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Umgang mit PatientenSomatoforme Störungen: Tipps von Hausärzten für Hausärzte

Wie lassen sich somatoforme Störungen am besten managen? Eine Studie hat hausärztliche Vorgehensweisen eruiert.

Menschen mit somatoformen Störungen zeigen oft psychische Dysfunktionalitäten wie ausgeprägte Gesundheitsängste.

Studien gehen davon aus, dass die Prävalenz nichtspezifischer funktioneller und somatoformer Körperbeschwerden in der allgemeinärztlichen Versorgung zwischen 15 und 30 Prozent liegt [1-3]. Bezeichnend ist, dass Patientinnen und Patienten häufig über physische Beschwerden (zum Beispiel Rücken- und Gliederschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Erschöpfung) klagen, ohne dass ein organischer Befund besteht [4, 5].

Die Betroffenen zeigen oft psychische Dysfunktionalitäten (etwa ausgeprägte Gesundheitsängste) sowie eine übersteigerte Wahrnehmung des eigenen Körpers, was bei vielen auf eine ausgedehnte Anamnesegeschichte und teils gescheiterte Interventionen zurückgeht [6, 7].

Auch wenn Abklärungen keinen Hinweis auf körperliche Ursachen erbracht haben, sind Patienten mit somatoformen Beschwerden oft fest von einer unerkannten physischen Ursache überzeugt. Die Möglichkeit eines beschwerdeauslösenden psychischen Problems marginalisieren sie hingegen. Hierzu können etwa Belastungen und Konflikte im Beruf oder einschneidende Lebensereignisse zählen [8].

Ärzte unter Druck

Bei somatoformen Beschwerden sehen Experten mehrere Probleme, die die Arzt-Patient-Beziehung erschweren. Erstens zeigen Patienten mit unklaren Körperbeschwerden oft ein aufforderndes Verhalten, das mitunter von einem hartnäckigen Drängen auf konkrete Untersuchungen bestimmt ist.

Gerade Patienten, deren Leidensgeschichte andauernd ist und die intensive Eigenrecherchen im Internet zu Gesundheits- und Krankheitsthemen betreiben, fordern spezielle Diagnostik [9]. Zweitens treffen Betroffene bei Ärzten auf ein anamnestisches Verständnis und Vorgehen, das sichergehen möchte, keine verborgene Krankheit zu übersehen; dies kann ihre Ungeduld und Frustration möglicherweise verstärken.

Drittens kann es, wenn organische Ursachen nicht gefunden werden können, zu einer Diskrepanz zwischen den jeweiligen Ursachenüberzeugungen kommen, die (weiteres) Konfliktpotenzial birgt [10, 11].

Manche Patienten sind bereit, einen hohen Druck auf Ärzte auszuüben, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Vorstellungen von einer Identifizierung bzw. Behandlung bestimmter körperlicher Ursachen nicht erfüllt werden. Infolgedessen kann es passieren, dass Ärzte die Erwartungen Betroffener implizit übernehmen.

Gerade Hausärztinnen und Hausärzte haben aufgrund ihres ganzheitlichen Behandlungsverständnisses und der oft engeren Kenntnis ihrer Patienten das Bedürfnis, dem psychosozialen Wohlbefinden Rechnung zu tragen.

So ist denkbar, dass Ärzte verunsichert werden, übersehene Erkrankungen befürchten und dadurch den eigentlich unangemessenen Forderungen des Patienten (zum Beispiel Überweisung zu weiterführender Diagnostik) nachgeben.

“Doctor-Hopping”

Es ist allerdings auch denkbar, dass es zu einer konfliktären Situation kommt, weil der Arzt organische Ursachen ausschließt und andere Ursachen für plausibel hält, wohingegen der Patient auf seinem Standpunkt eines physischen Leidens beharrt [12].

Unter Umständen fühlt sich der Patient missverstanden, zweifelt an der ärztlichen Kompetenz oder beendet sogar das Betreuungsverhältnis. Es gilt inzwischen als gut belegt, dass gerade somatoforme Patienten zu einem “Doctor-Hopping” neigen und damit Gefahr laufen, in neue Diagnose- und Behandlungsschleifen zu geraten [13].

Während es zu Aspekten wie Prävalenz [15] und hilfreichen therapeutischen Strategien [16] für den deutschsprachigen Raum bereits Forschungsarbeiten gibt, fehlt es an Studien, die den tatsächlichen Umgang von Hausärzten im alltäglichen Praxisgeschehen in den Blick nehmen.

Vor allem Kommunikationsstrategien zur Herstellung eines tragfähigen Arzt-Patient-Verhältnisses, das die Grundlage für ein erfolgreiches Management ist, sind bislang nur wenig erforscht.

Um bessere Einblicke zu erhalten, hat das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie (ZAG) der Universitätsmedizin Mainz ausführliche Interviews mit insgesamt 34 Hausärztinnen und Hausärzten in Hessen und Rheinland-Pfalz geführt.

Jenseits der Frage einer in jedem Einzelfall vorliegenden Diagnosestellung nach ICD-10 bestand das Ziel darin, ärztliche Stabilisierungsstrategien sowie Ansätze zum Aufbau einer belastbaren Arzt-Patient-Beziehung zu erfassen.

Dazu raten Kollegen

Die Interviews haben gezeigt, dass die befragten Ärzte auf eine eingehende und kontinuierliche Befassung mit betroffenen Patienten sowie eine möglichst entspannte Gesprächsatmosphäre großen Wert legen [17].

Ihrer Auffassung nach sind für eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Interaktion eine gelassene, unterstützende und empathische Grundhaltung sowie eine patientenzentrierte Gesprächsführung von herausragender Bedeutung.

Bei der Gewinnung von Informationen sollte der Arzt darauf achten, dem somatoform erkrankten Patienten als Partner auf Augenhöhe zu begegnen, sich also Beschwerden ausführlich anzuhören und ohne Vorbehalte aufzugreifen [13]. Ein Teil der Befragten stellt heraus, frühzeitig persönliche Hintergründe und Lebenslagen von Patienten zu erfassen.

“Mit wem hat man es zu tun? Zeigt der Patient eine hohe Körperaufmerksamkeit oder Hypersensitivität? Das kann für das weitere Management und die therapeutischen Optionen sehr relevant sein.” (w)

Mit der Zurückhaltung im Rahmen der tangentialen Gesprächsführung geht einher, dass keine falschen Erwartungen geweckt, nüchterne Aufklärung geleistet und überzogene Untersuchungen vermieden werden. Dies erfordert ggf. eine frühzeitige Relativierung unangemessener Wünsche und Forderungen [11].

In Bezug auf ihr Vorgehen machen die interviewten Ärzte deutlich, dass sie darauf achten, psychosoziale Themen zunächst eher beiläufig und indirekt mit Begriffen aus dem Alltagsleben anzureißen [18]. Dies sei ein kritischer Punkt, denn hätten Patienten bereits zu Beginn das Gefühl, in die “psychologische Schublade gepackt” zu werden, könnten sie das Vorurteil entwickeln, mit ihrem Anliegen nicht ernst genommen zu werden. Wichtig sei es deshalb,

“[…] dem Patienten zu helfen, sich selbst besser kennenzulernen und einen offenen Blick für die ganzen Belastungsfaktoren zu haben. Das ist das, was ich auch als psychosomatische Grundversorgung sehen würde, wo wir Hausärzte schon gut helfen können.” (w)

Aus Sicht der Hausärzte kommt es darauf an, regelmäßige, das heißt von Beschwerden und Ängsten unabhängige, zeitlich begrenzte Termine zu vereinbaren. Neben realistischen und möglichst überprüfbaren Gesprächs- und Therapiezielen betont ein Teil der Befragten, dass man sich “nicht zu viel in zu kurzer Zeit vornehmen” dürfe [12].

“Ich glaube, gerade in der Anfangszeit ist es besonders wichtig, dem Patienten immer wieder zu signalisieren, dass er hier in der Sprechstunde richtig aufgehoben ist. Dazu gehört, ihm Anerkennung für kleine Schritte und Erfolge zu geben, gerade weil es sich oft um sehr feinfühlige Persönlichkeiten handelt.” (w)

In Bezug auf konkrete Maßnahmen zum Management somatoformer Patienten kommt es einigen Befragten zunächst darauf an, im Gespräch kontinuierlich an dem “Bewusstsein der Patienten zu arbeiten, […] dass es Beschwerdebilder ohne klare körperliche Ursache gibt”.

Hierzu stellen sie teilweise Informationsmaterialen zusammen. Beschwerdetagebücher sollen helfen, einzugrenzen und genauer zu bestimmen, unter welchen Alltagsbedingungen Symptome auftreten.

“Dies signalisiert einerseits, dass man sein Gegenüber ernst nimmt, andererseits hilft es tatsächlich, den Ursachen wie zum Beispiel Schmerz etwas genauer auf die Spur zu kommen.” (m)

Neben dem Hinweis auf Entspannungstechniken heben mehrere Ärzte die Bedeutung regelmäßiger körperlicher Betätigung als therapeutisches Instrument hervor. Hierbei gehe es nicht lediglich um eine Verlagerung von Aufmerksamkeitsroutinen, sondern um die Rückgewinnung von subjektiv empfundener Souveränität und Kontrollerleben im Alltag [19].

“Zentral ist meines Erachtens die Steigerung von Selbstwirksamkeit. Vereinfacht gesagt: Herr oder Herrin über das eigene Leben und nicht Getriebener zu sein.” (m)

Im Zuge der Entwicklung kompakter Online-Therapieangebote durch bestimmte Krankenkassen versuchen einige Hausärzte, somatoforme Patienten, bei denen eine psychosoziale Betreuung nötig erscheint, an solche Angebote heranzuführen [20].

Der Gedanke ist dabei, dass sich Betroffene regulären Therapien oftmals versperren, aber möglicherweise ein niedrigschwelliges, anonymisiertes Hilfsangebot akzeptieren [21].

“Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. Online-Therapien sind eine echte Alternative, um bestimmten Patientengruppen zu helfen.” (m)

Die meisten der Befragten meiden medikamentöse Behandlungen bei somatoformen Störungen. Nur in Einzelfällen, in denen psychopharmakologischen Interventionen etwa aufgrund gleichzeitig bestehender Depressionen, Angst-, Zwangs- oder Schlafstörungen bestehen, werden medikamentöse Lösungen erwogen [22].

Hier versuchen sie vorzugsweise, bei Vorliegen von Schmerzen, Schlafstörung und zugleich einer depressiven Symptomatik unter Umständen mit einem einzigen Medikament zu behandeln. In diesem Kontext bestehen die Befragten allerdings auf eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Prof. Dr. med. Michael Jansky, Direktor des ZAG und einer der Studienautoren, zieht eine positive Bilanz der Interviews: “Anhand der Ergebnisse lässt sich klar erkennen, dass Hausärzte eine gute und stabile Arzt-Patient-Beziehung als zentrale Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung erachten. Sie demonstrieren dadurch Kompetenz und wichtige Voraussetzungen, um die kommunikativen Herausforderungen zu meistern, die bei der Behandlung von somatoformen Störungen zu erwarten sind.”

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur:

  1. Schaefert R, Hausteiner-Wiele C, Häuser W et al. Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden. Klinische Leitlinie. Dtsch Arztbl Int 2012; 109: 803-813
  2. Fink P, Hansen MS, Oxhøj ML. The prevalence of somatoform disorders among internal medical inpatients. Journal of psychosomatic research 2004; 56: 413-418
  3. Sauer N, Eich W. Somatoforme Störungen und Funktionsstörungen. Dtsch Arztbl 2007; 104: 45-54
  4. Morschitzky H. Statistik somatoformer Störung. In: Morschitzky H (Hrsg.). Somatoforme Störungen, 2. Aufl. Wien: Springer, 2007: 219
  5. Rief W. Somatoforme Störungen. In: Linden M, Hautzinger M (Hrsg.). Verhaltenstherapiemanual, 6. Aufl. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2008: 568-573
  6. Ebel H, Podoll K. Komorbidität von somatoformen Störungen mit anderen psychischen Störungen In: Rudolf G, Henningsen P (Hrsg.). Stuttgart: Schattauer, 1998: 25-38
  7. Schäfert R, Hanel G. Gesundheitsängste in der Primärversorgung. In: Hoefert W, Klotter C (Hrsg.). Lengerich: Pabst Science Publishers, 2011: 44-67
  8. Rudolf G, Henningsen P. Somatoforme Störungen: Theoretisches Verständnis und therapeutische Praxis. Stuttgart: Schattauer, 1998
  9. Wangler J, Jansky M. Internetassoziierte Gesundheitsängste in der hausärztlichen Versorgung – Ergebnisse einer Befragung unter Allgemeinmedizinern und hausärztlich tätigen Internisten in Hessen. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 102-108.
  10. Jablensky A: The concept of somatoform disorders: a comment on the mind-body problem in psychiatry. In: Ono Y, Janca A, Asai M, Sartorius N (Hrsg.). Somatoform Disorders. A worldwide perspective. Tokio: Springer, 1999: 3-10
  11. Ringel N, Mutschler A, Kröll K et al. Kommunikative Herausforderungen bei Patienten mit somatoformen Störungen meistern. Med Welt 2015; 5: 232-237
  12. Kapfhammer H. Der somatisierende Patient – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung. Psychotherapie 2005; 10: 230–243
  13. Hausteiner-Wiehle C, Henningsen P, Häuser W et al. Umgang mit Patienten mit nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden: S3-Leitlinien mit Quellentexten und Praxismaterialien und Patientenleitlinien. Stuttgart: Schattauer, 2013
  14. Schaefert R, Hausteiner-Wiehle C, Häuser W et al. Klinische Leitlinie: Nicht-spezifische, funktionelle und somatoforme Körperbeschwerden. Dtsch Arztebl Int 2012; 109: 803-13
  15. Haller H, Cramer H, Lauche R, Dobos G. Somatoforme Störungen und medizinisch unerklärbare Symptome in der Primärversorgung. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 279-287
  16. Henningsen P, Zipfel S, Herzog W. Management of functional somatic syndromes. Lancet 2007; 369: 946-955
  17. Gottschalk JM, Rief W. Psychotherapeutische Ansätze für Patienten mit somatoformen Störungen. Der Nervenarzt 2012; 83: 1115-1127
  18. Schaefert R, Boelter R, Faber R, Kaufmann C. Tangential, nicht frontal. Annäherung an eine schwierige Patientengruppe. Psychotherapie im Dialog 2008; 3: 252-259
  19. Henningsen P, Zipfel S, Herzog W: Management of functional somatic syndromes. Lancet 2007; 369: 946-955
  20. Eichenberg C, Küsel C: E Mental Health. E-Mental-Health: Erkenntnisse über Wirkmechanismen fehlen noch. Deutsches Ärzteblatt 4: 176–179
  21. Fink P, Rosendal M, Olesen F. Classification of somatization and functional somatic symptoms in primary care. Aust N Z J Psychiatry 2005; 39: 772-781
  22. Wittchen HU, Jacobi F, Rehm J et al. The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. Eur Neuropsychopharmacol 2011; 21: 655-669
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