Über 2.000 Jahre alt ist das Medizinsystem des indischen Ayurveda –und immer noch aktuell und lebendig. Auch heute berufen sich ayurvedische Ärzte auf Jahrhunderte alte Rezepturen und Therapien.
Etwa 3.000 Heilpflanzen werden heute in der ayurvedischen Medizin eingesetzt. Viele Rezepturen sind 2.000 Jahre alt und stammen aus der Anfangszeit dieser indischen Naturheilkunde. Im ersten Jahrhundert n.Chr. soll Charaka, einer der legendären Ayurveda-Weisen, als erster das alte Wissen niedergeschrieben haben. Er beschreibt 1.500 Pflanzen, davon 350 als medizinisch nützlich. Eine wichtige Heilpflanze war für Charaka zum Beispiel Rizinus, der tropische Wunderbaum. Öl aus den Samen und Pulver aus der Wurzel wurden in Rezepturen zur externen Verwendung etwa gegen rheumatische Beschwerden und Lumbago empfohlen, das Öl auch als Abführmittel zur Reinigung. Erwärmte Rizinusblätter wurden auf die Brust junger Mütter gelegt, um den Milchfluss anzuregen. Mit dem Öl wurden die Brustwarzen eingerieben, nachdem das Baby getrunken hat, damit sie nicht wund werden. Ayurvedische Ärzte benützen Rizinus also seit zwei Millennia. Die Araber übernahmen dieses Heilmittel schon früh von den Indern und nannten es “indischer Sesam”. Europäer entdeckten den Rizinus erst um das 18. Jahrhundert und nützen ihn seither vor allem als Laxativ.
Wissen vom Leben
Der Ayurveda (wörtlich “Wissen vom Leben”) hat in den letzten Jahren einen wahren Boom erlebt. Der Tourismus in Indien und Sri Lanka setzt auf Ayurveda-Kuren in Resorts, auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern gibt es inzwischen Ayurveda-Kliniken. Meist werden Wellness-Behandlungen, etwa mit Massagen und Ölgüssen, angeboten. Doch das verstellt den Blick. Beim Ayurveda handelt es sich beileibe nicht um Wellness. Sondern der Ayurveda, die Traditionelle Indische Medizin, ist ein komplettes und überaus komplexes Medizinsystem, das von der Weltgesundheitsorganisation als medizinische Wissenschaft anerkannt ist. Der Ayurveda ist eines der ältesten naturheilkundlichen Systeme überhaupt – und nach wie vor aktuell.
Im Zeitraum von etwa 500 v.Chr. bis 500 n.Chr. entwickelte sich das medizinische Lehrgebäude des Ayurveda. Grundlage sind die Heiligen Schriften (“Veden”) der alt-indischen hinduistischen Religion. Eine dieser Schriften, der Atharvaveda, ist wohl von verschiedenen Autoren zwischen dem 6. und dem 7. Jahrhundert v.Chr. aufgeschrieben worden. Er enthält nicht nur religiöse Gesänge, Beschwörungen und Segenssprüche, sondern es geht auch um die Behandlung von Kranken. Später kommen zwei weitere Vedas hinzu. Die drei Schriften zusammen bieten eine systematische Klassifizierung von Krankheiten mit Symptomen und Behandlung, woraus sich der Ayurveda entwickelt hat. Die Vedas wurden schon um 400 v. Chr. ins Chinesische übersetzt und haben sicher die chinesische Medizin beeinflusst.
Leiden ist Krankheit, Zufriedenheit ist Gesundheit
Das System des Ayurveda ist sehr komplex und kann hier nur oberflächlich vorgestellt werden. Die zugrundeliegende Philosophie besagt: Leiden ist Krankheit, Zufriedenheit ist Gesundheit.Gesundheit ist nach ayurvedischer Vorstellung ein körperliches, seelisches und geistiges Gleichgewicht. Drei grundlegende Kräfte oder Energien durchdringen Kosmos, Natur und auch den Menschen: die drei Doshas Vata, Pitta und Kapha.