Das chronische Müdigkeitssyndrom (Chronisches Fatigue-Syndrom; CFS) ist eine Erkrankung, die uns Ärzte vor viele Rätsel stellt, denn ihre Ursache ist unklar und die Symptome sind so vielfältig wie gravierend. Die prädisponierenden Faktoren sind sehr unterschiedlich, meist beginnt CFS mit einem Infekt, der häufig in eine Phase von Stress oder hoher körperlicher Aktivität fällt.
Neben der ausgeprägten Fatigue leiden die meisten Patienten unter Schmerzen, kognitiven Störungen und Schlafstörungen oder nicht erholsamem Schlaf und in Folge dessen erheblich eingeschränkter Leistungsfähigkeit. Das Chronische Fatigue-Syndrom wird seit einiger Zeit als eigene Krankheitsentität beschrieben.
Typisch ist eine persistierende oder rezidivierende chronische Erschöpfung unklarer Ursache, wobei die “Kanadischen Kriterien” [1] für die Diagnostik eines CFS am häufigsten verwendet werden. Fatigue ist allerdings vielfach keine allein auftretende Störung, sondern mit einer Krebserkrankung oder anderen chronischen Krankheiten verbunden.
Da Erschöpfungszustände auch bei anderen Krankheitsbildern erscheinen, ist CFS eine Ausschlussdiagnose und neben einer ausführlichen Anamnese ist zum Ausschluss anderer mit Fatigue einhergehender Erkrankungen daher eine gründliche Differenzialdiagnostik entscheidend.
Das Chronische Fatigue-Syndrom tritt weltweit auf und hat bei Erwachsenen eine Prävalenz von 0,2 – 0,4 Prozent, Frauen sind häufiger betroffen [2]. Es ist allerdings unklar, wie häufig das CFS in Deutschland tatsächlich vorkommt [3], diesbezügliche Angaben schwanken erheblich. Vermutlich wird die Diagnose CFS oft nicht gestellt bzw. fälschlicherweise als eine psychische Erkrankung oder ein Burn-out-Syndrom diagnostiziert.
Naturheilkundliche Therapien
Der Patient sollte zunächst über das derzeitige wissenschaftliche Verständnis der auslösenden und krankheitsunterhaltenden Faktoren informiert werden und Hinweise zur denkbaren konventionellen und möglichen naturheilkundlichen Therapien erhalten. Die Einhaltung eines geregelten Tagesablaufs und dem Krankheitsbild angepassten körperlichen Aktivitäten sollten empfohlen werden.
Eine gute Evidenz gibt es in zahlreichen Einzelstudien für die Wirksamkeit sowohl der abgestuften körperlichen Aktivierung als auch einer psychotherapeutischen Behandlung. Unter den Psychotherapieformen gibt es Wirkungsnachweise vor allem für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) [4]. Die KVT ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das auf eine Änderung der Krankheitswahrnehmung und daraus abgeleiteten Verhaltensweisen abzielt.
Von wesentlicher Bedeutung sind neben einer dosierten Bewegungstherapie – beispielsweise Walking oder Radfahren – vor allem auch naturheilkundliche Reiztherapien wie Kneipp‘sche Anwendungen oder schonende Programme wie sie vor allem die anthroposophische Medizin anbietet: Heileurythmie, rhythmische Massagen, eine besondere Diätetik und Kunsttherapie. Entspannungsorientierte Verfahren wie Muskelrelaxation nach Jacobsen, Autogenes Training oder die langsamen Bewegungen beim Tai-Chi sind ebenso hilfreich wie andere Methoden der Mind-Body-Medizin wie Meditation, Achtsamkeitsübungen oder Yoga.
Darüber hinaus sollte ein möglicher Vitamin- und Spurenelementmangel diagnostisch erfasst und gegebenenfalls korrigiert werden. Basierend auf der Beobachtung, dass viele Fatigue-Patienten zu niedrige L-Carnitin- Konzentrationen aufweisen, werden seit einigen Jahren wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die L-Carnitin gezielt bei krebsassoziierter Fatigue einsetzten. Kleine kontrollierte Therapiestudien konnten positive Effekte auch für Ginseng und Coenzym Q10 zeigen.
Onkologische Patienten
Durch die Tumorerkrankung, vor allem aber durch Operation, Bestrahlung und Chemotherapie werden die Patienten in ihren Lebensfunktionen erheblich beeinträchtigt. Die Beschwerden im Zusammenhang mit Stress und Ängsten und die Nebenwirkungen der konventionellen onkologischen Therapien stellen für den Patienten eine sehr große Belastung dar.
Vor allem sind allgemeine Schwäche, Erschöpfung und chronische Müdigkeit sowie Störungen der Immunfunktion einer komplementärmedizinischen Behandlung sehr gut zugänglich. Auch hier bieten sich vor allem Verfahren der klassischen Naturheilkunde an, aber auch Akupunktur und anthroposophische Therapien können sinnvolle Ergänzungen zum schulmedizinischen Ansatz liefern.
Eine besondere Stellung nehmen die anthroposophischen Mistelpräparate ein. Nach der Bewegungstherapie ist die Misteltherapie die komplementärmedizinische Therapie für welche die eindrucksvollsten Nachweise einer Wirksamkeit zur Verringerung von Fatigue bei onkologischen Patienten vorliegen [5].
Phytotherapie
Im Sinne der klassischen Naturheilkunde versteht man unter Phytotherapie die Behandlung mit Phytotherapeutika, die als arzneilich wirksame Stoffe ausschließlich Pflanzen, Pflanzenteile oder Pflanzenbestandteile in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand enthalten. Für eine Vielzahl von Arzneipflanzen konnten aufgrund der vorliegenden klinischen Studien systematische Reviews bzw. Metaanalysen durchgeführt werden, sodass sie auch höhere Stufen des evidenzbasierten Niveaus erreichen.
Viele Studien haben auch gezeigt, dass die Extrakte infolge der Vielzahl ihrer Inhaltsstoffe ein breites Indikationsspektrum bei sehr guter Verträglichkeit vorweisen. Die Phytotherapie ist einerseits Teil einer modernen Arzneimitteltherapie, andererseits stellt sie selbst die Arzneimitteltherapie der Naturheilkunde.
Homöopathie
Die Homöopathie ist keine einheitliche Methode. Neben der “klassischen Homöopathie”, die sich auf Samuel Hahnemann beruft und nur homöopathische Einzelmittel verwendet, wird von manchen Ärzten die “Komplexhomöopathie” bevorzugt und den Patienten in der täglichen Praxis verordnet und empfohlen. Wissenschaftlich ist die Homöopathie umstritten, nicht zuletzt deshalb, weil die Art und Weise, wie die Wirkung homöopathischer Medikamente vermittelt wird, völlig unbekannt ist.
Nichtsdestotrotz gibt es für mehrere verschiedene Erkrankungen Studien zur Homöopathie mit recht überzeugenden Daten. Hierzu zählt auch das chronische (nicht krebsassoziierte) Erschöpfungssyndrom. Eine umfassende Expertenrecherche in klinischer Forschungsliteratur auf dem gesamten Gebiet der Komplementärmedizin ermöglicht Ihnen ein Recherche-Portal (www.cam-quest.org) der Carstens-Stiftung, welches umfassende Informationen und klinische Studien zur Verfügung stellt.
Fazit
- Anhaltende Müdigkeit ohne feststellbare Ursache kann Ausdruck eines chronischen Fatigue-Syndroms (CFS) sein. Fast jeder dritte Krebspatient leidet unter langanhaltender Fatigue.
- Sowohl bei der Tumorfatigue als auch bei der CFS sind die Betroffenen ständig müde und erschöpft. Begleitend zur körperlichen Symptomatik treten häufig auch Konzentrationsstörungen und geistige Leistungseinbußen auf. In schweren Fällen sind Patienten so stark betroffen, dass sie nicht mehr arbeitsfähig sind.
- Für die Behandlung des CFS kommt eine große Bandbreite verschiedener naturheilkundlicher Behandlungsmöglichkeiten in Betracht.
- Es bieten sich vor allem Verfahren der klassischen Naturheilkunde wie der Phytotherapie, der Hydrotherapie, Bewegungstherapie und der Mind-Body-Medizin an, aber auch die Anthroposophische Medizin und die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) können sinnvolle Therapieoptionen beim CFS sein.
Literatur
- Carruthers BM et al: Myalgic encephalomyelitis: International Consensus Criteria. J Intern Med 270:327–38, 2011
- Prins J, van der Meer JWM, Blejenberg G. Chronic fatigue syndrome. Lancet 2006; 367: 346-355
- 17 Martin A, Chalder T, Rief W et al. The relationship between chronic fatigue and somatisation syndrome: a general population survey. J Psychosom Res 2007; 63: 147-156
- Martin A, Gaab J. Chronisches Erschöpfungssyndrom. Evidenzbasierte Psychotherapie bei chronischer organisch unklarer Erschöpfung. Psychotherapeut 2011; 56: 231-238
- Kienle GS, Grugel R, Keine H: Safety of higher dosages of Viscum album L. in animals and humans – systematic review of immune changes and safety parameters. BMC Complementary and Alternative Medicine 2011, 11:72
Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.