Ärztinnen und Ärzte stöhnen immer mal wieder über “schwierige Patienten”. Doch was sind “schwierige Patienten”? Therapieabbrecher, aggressive oder uneinsichtige Patienten, solche, die alles besser wissen und sich im Internet überschlau gemacht haben, die besonders geschwätzig, besonders manipulativ sind, aber auch psychosomatisch Kranke, an deren Konflikt man einfach nicht herankommt – solche Patienten zum Beispiel werden im Praxisalltag als “schwierig” erlebt. Und das ist das entscheidende Wort: Sie werden so erlebt vom behandelnden Arzt. Denn “schwierige Patienten” per se gibt es nicht.
Sondern das sind Patienten, mit denen die Kommunikation schwierig und der Umgang kompliziert ist, Patienten, auf die Mediziner mit Unmut reagieren, die ärgern oder einfach nur nerven, die einen inneren Widerstand erzeugen gegen ihre Person, ihr Verhalten oder ihren Krankheitsverlauf. Das bedeutet, dass hier immer ein Interaktionsproblem vorliegt, ein Problem der Arzt-Patienten-Beziehung.
Verhaltensweisen analysieren
Welche Patienten jeweils als schwierig erlebt werden, das ist ganz individuell. Denn auch Persönlichkeit und Gefühle des Arztes spielen eine Rolle in einer schwierigen Kommunikation.
Hindernisse in der Beziehung zu solchen als schwierig erlebten Patienten sind auch Verhaltensweisen, die sich beim Arzt eingeschlichen haben; Automatismen, denen man sich nicht bewusst ist, die aber den Blick verstellen und die Interaktion weiter verkomplizieren.
Es ist deshalb sinnvoll, an der Beziehung zu arbeiten, schon um die negativen Gefühle loszuwerden. Und hier bietet sich die Balint-Arbeit an. Jeder Hausarzt kennt Balintgruppen aus der Weiterbildung. Diese Fallanalysen unter Kollegen gehen auf den ungarisch-britischen Arzt und Psychoanalytiker Michael Balint (1896 bis 1970) zurück.
Balint – vor 125 Jahren in Budapest geboren – studierte in Ungarn Medizin und wurde zum Psychoanalytiker ausgebildet. Schon 1930 initiierte Balint in Budapest ein Seminar, in dem er mit praktischen Ärzten die psychotherapeutischen Möglichkeiten der täglichen Praxis studierte. Das war und blieb das Thema, das ihm besonders am Herzen lag. Doch er konnte es zunächst nicht weiterverfolgen.
Fallkonferenzen für Hausärzte
Die politischen Bedingungen in Ungarn der 30er-Jahre waren äußerst schwierig, erklärt die Deutsche Balint-Gesellschaft in ihrer Balint-Biographie. Alle Namen der Seminar-Teilnehmer mussten der Polizei angegeben werden und bei jeder Sitzung war ein Polizist in Zivil anwesend, der sich alles notierte, was gesprochen wurde.
Da unter solchen Umständen eine offene Diskussion nicht möglich war, wurde das Seminar bald aufgelöst. Zudem stammte Balint aus einer jüdischen Familie und es wurde zunehmend gefährlich für ihn, deshalb wanderte er 1939 nach England aus.
Hier wurde Balint zunächst psychiatrischer Berater am Northern Royal Hospital in Manchester. 1945 zog er nach London und setzte dort an der Tavistock Klinik seine Arbeit mit praktischen Ärzten in Gruppen fort. Dabei stützte er sich auf die Erfahrungen mit Gruppensupervisionen in der psychoanalytischen Arbeit. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie sinnvoll Supervision ist.
1950 begann Balint mit Fallkonferenzen für niedergelassene Hausärzte. Er nannte sie “Diskussionsseminare über psychische Probleme in der ärztlichen Praxis”. Für ihn selbst hatten diese Konferenzen auch Forschungscharakter. “Unser Hauptziel war die möglichst gründliche Untersuchung der ständig wechselnden Arzt-Patient-Beziehung, das heißt das Studium der Pharmakologie der ‚Droge Arzt‘”, so Balint später.
Die bekannte Metapher von der “Droge Arzt” stammt von Michael Balint. Wie bei einem Arzneimittel sei auch beim Pharmakon Arzt die Wirksamkeit abhängig von der Dosis, dem Zeitpunkt und der Applikationsweise.
Und auch die “Droge Arzt” könne Nebenwirkungen haben, was den Effekt der positiven Wirkung beeinträchtigen oder gar ganz verhindern könne. “Die Persönlichkeit des Arztes entscheidet in Verbindung mit fachlichen und kommunikativen Kompetenzen über die Qualität der Diagnostik und Therapie sowie die Compliance des Patienten”, erklärt der Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Professor Dr. med. Matthias Elzer aus Hofheim/Ts.
Das Konzept sei aus der damals wie heute gültigen klinischen Erfahrung entstanden, dass ein erheblicher Teil der Patienten einer Allgemeinpraxis keine primären Organkrankheiten aufweist, sondern psychosoziale Konflikte vom Patienten somatisch präsentiert werden, so Elzer, der auch Balintgruppen leitet. “Eine primär krankheitsorientierte statt patientenorientierte Medizin läuft Gefahr, das kommunikative Missverständnis nicht zu erkennen.”
Blinde Flecken werden sichtbar
Das Konzept der Balintgruppen ist jedem Hausarzt bekannt. Zur Erinnerung: 5 bis 12 Kollegen treffen sich. Eine Ärztin oder ein Arzt stellt jeweils eine schwierige Kommunikation mit einem Patienten vor (ohne Notizen). Das wird dann besprochen.
Pro Arzt-Patienten-Beziehung werden eineinhalb Stunden angesetzt. Die Analyse der Kollegen, der der vorstellende Arzt schweigend zuhört, und die Selbstbeobachtung geben Anregung für eine neue Sichtweise, blinde Flecke werden sichtbar gemacht.
Der vortragende Arzt erkennt seine Wirkung auf den Patienten und auch seine eigenen Verhaltens- und Stressmuster, die oft unbewusst ablaufen – und kann sie dann auch durchbrechen. Aber auch den anderen Teilnehmern, die keinen eigenen Fall vorgestellt haben, nützt diese analytische Betrachtung zu einem besseren Verständnis für ihre Patienten und sich selbst.
Größere Arbeitszufriedenheit
Viele Hausärztinnen und Hausärzte wissen aus Erfahrung, wie wertvoll die Arbeit in den Balintgruppen ist. Doch im Praxisalltag gerät das schnell in Vergessenheit. Man hat zu viel zu tun, ist abends einfach zu müde für stundenlange Gruppenarbeit unter Kollegen.
Doch sich auf die Balint-Arbeit zu besinnen, ist sinnvoll. Nicht nur hilft das in der Kommunikation mit “schwierigen Patienten”. Es wird insgesamt zu einer besseren Qualität der Beziehung zu den Patienten führen und damit auch zu einer größeren Arbeitszufriedenheit auf Seiten des Arztes. Das wiederum schützt vor Burnout.
Und allein durch die Struktur der Gruppe lernt und übt man das Zuhören, ein nicht zu unterschätzendes, wertvolles Mittel, um die “Droge Arzt” individuell möglichst effektiv einzusetzen. Denn, wie Michael Balint sagte: “Wer nur Fragen stellt, erhält Antworten, aber sonst nicht viel.”
Online-Quellen u.a.:
Balint, Michael: “Training General Practitioners in Psychotherapy”. BMJ 1954; 1(4854).
Deutsche Balint-Gesellschaft e.V., www.balintgesellschaft.de
Elzer, Matthias: “50 Jahre Balint-Gruppen: Ganzheitliche Kompetenz erwerben”. Dtsch Arztebl 2004; 101(24): A-1722 / B-1432 / C-1379