Aus Wissenschaft und ForschungHA 09/23: Die DEGAM informiert

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) stellt die neuesten medizinischen Erkenntnisse vor, die für den Praxisalltag von Hausärztinnen und Hausärzte relevant sind.

Was tut sich in Wissenschaft und Forschung?

Wenig Evidenz zu Migräne-Vorboten

Migräne ist mehr als Kopfschmerz. Neben Begleitsymptomen wie Erbrechen und Übelkeit berichten viele Betroffene auch über Symptome, die in den Tagen vor und nach den Kopfschmerzattacken auftreten. Auch die offizielle Definition der International Headache Society beschreibt Prodrome und Post-Migräne-Symptome.

Studien, die diese Symptome erfasst haben, sind heterogen und zeigen widersprüchliche Ergebnisse, weswegen sie nun in einem systematischen Review mit Metaanalyse näher untersucht wurden. Für den Review identifizierten die Wissenschaftler 29 Studien. 23 wurden in spezialisierten Kopfschmerzambulanzen durchgeführt, sechs befragten Migräne-Betroffene in der allgemeinen Bevölkerung.

Die Studien gingen methodisch unterschiedlich vor: Sie erfassten Symptome über Fragebögen, Interviews oder Tagebücher (überwiegend anhand von vordefinierten Listen) und wurden retrospektiv oder prospektiv durchgeführt. 20 Studien hatten ein hohes Verzerrungspotenzial, nur zwei Studien wurden als methodisch hochwertig beurteilt.

In den Studien, die Menschen mit Migräne in der Bevölkerung untersuchten, gaben 29 Prozent Prodrome an, im spezialisierten Setting waren es 66 Prozent. Insgesamt wurden 96 verschiedene Symptome erfasst; am häufigsten nannten die Betroffenen Fatigue (49 Prozent), Nackensteifigkeit (46 Prozent), Stimmungsveränderungen (37 Prozent), Konzentrationsstörungen (30 Prozent), Gähnen (22 Prozent) und Heißhungerattacken (11 Prozent).

Da diese Symptome auch in der Bevölkerung häufig sind, sind diese Ergebnisse wenig hilfreich. Die Autoren stellen die Existenz von Migräneprodromen nicht in Frage: Sie sprechen von einer „absence of evidence“ und nicht von einer „evidence of absence“.

Es ist erstaunlich, dass für eine so häufige Erkrankung so wenige Daten vorliegen, die die Beeinträchtigung der Betroffenen abschätzen lässt. Wie so oft fehlen vor allem Daten, die für das hausärztliche Setting hilfreich sind.

Fazit: Die Evidenzlage zu Symptomen, die der Migräneattacke vorausgehen, ist dünn – vor allem fehlen verlässliche Erhebungen außerhalb spezialisierter Kopfschmerzambulanzen. Die Beeinträchtigung durch Prodrome von Migräneattacken kann in der Praxis individuell erfragt werden.

Eigenbrodt AK, Christensen RH, Ashina H, Iljazi A, Christensen CE, Steiner TJ, Lipton RB, Ashina M. Premonitory symptoms in migraine: a systematic review and meta-analysis of observational studies reporting prevalence or relative frequency. J Headache Pain. 2022; 23(1):140. DOI: 10.1186/s10194-022-01510-z; PMID: 36371152; PMCID: PMC9655795.

Forschung in der Praxis: Wie klappt das?

Die Praxis von Dr. Thomas Mainka in Wiesbaden ist seit vielen Jahren Lehr- und Forschungspraxis des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Martina Gläser, Medizinische Fachangestellte der Praxis, und Dr. Mainka berichten über ihre Erfahrungen mit der Durchführung von Studien im Forschungspraxennetz SaxoForN (www.saxoforn.net).

Aktuell beteiligt sich die Praxis an der HYPERIONTransCare-Studie (Heading to ContinuitY of Prescribing in EldeRly with MultImOrbidity iN Transitional Care), die den Informationsaustausch bezüglich der Medikation an der Schnittstelle zwischen hausärztlicher Versorgung und Krankenhausversorgung verbessern möchte.

Wie kam es dazu, dass Sie als Forschungspraxis in Ihrer Praxis Studien durchführen?

Mainka: Ich habe mich schon zu Studienzeiten auch für Forschung interessiert. Zwei meiner Kommilitonen sind später in die Kardiologie und Orthopädie an die Uniklinik gegangen und haben eine akademische Karriere gemacht.

Und ich dachte mir immer, dass ich auch in der Allgemeinmedizin akademisch arbeiten kann. Als Herr Prof. Gerlach dann damals für das Institut für Allgemeinmedizin in Frankfurt Praxen für ein Forschungspraxennetz gesucht hat, habe ich mitgemacht, weil ich die Chance gesehen habe, damit auch das Fach Allgemeinmedizin voranzubringen.

Welchen Nutzen sehen Sie denn für Praxen, sich an Studien zu beteiligen?

Mainka: Wir haben vor vielen Jahren an einer Studie zum Darmkrebs-Screening teilgenommen. Das war sehr viel Aufwand: Wir haben alle männlichen Patienten unserer Praxen zwischen 35 und 55 Jahren angeschrieben – über 700. Das Ergebnis hat dann mit dazu beigetragen, dass der Beginn der Darmkrebsvorsorge auf 50 Jahre bei Männern heruntergesetzt wurde.

Das heißt, wir haben dazu beigetragen, dass die Prävention besser wird. Das finde ich sehr inspirierend. Wir bieten das Screening auch jetzt konsequent an und hatten in den letzten Jahren zum Glück keine einzige Neudiagnose eines Kolonkarzinoms außerhalb des Screenings.

Frau Gläser, wie groß ist denn der Aufwand für die Medizinischen Fachangestellten?

Gläser: Das kommt auf die Studie an. Zuletzt haben wir an der HYPERION-Studie teilgenommen, da war der Aufwand überschaubar. Das meiste wurde vom Institut in Frankfurt aus organisiert. In dieser Studie kamen wir vor allem administrativ zum Einsatz.

Patienten mussten nach bestimmten Kriterien herausgesucht, angesprochen und aufgeklärt werden. Danach wurden lediglich Angaben für die Studie benötigt, die aus der allgemeinen Dokumentation hervorgingen. Sollten für eine Studie Untersuchungen notwendig sein, ist ein höherer Zeitaufwand sicherlich zu beachten.

Mainka: Unsere Patienten nehmen ganz überwiegend gerne an den Studien teil. Das hatten wir anfangs gar nicht so erwartet. Sie halten es für sinnvoll, dass auch in Praxen geforscht wird, und möchten auch dazu beitragen, dass mehr Wissen generiert und die Versorgung verbessert wird.

Gläser: Das stimmt, die meisten machen mit, sicher 90 Prozent derer, die wir ansprechen. Und wenn nicht, dann oft wegen aktuellen persönlichen Belastungen oder aus Zeitgründen.

Würden Sie anderen Praxen weiterempfehlen, sich als Forschungspraxis an Studien zu beteiligen?

Mainka: Wenn man den Beruf nur macht, um Geld zu verdienen, ist es sicher eher nicht lohnend – von den Aufwandsentschädigungen im Rahmen der Studien wird man nicht reich. Aber wenn man das Fach und die Medizin voranbringen will und dazu beitragen möchte, die Versorgung besser zu machen, macht es Spaß!

Gläser: Absolut. Je mehr mit ins Boot kommen, desto mehr können wir bewirken.

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