit pathogenen Keimen. Allerdings infizieren sich lediglich fünf Prozent der Patienten auf der Intensivstation, falls man die Daten aus Chicago auf unsere Verhältnisse übertragen kann. Wichtig ist jedoch, dass durch die Verminderung der Keim-Diversität die Anzahl der entdeckten pathogenen Keime deutlich größer ist, als auf der normalen Station. Das sollte zu denken geben.
Quelle: Scientific Spotlight “One step closer to manage biofilm in chronic wounds. L & R biofilm research facility drives antimicrobial product technologies” in Wien.