Medizinhistorische SchlaglichterAntikes Rom

Die meisten freien Ärzte im antiken Rom waren Griechen, die das hippokratische Medizinkonzept mitbrachten. Darunter waren Dioskurides, der berühmteste Pharmakologe des Altertums, und Galenos von Pergamon, einer der größten Ärzte der Antike überhaupt. Galens medizinische Theorien, die er in vielen Schriften niederlegte, wurden die Basis der europäischen Medizin. 1.500 Jahre lang galt seine Lehre als unumstößlich.

Zeichnung des berühmten Arztes Galen von Pergamon vom venezianischen Bildhauer Tullio Lombardo (1455-1532).

Der Aderlass war für den großen Arzt Galen das Allheilmittel schlechthin. Bei jeder Krankheit war ein Aderlass die richtige Therapie, etwa bei Akne, Lungenentzündung, Epilepsie, Schlaganfall, Kopfschmerzen und Fieber, sogar bei Blutverlust. Werde Blut abgelassen, würden damit schädliche Stoffe ausgeschieden, und das Ungleichgewicht der Körpersäfte, das zu der Krankheit geführt habe, könne wieder ausgeglichen werden, so die Theorie. Damit der Aderlass wirksam sei, sollten mindestens 200 g Blut abgelassen werden. Als Maximalmenge empfahl Galen 680 g.

Um die Venen zu öffnen, benutzte Galen ein Phlebotom, eine Art Lanzette. Er stellte auch ein komplexes System zur präzisen Indikation des Aderlasses auf. Die Menge des abzulassenden Blutes war demnach abhängig vom Alter des Patienten, seiner Konstitution, der Jahreszeit, des Wetters, des Orts und von anderen Parametern. Bei unterschiedlichen Krankheiten sollten jeweils bestimmte Venen geöffnet werden, zum Beispiel eine Vene der rechten Hand bei Leberleiden, eine an der linken Hand bei Milzproblemen und eine am rechten Ellenbogen, um Blutungen aus dem rechten Nasenloch zu stillen. Auch prophylaktisch konnten Patienten zur Ader gelassen werden, mitunter bis zur Bewusstlosigkeit.

Griechische Ärzte zog es nach Rom

Ab etwa 50 v. Chr. verlagerte sich der Schwerpunkt der antiken Medizin nach Rom. Die freien Ärzte, die in Rom wirkten, waren meistens Griechen. Vorher gab es in Rom hauptsächlich Heiler, die volksmedizinische Methoden einsetzten, aber so gut wie keine ausgebildeten Ärzte, wie sie die Griechen seit Jahrhunderten kannten. Die griechischen Ärzte, die nun in das neue Zentrum der Welt, eben nach Rom, kamen, brachten ihr Medizinverständnis mit. So ordnet man der antiken Medizin ab etwa der Zeitenwende bis zur Teilung des Römischen Reiches im Jahr 395 n. Chr. einen griechisch-römischen Mischcharakter zu.

Einer dieser griechischen Ärzte in Rom war der berühmteste Pharmakologe der Antike: Pedanius Dioskurides (lateinisch: Dioscorides), der im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte. Er stammte aus Kilikien in Kleinasien. Als Militärarzt unter den römischen Kaisern Claudius und Nero war er viel unterwegs. Das gab ihm die Gelegenheit, Pflanzen aus dem ganzen Reich zu untersuchen. In seinem fünfbändigen Werk “Materia Medica” beschrieb er mehr als 1.000 Arzneimittel, vor allem pflanzliche, aber auch tierische und mineralische, sowie 4.740 medizinische Anwendungen. Das Ganze war systematisch geordnet und gegliedert. Bis ins 16. Jahrhundert blieb dieses antike Buch das Hauptnachschlagewerk schlechthin.

Arzt von Kaiser Marc Aurel

Der berühmteste Arzt Roms und einer der größten Ärzte der Antike war natürlich Galen, ebenfalls ein Grieche. Galenos (lateinisch: Galenus) von Pergamon (um 130 bis um 200 n.Chr.) soll bereits mit 17 Jahren begonnen haben, am berühmten Asklepieion in seiner Heimatstadt Pergamon (heute Bergama in der Türkei) Medizin zu studieren. Er setzte sein Studium an anderen Orten fort, darunter Alexandria in Ägypten. Nach seiner Heimkehr arbeitete er in Pergamon als Gladiatorenarzt. Schnell hatte er einen ausgezeichneten Ruf. Denn unter seinem Vorgänger waren 60 Gladiatoren gestorben. Unter Galen starben jedoch nur fünf, viel mehr Gladiatoren überlebten ihre Verletzungen.

Als junger Arzt, in den 160er Jahren, zog er nach Rom und wurde rasch bekannt. Allerdings hatte Galen wegen seines offenbar schwierigen Charakters nicht viele Freunde. Er war streitsüchtig und legte sich mit anderen Ärzten an. Doch der Erfolg gab ihm recht, und wichtige Persönlichkeiten wollten nur von ihm behandelt werden. So avancierte er sogar zum Arzt des Kaisers Marc Aurel.

In seiner medizinischen Praxis setzte Galen vor allem auf den Aderlass als Therapie. Er forderte vor jeder Behandlung eine gründliche Diagnostik, dabei beurteilte er 27 Pulsqualitäten und untersuchte den Urin. Galen hielt viele öffentliche Vorträge. Er sezierte Tiere und experimentierte mit ihnen. Und er publizierte viel in seinem langen Leben. Ein gewaltiges Werk ist von ihm erhalten. Überliefert sind etwa 300 Schriften. Doch man kann davon ausgehen, dass er noch viel mehr geschrieben hat, denn viele seiner Schriften sind dem Großbrand von 191 zum Opfer gefallen. Zu den wichtigsten Werken gehörten zum Beispiel ein 15-bändiges anatomisches Werk, die “Ars Medica” (“Die ärztliche Kunst”), eine Lehre über Krisen und Fieber sowie ein Werk über die ärztliche Erfahrung und die Methode der Heilkunst.

Viersäfte-Theorie weiter entwickelt

Galens Lehre fußte auf der des Hippokrates, den er als größten Arzt aller Zeiten verehrte. Er behielt dessen Viersäfte-Theorie bei, doch er entwickelte Hippokrates‘ Konzept weiter. Auch manche physiologischen und anatomischen Irrtümer konnte er korrigieren. So war es Galen, der demonstrierte, dass nicht etwa das Herz die Muskeln bewegt, sondern dass Muskelbewegungen über die Nerven vom Gehirn kontrolliert werden. Auch, dass Urin nicht in der Blase, wie vorher vermutet, sondern in den Nieren produziert wird, konnte er zeigen.

Galens Lehren waren unumstößlich

Natürlich waren Galens Annahmen nicht immer korrekt, schließlich standen ihm nur die Methoden der Antike zur Verfügung. Er war zum Beispiel überzeugt, dass venöses Blut in der Leber produziert werde und arterielles im Herzen. Diese Auffassung blieb offizielle Lehrmeinung, bis der englische Physiologe William Harvey Anfang des 17. Jahrhunderts den Blutkreislauf beschrieb.

Etwa 1.500 Jahre lang galt Galens medizinische Lehre als sakrosankt. Seine Heilkunde wurde die Basis der europäischen, aber auch der arabischen und der byzantinischen Medizin. Seine Ansichten wurden sogar Teil der kirchlichen Dogmen. Studenten lernten seine Texte auswendig. Galens Lehren waren unumstößlich und durften nicht kritisiert werden. Generationen von Ärzten wurden so im “Galenismus” erzogen. Auch Harvey wurde verspottet, angefeindet und nicht ernst genommen, weil er sich Galens Theorie widersetzt hatte – und das war immerhin im 17. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung.

Quellen u.a.:

Eckart, Wolfgang: “Geschichte der Medizin”, Springer-Lehrbuch.

Fege, Jürgen: “Die Bedeutung der Medizin des Galenos von Pergamon.” Ärzteblatt Sachsen 5/2018

Paul, Gill: “Die Geschichte der Medizin in 50 Objekten”. Haupt Verlag, Bern, 2016.

 

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