Allergologen zum Trotz, ziert mein Büro seit 30 Jahren eine Birkenfeige. Zieren ist vielleicht nicht mehr die richtige Beschreibung. Denn da ich immer wieder Gießen und Düngen vergesse, ist das Bäumchen karg belaubt und sieht keinesfalls so aus, wie man Ficus benjamina aus Prospekten für „schöner Wohnen“ kennt. Im Interesse einer gepflegten Bürovegetation wäre es wohl am einfachsten, das kümmerliche Gewächs zu ersetzen. Aber irgendwie trenne ich mich von allem, was ich lange habe, nur schwer.
Vor ein paar Jahren – oder sind es schon Jahrzehnte? – als man uns Medizinjournalisten auf Presseterminen noch Geschenke machte, habe ich mal im Advent einen original erzgebirglerischen Christbaumschmuck made in China bekommen. Obwohl die hölzernen, bunt lackierten Miniaturfigürchen trotzdem ganz nett aussahen, war für den Familienchristbaum schon Besseres vorhanden. Des-halb verschönern sie um die Weihnachtszeit nur meinen Büroficus. Normalerweise hänge ich sie Ende November auf und Ende Januar wieder ab.
Mag sein, dass sich der Januartermin schon seit einigen Jahren leicht nach hinten verschoben hat. Bekanntlich vergeht mit dem Älterwerden die Zeit immer schneller und da kann man schon mal etwas in Verzug kommen. Aber 2016 war es dann doch extrem.
Während ich Ende Oktober am Schreibtisch mit einem Text über Borrelien befasst war, an die Buschheimat ihrer Vektoren dachte und dabei assoziativ in meinen Ficus starrte, erschrak ich! Nein, es krabbelten keine Zecken über das spärlich belaubte Geäst. Aber es hingen dort noch immer die im letzten November aufgehängten Weihnachtsfiguren.
Gute Vorsätze versus Gewöhnungseffekte
Jetzt muss ich sie auch nicht mehr abhängen, sondern kann sie gleich für dieses Jahr belassen, rationalisierte ich. Aber einer meiner aktuellen Silvestervorsätze war, künftig die Figuren wieder konsequent Ende Januar einzumotten. Und da ich schon bei den guten Vorsätzen bin, werde ich meinem Ficus für dieses Neue Jahr beste Pflege versprechen.
Wenn er die – also nicht nur die Vorsätze sondern die tatsächliche Umsetzung – nicht würdigt, fliegt er Anfang 2018 raus auf die kommunale Sammelstelle für ausrangierte Christbäume. Andererseits: Sollte sich eine fortgesetzt gute Pflege tatsächlich in einem dichten Laubwerk niederschlagen, würde man ja meine Adventsaccessoires kaum noch sehen. Dann werden halt die entsorgt. Ich habe sie lange genug gewürdigt.
Evidenzbasiert erscheint jedoch wahrscheinlicher, dass es ganz anders kommt. Nämlich dass alles weitgehend bleibt wie es ist oder eher schlimmer und der Weihnachtsschmuck zu einem akzeptierten Dauerzustand auf meinem kachektischen Bürogewächs wird.
Ich befände mich damit nicht mal in schlechter Gesellschaft. Der bayerische Kabarettist Günter Grünwald hat mal gesagt: Er hätte sich für einen ganzjährigen Christbaum bewusst in dem Moment entschieden, als er in seinem Treppenhaus beim Hochtragen der neuen Tanne sich selbst beim Hinunterbringen der alten in die Quere gekommen ist.