Interview“Akupunktur ist ein Pfeil im Köcher”

Bei chronischen Schmerzen wünschen Patienten sich oft auch Akupunktur. Können Ärzte dies empfehlen oder lieber nicht? Nachgefragt bei Prof. Klaus Linde, der für den DEGAM-Kongress die aktuelle Studienlage gesichtet hat.

Bei chronischen Schmerzen wünschen sich viele Patienten Akupunktur. Wissenschaftlich wird das kontrovers diskutiert. Was sagen Studien dazu?

Anders als bei vielen nicht-medikamentösen Verfahren gibt es für die Akupunktur viele, zum Teil auch große, gut gemachte Studien. Bei allen kleinen Schwierigkeiten und Unterschieden der einzelnen Studien sind die Ergebnisse eindeutig, allerdings schwer zu interpretieren. Es zeigen sich kleine Effekte der Akupunktur gegenüber Sham-Akupunktur.

Verglichen mit “Usual Care” bei anderen nicht-medikamentösen Verfahren – wenn also alles weiterläuft wie bisher – ergeben sich mittelgroße Effekte zugunsten der Akupunktur. Die Effektgrößen sind alle ähnlich, egal ob es sich um Manuelle Therapien, Physio- oder Psychotherapie handelt. Gegenüber “Usual Care” kann man Akupunktur bei chronischen Schmerzen also als belegt ansehen.

Warum flammt die Kritik dann immer wieder auf?

Ich denke, das rührt daher, dass uns aus westlicher Sicht vieles nicht plausibel erscheint, etwa Meridiane oder der Qi-Fluss. Naturwissenschaftlich gesehen fehlt es an kohärenten Theorien, die die zusammenspielenden Aspekte erklären. Generell werden Therapien, deren Wirkmechanismus nicht geklärt ist, kritischer evaluiert. Daher wird extrem danach gefragt, ob Akupunktur einer Schein-Akupunktur überlegen ist. Das ist jedoch problematisch, da Schein-Akupunktur kein inertes Placebo ist.

Vor allem wenn genadelt wird, scheinen zum Teil die gleichen Schmerzmechanismen aktiviert zu werden wie an den richtigen Punkten. Daher sind die Unterschiede der Effekte sehr klein und man braucht riesige Studien, um sie nachzuweisen. Ähnlich ist es zum Beispiel bei der Psychotherapie: Wenn man sie mit Schein-Psychotherapie vergleicht, zeigen sich trotzdem in der Regel sehr kleine Effekte, weil das Aufbauen der Beziehung dazu gehört. Außerdem ist Akupunktur wahrscheinlich ein sehr gutes Placebo. Unabhängig davon, dass sie auch über eine Placebo-Wirkung hinaus wirkt.

Die gesetzlichen Kassen erstatten die Akupunktur bei Rücken- und Knieschmerzen. Wie sieht die Evidenz für andere chronische Schmerzen aus?

Einige Evidenz liegt für Rücken- und Arthroseschmerzen vor, deswegen wurde es in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen. Ebenso gute Evidenz gibt es für die Migräne, hier sind aber die Effekte gegenüber der Schein-Akupunktur besonders klein. Vor zehn Jahren hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss gegen die Aufnahme entschieden. Möglicherweise kommen auch Spannungskopfschmerzen infrage, hier gibt es aber nicht so viele Studien. Für die anderen Schmerzuntergruppen ist die Zahl der Studien ebenso noch zu gering. Wahrscheinlich ist bei den gängigen Schmerzerkrankungen aber ein relativ ähnlicher Effekt vorhanden.

Würden Sie Patienten mit chronischen Schmerzen Akupunktur empfehlen, wenn sie selbst sich dies wünschen?

Im Prinzip spricht nichts dagegen, es auszuprobieren. Das ist im Einzelfall wohl eher eine Frage des Geldes, weil es die Krankenkassen in vielen Indikationen nicht erstatten. Patienten dürfen sich von Akupunktur aber auch nicht zu viel erwarten: Es ist keine Zauberformel, um alles zu heilen. Aber sie ist ein Pfeil im Köcher – also eine Option unter mehreren.

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