Die Prävalenz einer Demenz beträgt bei Patienten mit etwa 75 Jahren rund 10 Prozent. Mit ähnlicher Häufigkeit bestehen bei dieser Altersgruppe depressive Störungen. Die Wahrnehmung eigener kognitiver Defizite ist bei einer Depression regelmäßigstärker als bei einer Demenz. Von den Behandlungsoptionen und der Prognose unterscheiden sich beide Erkrankungen erheblich, sodass eine genaue Differenzialdiagnose von großer Bedeutung ist.
Zu bedenken ist, dass gerade im Frühstadium neurodegenerativer Verschlechterungen beide Störungen gleichzeitig auftreten können. Bevölkerungsbasierte Erhebungen zeigen, dass mindestens 20 Prozent der Patienten mit einer Alzheimer-Demenz im Lauf der Erkrankung zusätzlich eine Depression entwickeln. Der Anteil liegt bei vaskulären Demenzen noch darüber.
Depression als Risikofaktor
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass eine Depression ein Risikofaktor für eine Demenz ist. Dies gilt sowohl für die früh im Leben beginnende rezidivierende depressive Störung wie auch für die erstmals im höheren Lebensalter auftretende Depression.
Bei der früh beginnenden Depression entsteht der Zusammenhang möglicherweise durch die mit den depressiven Phasen verbundene ungünstige Lebensweise im Hinblick auf vaskuläre Risikofaktoren. Andererseits wird diskutiert, dass die depressiven Episoden durch die in depressiven Phasen erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen zu einer strukturellen Schädigung des Hippocampus führen. Ein Volumenverlust im Hippocampus von Depressiven dürfte jedoch allenfalls sehr gering ausgeprägt sein.
Während die früh beginnende depressive Störung also möglicherweise direkt das Auftreten einer Demenz fördert, ist die erstmalig im hohen Alter auftretende Depression eher ein direkter Vorbote der beginnenden Demenz. Verursacht werden können beide durch die vermehrte Schädigung der weißen Substanz (Mikroangiopathie, subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie). Entsprechend ist das gleichzeitige Auftreten beider Erkrankungen in dieser Konstellation besonders häufig.
Abgrenzung
Depressionen sind häufig durch eine Störung der Konzentration gekennzeichnet. Diese Konzentrationsstörung führt zum schlechten Abschneiden z. B. beim Lernen von Wortlisten. Dieses resultiert daraus, weil die zu lernenden Worte und im Alltag zum Beispiel Gesprächsinhalte oder Termine nicht ausreichend in das Gedächtnis gelangen.
Bei der Alzheimer-Demenz mit struktureller Schädigung des Hippocampus besteht hingegen zusätzlich ein deutlicher Verlust von zunächst gelernten Gedächtnisinhalten und damit eine Abrufstörung. Testpsychologisch zeigt sich dies in einer bei beiden Erkrankungen vorhandenen reduzierten Lernleistung. Relativ zum Gelernten schneiden Depressive jedoch beim zeitversetzten Abruf (z. B. nach 20 Minuten) gelernter Wörter besser ab.
Unterscheidungen sind auch anhand des passiven Wiedererkennens möglich. Hierbei müssen Probanden angeben, ob ein gerade gehörtes und gezeigtes Wort zu der früher gelernten Wortliste gehört. Patienten mit Demenz ordnen eher zu viele Worte der gelernten Liste zu, Depressive eher zu wenige („Nein-sage-Tendenz“).
Da die Alzheimer-Krankheit auch den Parietallappen befällt, ist neben dem Gedächtnis auch die räumliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Tests zur visokonstruktiven Praxis (z. B. Abzeichnen von Figuren) sind deshalb bei Demenz viel stärker eingeschränkt als bei Depression, wo derartige Tests oft unauffällig sind.
Besonders gefährdet im Hinblick auf eine sich entwickelnde Demenz sind Depressive mit deutlich ausgeprägten kognitiven Defiziten, insbesondere, wenn diese die Bereiche Spätabruf, räumliche Praxis und die Exekutivfunktionen betreffen, da bei diesen Patienten beide Störungen (beginnende Demenz und Depression) vorliegen dürften. Im Gegensatz dazu sind Einschränkungen beim Lernen und den Sprachfunktionen häufig auch bei Depressiven vorhanden, die später keine Demenz entwickeln.
Deutlich schwieriger ist die Abgrenzung insbesondere der vaskulären Demenz von der Erstmanifestation einer Depression im Alter. Da beide durch Veränderungen der weißen Substanz (Hyperintensitäten, z. B. in der FLAIRBildgebung) verursacht werden, ist eine klinische und/oder radiologische Trennung wahrscheinlich nicht immer möglich.
Die frontale Variante der frontotemporalen Lobäratrophie kann durch die degenerativen Veränderungen direkt affektive Symptome auslösen. Häufig sind diese zwar Zeichen einer frontalen Enthemmung, jedoch treten auch Antriebsstörung und depressive Stimmung auf und haben Eingang in die diagnostischen Kriterien der Erkrankung gefunden.
Kurz hingewiesen sei schließlich auf den Einsatz aufwändigerer diagnostischer Verfahren wie Kernspintomographie, Liquordiagnostik und die Positions-Emissions-Tomographie (PET). Diese erlauben die Abgrenzungen mit hoher Sicherheit, sind jedoch in der Primärversorgung nicht regelhaft verfügbar.
Behandlung
Bei entsprechender Ausprägung sollten depressive Symptome mit Antidepressiva behandelt werden. Insbesondere trizyklische Antidepressiva sollten wegen anticholinerger Nebenwirkungen und der damit verbundenen kognitiven Verschlechterung vermieden werden. Demenzielle Syndrome sollten entsprechend der Leitlinien therapiert werden. Die Studienlage bezüglich einer antidepressiven oder depressionsfördernden Wirkung von Acetylcholinesterasehemmern ist uneindeutig, Effekte in beide Richtungen werden diskutiert.
Fazit
Demenzielle und depressive Syndrome haben um das 75. Lebensjahr jeweils eine Pravalenz von etwa 10 Prozent.
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Zur Alzheimer-Demenz gehoren Storungen des Spatabrufs und der raumlichen Orientierung. Zur Bewertung des verbalen Spatabrufs kann insbesondere der DemTectc-Test herangezogen werden.
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Depressive zeigen Niedergestimmtheit, Freudlosigkeit und besonders im Alter unspezifische Korpersymptome wie Schmerzen und Schlafstorungen. Fur altere Patienten ist die Depression-im-Alter-Skala (DIA-S) ein gut geeigneter und vom Patienten selbststandig durchzufuhrender Kurztest.
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Beim Einsatz von Antipressiva sollten altersspezifische Unvertraglichkeiten berucksichtigt werden.
Literatur beim Verfasser; Interessenkonflikte: keine