Die Menschen werden älter – aber sie werden kränker älter! Zu diesem Ergebnis kam die Global Burden of Disease-Studie nach der Analyse deutscher Daten [1]. “Dank der Medizin werden die Menschen heute älter, aber die beschwerdefreien Jahre nehmen ab”, verdeutlichte Dr. Christina Holzapfel, München.
Die Autoren der Studie forschten auch nach den möglichen Ursachen – und fanden gut bekannte Risikofaktoren: An erster Stelle die Ernährung gefolgt von BMI, Bluthochdruck, Rauchen, Bewegungsmangel, hohe Nüchternplasmaglukose, hohes Cholesterin, Luftverschmutzung, berufsbedingte Risiken, aber auch Gewalt in der Partnerschaft und Alkohol.
Für etwa jeden fünften (18,5 Prozent) vorzeitigen Todesfall ist hierzulande eine ungesunde Ernährung verantwortlich. Das bedeutet, die Menschen essen zu viel Zucker, Wurstwaren, Salz und auf der anderen Seite zu wenig Nüsse/Samen, Gemüse, Obst, Milch- und Vollkornprodukte [2].
Diese Art der Ernährung ist mit Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen assoziiert, die wiederum für die meisten frühzeitigen Todesfälle verantwortlich sind. “Das zeigt, warum das Thema Ernährung so enorm wichtig ist”, betonte Holzapfel.
Fünf Kilo mehr in der Pandemie
In der westlichen Welt trifft der Stoffwechsel eines “Jägers und Sammlers” auf ein Überangebot energiereicher Nahrung – die Folge: Übergewicht und Adipositas. So ist ein gesundes Körpergewicht (BMI < 25) zur Seltenheit geworden, während 67 Prozent der Männer bzw. 53 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig (BMI > 25) und 23 Prozent der Männer bzw. 24 Prozent der Frauen adipös sind (BMI > 30).
Die extreme Adipositas (BMI > 40) nimmt stark zu. Verschärft wurde das Problem noch durch die Corona-Pandemie. Holzapfel berichtete von einer repräsentativen Umfrage mit über 1.000 Erwachsenen, derzufolge die Teilnehmenden in dieser Zeit durchschnittlich fünf Kilogramm zugenommen haben. Besonders betroffen waren Personen, die vorher bereits mit Übergewicht zu kämpfen hatten.
Therapieoptionen bei Adipositas
Was kann man adipösen Personen empfehlen? Hier nannte Holzapfel eine multimodale Basistherapie bestehend aus Bewegung, Ernährung und Verhalten. Hierunter fallen Ernährungskonzepte (z.B. low carb, low fat, Intervallfasten), multidisziplinäre Gewichtsreduktionsprogramme (z.B. weight watchers) sowie die Unterstützung durch Ernährungsfachkräfte und digitale Tools.
Zusätzlich stehen die niedrig kalorische Formuladiät (ca. 800 Kalorien täglich über eine bestimmte Zeit), Medikamente und die Adipositas- chirurgie zur Verfügung. “Im Bereich der medikamentösen Therapie tut sich gerade einiges. Mit Liraglutid und Semaglutid erwarten wir echte “Game Changer”, berichtete die Ernährungswissenschaftlerin.
Weniger Fett, Protein oder Zucker?
In den letzten Jahren wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert – mal wurde weniger Fett propagiert, dann waren eher die Kohlehydrate für die zusätzlichen Kilos verantwortlich und sollten gemieden werden. Eine schon ältere, aber immer noch gültige Studie bringt Licht ins Dunkel [3].
Die Autoren verglichen Kostformen mit verschieden hohen Anteilen an Fett, Protein und Kohlehydraten bei übergewichtigen Erwachsenen mit einem BMI zwischen 25 und 40 über zwei Jahre. Ergebnis: Im ersten Jahr nahmen die Teilnehmer etwa sechs Kilogramm ab, im zweiten Jahr legten sie wieder etwas zu und hatten zu Studienende noch rund vier Kilogramm weniger als anfangs.
Entscheidend war, dass sich kein signifikanter Unterschied zwischen den verschiedenen Diäten bezüglich des Gewichts-Verlaufs fand. “Es ist also völlig unerheblich, welche Art von Diät durchgeführt wurde”, fasste Holzapfel zusammen. Sie empfiehlt ihren Patienten, die Diät zu wählen, mit der sie sich wohlfühlen.
Nicht weniger, sondern anders essen
Da das Sättigungsgefühl durch Magendehnungsreize entsteht, ist ein gewisses Essensvolumen erforderlich, um sich satt zu fühlen. Für die Gewichtsabnahme ist entscheidend, den Energiegehalt dieser Essensmenge zu verringern.
“Es geht nicht darum, weniger zu essen – das hilft letztlich nichts oder ist sogar kontraproduktiv – sondern anders zu essen: Also die energiereichen Lebensmittel durch energieärmere zu ersetzen”, erklärte Holzapfel. Ideal sei eine mäßig hypokalorische Mischkost, wobei die Zusammensetzung der Makronährstoffe eine nachgeordnete Rolle spiele.
Intervall- oder kontinuierlich fasten?
Für das Intervallfasten (intermittierendes Fasten) gibt es verschiedene Konzepte. Beim 8/16 Stunden Intervallfasten darf der Proband innerhalb eines Tages über acht Stunden beliebig essen und fastet anschließend 16 Stunden lang. Meist wird auf das Frühstück oder das Abendessen verzichtet.
Eine Alternative ist das “alternate-day fasting”, bei dem man an zwei, nicht aufeinander folgenden Tagen pro Woche fastet und an fünf Tagen normal isst. Das Fasten selbst ist nicht definiert – es reicht von Rohkost, über 500 Kilokalorien (kcal) täglich bis zu völligem Essensverzicht.
Welchen Effekt man damit erzielen kann, untersuchten mehrere Studien. In einer Untersuchung wurden übergewichtige, adipöse und schwer adipöse Erwachsene in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe A führte intermittierendes Fasten durch und durfte nur zwischen 8 und 16 Uhr essen, Gruppe B erhielt eine kontinuierliche Energiebegrenzung von täglich 1.500bis 1.800 kcal für Männer und 1.200 bis 1.500 kcal für Frauen [4].
Nach zwölf Monaten war der Unterschied nicht signifikant: Die Teilnehmer in Gruppe A hatten 8,0 kg abgenommen, in Gruppe B 6,3 kg. “Das heißt, die Kalorieneinsparung geht mit Gewichtsabnahme einher, unabhängig von der Art der Diät”, verdeutlichte die Expertin.
Dass mit einem Intervallfasten ohne Kalo-rienrestriktion keine Gewichtsabnahme erzielt werden kann, zeigte eine weitere Studie [5]. Hier durften die Teilnehmer entweder drei Hauptmahlzeiten incl. Snacks zu sich nehmen, oder zwischen 12 und 20 Uhr beliebig essen. Der Gewichtsverlust war in beiden Gruppen vergleichbar (-0,88 bzw. -0,94 kg) und unterschied sich nicht signifikant vom Ausgangsgewicht.
Auch ein Cochrane-Review bestätigt, dass Intervallfasten einen ähnlichen Effekt auf die Gewichtsreduktion hat wie andere energiereduzierte Diäten [6].
Light-Produkte – was bringen sie?
Light-Produkte enthalten beispielsweise weniger Zucker oder weniger Fett. Damit die Produkte trotzdem schmecken, wird jedoch von anderen Geschmacksträgern mehr hinzugefügt. Folge: Am Ende wirkt sich der Verzehr von Light-Produkten nicht auf die Kalorienzahl aus.
Als Beispiel nannte Holzapfel eine Eiscreme-light, die 40 Prozent weniger Fett enthält, was 170 kcal/100 g entspricht. Eine normale Eiscreme mit 8 Prozent Fett hat 200 kcal/100g. Da der Hauptanteil an Kalorien hier aber vom Zuckeranteil kommt, spart man am Ende nur 15 Prozent an Kalorien ein. Noch weniger, nämlich nur vier Prozent weniger Kalorien als ein normaler Butterkeks sind in einem Produkt enthalten, das mit 30 Prozent weniger Zucker wirbt. Hintergrund: Statt Zucker enthält dieser Butterkeks kohlehydratreiche Ersatzzutaten wie Maismehl und Invertzuckersirup (ein Gemisch aus Glukose und Fruktose).
Vegan ja, aber richtig!
In Deutschland ernähren sich mittlerweile rund 2,6 Millionen Menschen vegan. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) vertritt dazu eine eindeutige Position [7]. Für Schwangere, Stillende, Kinder und Jugendliche empfiehlt sie die vegane Ernährung nicht.
Ansonsten sollte die vegane Lebensmittelauswahl gut geplant und ausgewogen sein und eine Supplementation von Vitamin B12 und Jod aber ggf. auch von Vitamin D und Kalzium umfassen. Insbesondere beim Eiweiß sollten Veganer laut Holzapfel auf verschiedene Quellen (z.B. Nüsse, Soja, Hülsenfrüchte) achten.
Profitieren Veganer hinsichtlich des Körpergewichts? In einer Studie über sechs Monate nahmen die teils stark adipösen Teilnehmenden nach der Umstellung auf vegane Ernährung deutlich mehr an Gewicht ab als die omnivore Kontrollgruppe (-7,5 kg versus -3,1 kg) [8].
Diese Ergebnisse wurden von einer weiteren Untersuchung bestätigt [9]. Allerdings zeigte sich hier, dass die innerhalb eines Jahres erreichte Gewichtsabnahme bei einer Nachbeobachtung von über einem Jahr wieder verschwand.
“Kurzzeitig halten viele Menschen die Ernährungsumstellung durch, Langzeiteffekte sind dagegen mit einem Fragezeichen versehen”, resümierte Holzapfel.
Digitale Unterstützung
Das digitale Verordnungsgesetz ermöglicht die budgetneutrale Verschreibung von Gesundheits-Apps. Für Adipöse stehen zwei Apps (zanadio und Oviva Direkt für Adipositas) zur Verfügung. Die digitalen Optionen können eine gesundheitsfördernde Ernährung bzw. die Gewichtsreduktion unterstützen.
Quelle: 22. interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin. Symposium Essstörungen: “Sinn und Unsinn neuer Trends der Ernährungstherapie: Ein Praxis Update” in München.
Literatur
- Plass D et al. Dtsch. Ärztebl Int 2014; 111: 629-38
- Afshin A et al. Lancet 2019; 393: 1958-72
- Sacks FM et al. N Engl J Med 2009; 360(9): 859-73
- Liu D et al. N Engl J Med 2022; 386:1495-1504
- Lowe DA et al. JAMA Int Med 2020; 180(11):1491-99
- Allaf M et al. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021
- Richter M et al. Ernährungs Umschau 2020; Sonderheft 5 vegan
- Turner-McGrievy GM et al. Nutrition 2015; 31(2): 350-8
- Huang R-Y et al. J Gen Intern Med 2016