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Chronische SchmerzerkrankungChronische Schmerzen erfordern ein multimodales Konzept

Zur Entstehung einer chronischen Schmerzerkrankung tragen unterschiedliche Faktoren aus dem körperlichen, psychischen und sozialen Bereich bei. Daher ist zumindest in schwerwiegenden Situationen ein multimodales Konzept z. B. aus medikamentösen, physio-, psycho- und soziotherapeutischen Maßnahmen erforderlich.

Stress, Angst, Depressionen und andere Faktoren können zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen

Die wesentlichen Grundprinzipien der Schmerztherapie wurden von der WHO und in Leitlinien (z. B. Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) hauptsächlich für Tumorpatienten beschrieben. Sie können aber mit einigen Modifikationen größtenteils auf Nichttumorpatienten übertragen werden.

Demnach soll eine Schmerztherapie so einfach wie möglich gestaltet sein. Um die Lebensqualität der betroffenen Personen nicht zusätzlich einzuschränken, sollen orale Medikamente (Tropfen, Lösungen und Tabletten) Spritzen und Schmerzkathetern vorgezogen werden. Spritzen und Katheter wirken in den meisten Situationen nicht besser, machen Patienten aber verstärkt von der regelmäßigen Betreuung durch Ärzte abhängig und können dadurch sogar die Chronifizierung auf der psychosozialen Ebene (Kontrollverlust) fördern. Des Weiteren sollen nach den WHO-Empfehlungen die Schmerzmedikamente nach einem festen Zeitschema eingenommen werden.

Unter dem Begriff “Wind up” sind verschiedene Mechanismen bekannt, mittels derer sich (unbehandelter) Schmerz aufschaukeln kann. Schmerzneurone verstellen ihre Empfindlichkeit. Es ist daher wichtig, den Schmerz gleichmäßig über den Tag zu behandeln und möglichst nicht “durchbrechen” zu lassen. Bei Beachtung der genannten Prinzipien der WHO und des im Folgenden beschriebenen Stufenschemas kann eine Schmerztherapie ohne schwere Nebenwirkungen oder Folgeschäden durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang werden die Empfehlungen auch “DNA”-Regel der WHO genannt (Tab. 1).

Im WHO-Stufenschema sind die gängigen Schmerzmedikamente in drei Stufen eingeteilt:

  • Einfache Schmerzmedikamente, z. B. Para- cetamol, Metamizol, Ibuprofen (Stufe 1)
  • Opioide je nach Stärke bzw. Ceilingeffekt (Stufe 2 oder 3).

Neben diesen drei Stufen gibt es im WHO-Stufenschema Koanalgetika, d. h. Medikamente, die nicht primär als Schmerzmittel zugelassen sind.

Gründe für die Chronifizierung

Trotz Beachtung der Prinzipien der Schmerztherapie kommt es bei einigen Patienten zum Übergang von akuten zu chronischen Schmerzen. Umfangreiche Studien haben sich mit der Frage beschäftigt, was zu dieser sekundären Chronifizierung führen könnte. Folgende förderliche Faktoren wurden identifiziert [1]:

  • Stress und Belastung am Arbeitsplatz
  • Kognitive Faktoren wie z. B. Katastrophendenken und Hypervigilanz
  • Emotionale Faktoren wie Angst vor Schmerz bei Bewegung durch negative Konditionierung
  • Angst und Depressivität als Komorbidität
  • Abgeschwächte deszendierende Hemmung, d. h. die vom Gehirn absteigenden schmerzhemmenden Bahnsysteme funktionieren nicht ausreichend
  • Defiziente Stressanalgesie
  • Funktionelle und strukturelle Veränderungen in bestimmten Hirnarealen, z. B. Frontalhirn, limbisches System

Alle diese Prozesse können nicht nur eine Chronifizierung initial auslösen, sondern auch nach erfolgter Chronifizierung nach Art eines Teufelskreises sich immer weiter aufschaukeln. So verwundert es nicht, dass chronischer Schmerz folgende Auswirkungen haben kann [1]:

  • Verlust von Kompetenz, Selbstwirksamkeit und Lebensqualität
  • Fokussierung auf Schmerz
  • Katastrophendenken
  • Hilflosigkeit
  • Kontrollverlust
  • Sozialer Rückzug
  • Sozialer Kompetenzverlust
  • Dysphorische Verstimmung
  • Depression
  • Angst
  • Hypervigilanz
  • Schlafstörungen

Multimodale Therapie

Konzepte zur Vermeidung bzw. Behandlung der Chronifizierung müssen sich der multifaktoriellen Genese stellen. Daher sind multimodale Therapieverfahren sinnvoll und etabliert.

Der medikamentöse Teil dieser multimodalen Therapie sollte Verfahren zum Schwerpunkt haben, die die bei der Schmerzkrankheit abgeschwächte absteigende Hemmung verbessern. Hierzu eignen sich Koanalgetika und unter diesen wegen ihres passenden Wirkmechanismus vor allem Antidepressiva (Tab. 2).

Antidepressiva

Antidepressiva entfalten ihre Wirkung im Zentralnervensystem, indem sie über das Rückenmark aufsteigende schmerzleitende Impulse durch eine Verstärkung absteigender schmerzdämpfender Systeme hemmen. Sie greifen daher genau an einem der Auslöser der Schmerzchronifizierung an. Diese schmerzlindernde Wirkung der Antidepressiva ist relativ unabhängig von der antidepressiven Wirkung. Man sieht das auch daran, dass man für die analgetische Wirkung meist niedrigere Dosierungen als für die antidepressive Therapie benötigt. Nicht alle Antidepressiva wirken gleich gut koanalgetisch gegen Schmerzen.

Es hat sich gezeigt, dass vor allem diejenigen Antidepressiva, die auf das Noradrenalinsystem besonders einwirken, eine gute koanalgetische schmerztherapeutische Wirkung haben (klassischerweise Amitriptylin oder das weniger anticholinerge und damit besser verträgliche Nortriptylin).

Neuere Antidepressiva mit noradrenergem Wirkprofil sind Venlafaxin und Duloxetin. Beides sind Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer mit einem insgesamt günstigeren Nebenwirkungsprofil und einer allerdings auch geringeren Wirkstärke als die Trizyklika. Beide Medikamente wirken nicht sedierend und können daher morgens verabreicht werden.

Ein sehr interessantes koanalgetisch wirkendes Antidepressivum ist Mirtazapin. Es ist ein noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum. Neben seiner analgetischen Wirkung kann es bei Übelkeit, Inappetenz und Juckreiz eingesetzt werden.

Physio- und Psychotherapie

In der multimodalen Behandlung sind psychologische und physiotherapeutische Verfahren von entscheidender Bedeutung. Es geht unter anderem darum, dysfunktionale Verhaltensmuster aufzulösen. Beispielsweise kann eine Extinktion dieser Muster durch neue Lernvorgänge angestrebt werden. Das Wiedererlangen der Selbstwirksamkeit ist dabei ein wichtiges Ziel. Bei Patienten mit chronischer Schmerzkrankheit spielen Angst und Hilflosigkeit eine dominierende Rolle. Betroffene leben zum Teil in ständiger Erwartung wiederauftretender Schmerzen.

Eine gelungene Schmerztherapie mit einer Reduktion des Schmerzniveaus kann ein sehr starker Motivator für Maßnahmen zur Förderung der Selbstwirksamkeit und zur Reduktion von Vermeidungsstrategien bedeuten.

Entspannung und Achtsamkeit

An der Schmerzverarbeitung im Gehirn setzen andere nicht medikamentöse Therapieverfahren an. Dazu gehören Entspannungstechniken wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Bei dieser Methode werden systematisch Entspannung fördernde Instruktionen des Therapeuten eingeübt. Achtsamkeitsbasierende Verfahren wie die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR) [2], die sich aus Körperwahrnehmungsübungen (“Bodyscan”), einfachen Yogaübungen und meditativen Praktiken zusammensetzt, fördern die Haltung, mit dem Schmerz nicht katastrophisierend umzugehen, ihn besser annehmen und gezielter angehen zu können. Somit wird die Aufgabe stereotyper Reaktionsweisen, die den Schmerz unterhalten, gefördert.

Außerdem haben Patientenschulungsmaßnahmen im Hinblick auf ein gutes Selbstmanagement der Betroffenen eine Bedeutung.

Fazit

1. Bei der chronischen Schmerzerkrankung hat der Schmerz seine biologische Warnfunktion verloren und sich verselbstständigt. Dabei spielen dysfunktionale Verhaltensmuster, Angst und Hilflosigkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle.

2. Neben der medikamentösen Schmerztherapie spielen nicht medikamentöse Verfahren aus dem Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie, der achtsamkeitsbasierten Verfahren und der Physiotherapie eine besondere Rolle, um dysfunktionale Muster aufzulösen und mehr Selbstwirksamkeit zu erlangen.

 

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Literatur:

1. Ziegelgänsberger W, Flor H. Schmerz in: Zettl UK, Sieb JP. Diagnostik und Therapie neurologischer Erkrankungen, Elsevier München 2019

2. Kabat-Zinn J. Gesund durch Meditation, Knaur München 2011

3. Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin, Thieme Stuttgart 2014

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