Der FallOtitis media acuta

Ohrenschmerzen kommen häufig zu zweit in die Hausarztpraxis: Ein schmerzgeplagtes Kind und ein besorgtes, nicht selten übernächtigtes Elternteil. Wie hilft man dem Kind am besten, und wie beruhigt man die Eltern? Wir fragten den Chefarzt einer HNO-Klinik und den Hausarzt einer Landarztpraxis zu ihren Ideen im Fall "K.".

Das sagt der Hausarzt

Hier liegt die klassische Konstellation einer Otitis media acuta vor, mit einem noch recht kurzen Verlauf. Ich gebe hier schmerzstillende Medikamente – Paracetamol oder Ibuprofen, auch als Saft oder Zäpfchen. Wobei ich eher zu Ibuprofen neige, weil ich das Gefühl habe, es ist noch einen Tick entzündungshemmender, aber das ist Geschmackssache.

Und dann werde ich den Vater beruhigen, dass meiner Erfahrung nach in ein bis zwei Tagen das Schlimmste vorbei sein wird. Nasenspray gebe ich häufig für ein bis zwei Tage dazu, selbst wenn kein starker Schnupfen besteht. Durch die abschwellende Wirkung hilft es vor allem in der Nacht, wenn die Beschwerden stärker oder stärker empfunden werden.

Der Klassiker der Eltern ist immer, ein Zwiebelsäckchen oder Zwiebelverband auf das Ohr zu legen. Aber ob das wirklich hilft, weiß ich nicht. Wenn es dem Jungen in ein, zwei Tagen nicht besser geht, möchte ich ihn wiedersehen.

Im Winter sehe ich normalerweise jede Woche solch ein Kind, nur in diesem Winter waren es deutlich weniger. Wenn die Kinder, wie sie es gerne tun, Freitagmorgen kommen und das Wochenende vor der Tür steht, gebe ich häufig ein Bedarfsrezept für ein Antibiotikum mit. Natürlich schätze ich ab, wie zuverlässig die Eltern sind, aber es klappt in der Regel sehr gut. Meiner Erfahrung nach wird das Rezept in 90 Prozent der Fälle nicht genutzt.

Ich glaube also nicht, dass ich damit einen Missbrauch von Antibiotika fördere. Den Cut mache ich allerdings bei zwei Jahren – wenn die Kinder jünger sind, gebe ich ein Antibiotikum. Und auch, wenn alles schon länger dauert, die Eltern vielleicht schon vor zwei Tagen beim Kinderarzt waren. Normalerweise nehme ich Amoxicillin. In den seltenen Fällen, in denen schon eine Allergie bekannt ist, Cefaclor.

Ich kann mich an keine Patienten aus den letzten Jahren erinnern, bei denen das Antibiotikum nicht gegriffen hätte, jedenfalls nicht bei Kindern. Bei Erwachsenen ist es ab und zu mal schwieriger. Kinder mit Paukenröhrchen schicke ich allerdings zum HNO-Arzt weiter. Ebenso Patienten mit laufendem Ohr, also mit geplatztem Trommelfell, da bin ich vorsichtig.

Dr. med. Matthias Oerding ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin, seine Praxis liegt in Geldern, Kreis Kleemve

Das sagt der Facharzt

Wichtig ist, dass Sie das Trommelfell sicher beurteilen. Steckt so viel Cerumen im Gehörgang, dass Sie nicht daran vorbei schauen und es nicht entfernen können, schicken Sie die Patienten lieber zum Spezialisten. Ansonsten kann man eine akute Otitis media zunächst mit schmerzlindernden und fiebersenkenden Medikamenten wie Paracetamol oder Ibuprofen behandeln.

Voraussetzung ist allerdings: Das Fieber liegt unter 39 Grad, es besteht keine retroaurikuläre Schwellung, keine Übelkeit mit Schwindel, und es kommen nicht noch komplizierende Faktoren wie ein Diabetes mellitus oder eine Immunsuppression hinzu. Auch ein Antibiotikum führt erst nach mehr als 48 Stunden zu einer Schmerzlinderung, man muss also überlappend Antiphlogistika geben.

Zwei Drittel der Otitiden verlaufen selbstlimitierend, egal, ob es sich um virale oder bakterielle Erreger handelt. Laut Studien müssten Sie etwa 4.000 Otitiden antibiotisch behandeln, um eine Mastoiditis zu verhindern. Deshalb ist es in Ordnung, den Krankheitsverlauf zunächst für 48 Stunden abzuwarten, auch ohne Labordiagnostik.

Liegt das Fieber über 39 Grad oder fällt eine retroaurikuläre Schwellung auf, fängt man sofort mit einem Antibiotikum an. Mittel der Wahl ist Amoxicillin, alternativ kommt Cefuroxim in Frage, bei Penicillinallergie Erythromycin. Komplikationen wie eine Mastoiditis sind selten.

In unserer mittelgroßen HNO-Klinik sehen wir ein bis zwei echte Mastoiditiden pro Jahr. Ein Verdacht kommt häufiger vor, weil bei einer Otitis auch mal die retroaurikulären Lymphknoten anschwellen und das Ohr dann absteht. Den Unterschied finden wir mit dem Ultraschallgerät schnell heraus.

Ein Warnsignal sollte bei einer akuten Otitis media das Auftreten von Schwindel sein, als Zeichen für eine Labyrintitis. Eine Mittelohrschwerhörigkeit ist bei der akuten Otitis media wegen der Flüssigkeitsansammlung normal. Durch die Diffusion von Bakterientoxinen kann auch eine Innenohrschwerhörigkeit auftreten – wenn Sie einen Verdacht haben, überweisen Sie das Kind zum Messen der otoakustischen Emissionen zum HNO-Arzt.

Prof. Dr. med. Andreas Neumann ist Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und Chefarzt der HNO Klinik des Rheinlandklinikum Neuss Lukaskrankenhaus

Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Die aktuell gültige S2k-Leitlinie “Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen” der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde stellt fest: “Die Infektionen an Ohren, Nase und Hals führen in der täglichen Praxis häufig zum Einsatz von Antibiotika. Die Verordnung einer antibiotischen Therapie ist jedoch oftmals nicht erforderlich.”

In vielen Fällen diene eine Antibiotikaverordnung überwiegend der Beruhigung von Arzt und Patient. Untersuchungen zeigen, dass Ärzte 10-mal häufiger Antibiotika verordnen, wenn sie annehmen, dass Patienten dies erwarten. Allerdings überschätzen sie die Erwartung der Patienten erheblich.

Untersuchungen zeigen laut Leitlinie aber auch, dass die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung kaum mit der Antibiotikaverordnung zusammenläuft. Antibiotika werden außerdem bei Zeitnot häufiger verordnet. Bei einer Otitis media acuta empfehlen die Experten primär eine Therapie mit Analgetika/Antiphlogistika.

Bei immunkompetenten Patienten seien die meisten Fälle selbstlimitierend und bedürften keiner Antibiotikatherapie. Eine Indikation für die Therapie mit Amoxicillin bestehe bei “schwerer Otitis media, in den ersten sechs Lebensmonaten und in den ersten zwei Lebensjahren, bei beiderseitiger akuter Otitis media, bei Otorrhoe mit persistierenden Beschwerden (Schmerzen und/oder Fieber) und bei Patienten mit Risikofaktoren, wie etwa einer Immundefizienz, schweren Grundkrankheiten, Influenza, Paukenröhrchen oder kranialen Fehlbildungen.

Zum Thema “Ohrenschmerzen” hat die DEGAM 2014 eine S2k-Leitlinie veröffentlicht, deren Gültigkeit allerdings im Januar 2021 abgelaufen ist.

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