Im 16. Jahrhundert wird die Stadt Genf von Savoyen bedroht. Zu ihren Schutz legen die Genfer Burggräben an. Das stehende Wasser war eine ideale Brutstätte für Stechmücken – und Genf wurde zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Malaria-Gebiet. Ein zweites Beispiel: In den 1630er Jahren wurde das kleine Jagdschloss Versailles zu einem großen Palast ausgebaut. Die ausgehobenen Baugruben füllten sich mit Wasser, und die Mücken brüteten zuhauf. Von den Bauarbeitern infizierten sich so viele mit Malaria, dass neben dem Schloss ein Krankenhaus errichtet wurde. Und: 1686 wollte König Ludwig XIV. einen Aquädukt anlegen lassen, um Wasser für die Wasserspiele nach Versailles zu leiten. Doch von den 30.000 Arbeitern starben so viele an Malaria, dass die Arbeiten 1688 eingestellt wurden und nie wieder aufgenommen wurden. Oder: 1809 setzte Napoleon Malaria als Waffe gegen die britischen Truppen ein. Er überflutete ganze Gebiete in Holland, damit Malaria dort grassieren konnte. Das klappte: Von den 240.000 britischen Toten in diesem Krieg sollen nur 30.000 gefallen und der Rest an Krankheiten wie eben Malaria gestorben sein. Und ein letztes Beispiel: Im Ersten Weltkrieg waren britische, französische und deutsche Truppen in Mazedonien mit Malaria konfrontiert. Als ein französischer General den Befehl zum Angriff bekam, soll er geantwortet haben: “Bedaure, meine Armee liegt mit Malaria im Lazarett.”
19. Jahrhundert: Fast ganz Europa Malaria-Gebiet
Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert soll die Malariaverbreitung weltweit ihren höchsten Stand erreicht haben. Alle Kontinente waren betroffen, außer Australien und Antarktika. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Europa nur noch wenige malariafreie Gebiete. Am schlimmsten betroffen war Italien. Für Westeuropäer war Malaria deshalb “die” italienische Krankheit schlechthin. Kein Wunder, dass auch der Name aus dem Lateinisch-Italienischen übernommen wurde: “mala aria” heißt schlechte Luft, in der man früher die Ursache für die Krankheit sah. Auch die Balkanländer und die Mittelmeer-regionen hatten besonders große Malaria-Probleme. Malaria kam selbst im Norden vor: Die Seen im schwedischen Teil Lapplands etwa waren Malariaregionen. Denn einige der Überträgermückenarten sind kälteunem-pfindlich, vor allem Anopheles atroparvus, die auch etwa in Deutschland, Holland und entlang der Ostsee vorkommt. Erst 2015 gab es in ganz Europa erstmals keine autochthone Übertragung von Malaria mehr. Deshalb erklärte die WHO 2016 Europa für malariafrei.
Malaria ist eine uralte Krankheit. Es wird vermutet, dass sie schon in prähistorischen Zeiten von Menschenaffen auf Menschen übertragen wurde. Schon um 2.700 v. Chr. wurden in Ägypten Malaria-ähnliche Krankheiten beschrieben. Auch aus dem alten China und dem antiken Griechenland gibt es Schriften. Bekannt war, dass die Krankheit in sumpfigen Gebieten häufiger war. In Frankreich und Großbritannien benannte man sie deshalb auch Sumpffieber. Im Französischen heißt Malaria heute noch “paludisme” vom lateinischen Wort “palus” für Sumpf. Auch als “Dreitagefieber” war die Krankheit bekannt, denn die Fieberschübe traten alle drei Tage auf (heute “Malaria tertiana”).
Malaria forderte mehr Opfer als alle Pest-, Cholera- und Pockenepidemien
Man weiß nicht genau, wie viele Menschen an Malaria gestorben sind. Dennoch: Malaria “forderte im Laufe der Jahrhunderte wahrscheinlich mehr Opfer als alle großen Pest-, Cholera- und Pockenepidemien zusammen”, schreiben die französischen Mediziner Jacques Ruffié und Jean-Charles Sournia in ihrem Standardwerk “Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit”. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, dass die Hälfte der Menschen, die je gelebt haben, an Malaria gestorben sind.
Warum sind dann Angst und Schock nicht größer? Anders als etwa die großen Pestzüge, die Entsetzen auslösten, weil sie in kurzer Zeit die Bevölkerung ganzer Landstriche und Städte auslöschten, war Malaria immer da. Sie wurde als eine Art ständiger Plage hingenommen. Man hatte sich gewisser-maßen an Malaria gewöhnt.
Die Therapien waren über die Jahrhunderte natürlich unterschiedlich. Im altchinesischen medizinischen Standardwerk “Huangdi Neijing” (etwa 475 bis 300 v. Chr. verfasst) wurde der bittere Saft des Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) empfohlen – dessen Wirkstoff, Artemisinin, wurde erst vor kurzem wiederentdeckt und wird heute zur Behandlung bei Malaria eingesetzt. Ärzte aus anderen Regionen und Zeiten empfahlen ebenfalls Artemisia-Arten gegen Malaria. Avicenna etwa riet zum Saft von Wermut (A. absinthium) bei Fieber. Auch Dioskurides gab den Patienten Wermutsaft, allerdings nicht während der Fieberschübe. Weitere Artemisia-Arten wie Eberraute (A. ar- brotanum) und Beifuß (A. vulgaris) gehörten ebenfalls zu den alten Malariamitteln. Die alten Ägypter dagegen rieten zu viel Knoblauch, und Galen setzte auf Aderlass und Fasten.
Mit der Chinarinde kam der Therapie-Durchbruch
Ein Durchbruch in der Therapie gelang im 18. Jahrhundert. 1737 erfuhr der französische Entdecker Charles Marie de la Condamine (1701-1774) in Ecuador vom “Fieberbaum”, dessen Rinde Malaria heilen könne. So soll die Gräfin von Chinchón durch den Fieberbaum genesen sein. Condamine brachte Proben mit nach Europa. Schnell wurde die heilsame Rinde bekannt. 1743 nannte der schwedische Botaniker Carl von Linné die Pflanze nach der geheilten Gräfin “Cinchona”. Bekannt wurde sie als Chinarindenbaum. Die Chinarinde galt als wahres Wunder. Nicht jeder wurde geheilt. Doch der enthaltene Wirkstoff Chinin konnte das Fieber reduzieren und die Muskelkrämpfe lindern.
Chinin blieb bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die Standardbehandlung bei Malaria. Doch trotz Chinin starben im Zweiten Weltkrieg 60.000 US-Soldaten in Afrika und im Südpazifik an Malaria. Denn es war zu Resistenzen gekommen. In den 1930er Jahren wurde Chloroquin entwickelt, auf das es ebenfalls schnell Resistenzen gab. Genauso wie gegen die folgenden Mittel, die teilweise auch schwere Nebenwirkungen hatten. Heute werden die Patienten mit einem Cocktail an Medikamenten behandelt. An erster Stelle: das alte chinesische Mittel Artemisinin. Doch Übertherapie damit hat inzwischen auch schon zu Resistenzen gegen Artemisinin-Derivate geführt.