Sie gelten als die grüne Lunge der Megastädte Sāo Paulo und Rio de Janeiro: Die waldbewachsenen Berge der rund 500 Kilometer langen Serra da Mantiqueira. Eine ihrer landschaftlich schönsten und in ihrem Wandel spannendsten Regionen befindet sich drei Autostunden nordöstlich von Sāo Paulo: Das Gebiet rund um den 1.950 Meter hohen Pedra do Baú, den “Truhenfelsen”, der von seinem kleinen Bruder Bauzinhio und seiner Geliebten Ana Chata eingerahmt wird.
Zu Füßen des Pedra do Baú liegt im Tal des Rio Sapucai-Mirim der staatlich anerkannte Luftkurort Sāo Bento do Sapucai. Hier leben Menschen und Natur im Einklang, die Landwirtschaft ist kleinbäuerlich und das Leben sicher.
Obwohl Stadt und Bürgermeister dank staatlicher Zuschüsse für Luftkurorte den Ausbau des Tourismus vorantreiben, besuchen die Region bisher vorwiegend Wochenendgäste, Sportler und Ruhesuchende aus den umliegenden Städten. Souvenirläden gibt es keine, dafür aber einheimisches Kunsthandwerk aus Keramik, Bananenblättern und Holz, das direkt bei den Künstlern oder in den umliegenden Ortschaften gekauft werden kann.
Bergsport-Mekka und Ruhequell
Brasilianische Bergläufer schätzen die rund 11.000 Einwohner zählende Gemeinde wegen ihrer gut organisierten Bergrennen, bei denen Distanzen von vier, sieben, 12 oder 21 Kilometer über zweimal 1.000 Höhenmeter gelaufen werden. “Um bei diesen harten Rennen mitzumachen, braucht es ein gutes Training und eine gute Vorbereitung”, erklärt Trainer und Ernährungsberater Carlos Cristóvāo. Aber auch Seifenkistenrennen und das Rennen der Barra Forte – der “harten Stangen”, wie die Alltagsfahrräder genannt werden – ziehen viele Schaulustige an.
Überragendes Kennzeichen der Region ist die überwältigende, in vielen Teilen unberührte Natur und ein intakter Hochregenwald. Die ideale Umgebung für stressgeplagte Menschen, um auf vielfältige Weise zur Ruhe zu kommen und neue Energie zu tanken. Ornithologen finden hier ein Paradies mit rund 1.000 Vogelarten samt zahlreicher endemischer Vögel, die vom lärmenden Papagei über den torkelnd fliegenden Tucan bis hin zum Joāo de Barro reichen, der sein Nest auf Baumästen aus Termitenerde baut. “Unsere Natur soll erhalten bleiben. Deshalb wollen wir einen sanften Ökotourismus sicherstellen”, macht Bürgermeister Ronaldo Rivelino Venâcio deutlich.
Gute Ernährung als Schlüssel
Den ökologischen Gedanken tragen viele Einheimische und zahlreiche naturverbundene Menschen aus Sāo Paulo mit, die sich in den umliegenden Bergen niedergelassen haben. Ihr Anliegen ist es, wieder zurück zu einer gesunden Ernährung zu finden. Oben in den Bergen hat das Familienunternehmen Oliq eine moderne Ölpresse gebaut, in der Oliven und Avocados gleich vor Ort zu hochwertigem Bio-Öl gepresst werden. In Paulas Bio-Bäckerei wird Brot aus biologisch angebauten Zutaten gebacken, Ricardo im Vale do Baú produziert Bio-Käse nach alter Rezeptur und aus eigener Milch. Und am Rande von Sāo Bento kann in einer kleinen Privatbrauerei das Bio-Bier Bauzera genossen werden.
Die intakte Bergwelt mit ihrer klaren, sauberen Luft und die Möglichkeit der gesunden Ernährung sind für die Yogalehrerin Patricia die besten Voraussetzungen, damit stressgeplagte Menschen mithilfe eines ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses wieder zu ihrer inneren Balance finden. “Zu mir kommen viele Menschen, die den Kontakt zu sich selbst und zur Natur verloren haben”, erzählt die fröhliche Ehefrau und Mutter, die mit ihrer Familie oben in den Bergen lebt. Ihre mehrtägigen Kurse sind meist ausgebucht. Eingebunden im Familienverband lernen ihre Kursteilnehmer neben Yoga und Achtsamkeit, sich ausgewogen zu ernähren und Bewegung als zentrales Element des Lebens zu verstehen. Adriano, der schon zum dritten Mal hier ist, hat seinen Kollegen mitgebracht. Beide sind sich einig: “Unser Arbeitsdruck in einem internationalen Unternehmen ist so hoch, dass wir diese Energietankstelle brauchen.”
Wandern durch Berg und Tal
In der ganzen Region gibt es weder große Hotels noch Diskotheken oder Industrieansiedlungen. Übernachtet wird in sogenannten Pousadas, Fremdenzimmern und Ferienwohnungen, die für die Bewohner eine wichtige Einnahmequelle und für Touristen eine gute Gelegenheit sind, mit den freundlichen Bentinos in Kontakt zu kommen.
Mit ihren gemäßigten Höhen zwischen 800 und 2.000 Metern bietet die Region ganzjährig ein ideales Klima zum Wandern. Rund um den Pedra do Baú finden Wanderer zudem ein abwechslungsreiches Gebiet, das vom atlantischen Hochregenwald (Manta Atlântica) über Olivenhaine, Bananenplantagen, wilden Zitronenbäumen und Araukarien bis hin zu einem Bergpanorama reicht, das seinesgleichen sucht. Abseits vom Tourismus kann die Seele baumeln beim Anblick der beeindruckenden Bergwelt mit weiten sonnenbeschienenen Weiden, auf denen Abkömmlinge von Zebu-Rindern friedlich grasen.