Bei vielen Migräne-Patienten stößt die Pharmakotherapie an ihre Grenzen: So brechen beispielsweise über ein Drittel (39,6 Prozent) der Patienten die prophylaktische Therapie mit Topiramat aufgrund unzureichender Verträglichkeit ab und rund 13 Prozent sprechen auf zwei unterschiedliche Triptane nicht an [1,2]. Zusätzlich bestehen zahlreiche Kontraindikationen gegen die herkömmlichen Therapeutika.
Die Patienten selbst präferieren häufig nicht-pharmakologische Verfahren. Folglich besteht ein hoher Bedarf an alternativen Therapieverfahren. “REN (Remote Electrical Neuromodulation) ist eine vielversprechende Behandlungsoption als Ergänzung oder Alternative zur Standardtherapie”, erklärte Priv.-Doz. Dr. Charly Gaul, Frankfurt.
Ab einem Alter von 12 Jahren können die Betroffenen REN anwenden und sowohl die Schmerzen einer akuten Migräneattacke reduzieren als auch präventiv die Anzahl der Migränetage bei episodischer und chronischer Migräne verringern. “Wir sind froh, unseren Patienten diese zusätzliche Option mit anderem Wirkmechanismus anbieten zu können”, sagte Gaul.
Worauf beruht REN?
REN bewirkt eine absteigende Schmerzinhibition, indem es den physiologischen Mechanismus der konditionierten Schmerzmodulation (Conditioned Pain Modulation, CPM) nutzt. Durch einen Stimulus, der unterhalb der Schmerzgrenze liegt, werden nozizeptive Nervenfasern (C- und Aδ-Fasern) aktiviert, die ohne Umschaltung im Rückenmark in das Gehirn geleitet werden.
Dort aktivieren sie Zentren, die anti-nozizeptiv, also schmerzhemmend, wirken (z.B. das periaquäduktale Grau). “Dadurch werden nicht nur die Nervenbahnen gehemmt, die zum Körper führen, sondern auch solche, die zum trigeminozervikalen Komplex führen”, erläuterte Prof. Stefan Evers, Coppenbrügge.
Die zusätzliche Ausschüttung von Serotonin und Noradrenalin hemmt zudem ankommende Schmerzsignale der Migräne im trigeminozervikalen Komplex [3]. Somit verfügt REN über ein neues Wirkprinzip, das sich deutlich von dem der Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation (TENS) unterscheidet.
Denn bei TENS werden Aδ-Fasern stimuliert, die bei Berührungen reagieren. Die Schmerzbeeinflussung findet im Hinterhorn auf Höhe des jeweiligen Segments statt. “Durch die Aktivierung der Berührungsfasern wird die Übertragung der nozizeptiven Signale im Rückenmark gebremst”, erklärte Evers.
Das funktioniert am besten, wenn man die Elektroden dort anbringt, wo der Schmerz sitzt – im Falle von Migräne also an der Stirn. Die Wirksamkeit der Nervus-supraorbitalis-Stimulation bei Migräne-Patienten konnte in Studien belegt werden [4].
Unauffällige Anwendung
Das neue, verschreibungspflichtige Migräne-Neuromodulations-Gerät wird mit einem Armband am Oberarm befestigt und ist von den Betroffenen über eine Smartphone-App steuerbar. Die unauffällige Lokalisation am Oberarm hat den Vorteil, dass die Anwendung kaum zu erkennen ist – so lässt sich die Behandlung während der Arbeit oder in der Schule durchführen, ohne Aufsehen zu erregen.
Die Selbstbehandlung dauert 45 Minuten und kann bei einer beginnenden Migräneattacke zur Akutbehandlung oder präventiv jeden zweiten Tag erfolgen.
Akutanwendung überzeugt in Studien
REN wurde anhand eines umfangreichen Studienprogramms hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Verträglichkeit evaluiert. Dabei stellte sich heraus, dass sowohl Patienten mit episodischer als auch mit chronischer Migräne mit und ohne Aura von der nicht-invasiven Neuromodulation profitieren können.
In der doppelblind, randomisierten, placebokontrollierten Zulassungsstudie, welche die Akutanwendung bei erwachsenen Patienten mit episodischer Migräne untersuchte, erreichten in der REN-Gruppe 66,7 Prozent der Teilnehmenden eine Schmerzlinderung innerhalb von zwei Stunden gegenüber 38,8 Prozent unter Scheintherapie [3].
Dies entspricht einem therapeutischen Gewinn von 27,9 Prozent (p<0,0001). Zudem wurden mit REN 37,4 Prozent schmerzfrei gegenüber 18,4 Prozent unter Scheintherapie (therapeutischer Gewinn: 19,0 Prozent). Die Nebenwirkungsrate war gering und in beiden Gruppen vergleichbar. Bei Patienten mit chronischer Migräne erwies sich die akute Behandlung mit REN ebenfalls als wirkungsvoll.
Wie die offene, einarmige Zulassungsstudie belegte, erlangten 59,3 Prozent bzw. 20,9 Prozent der Teilnehmenden nach zwei Stunden eine Schmerzlinderung bzw. Schmerzfreiheit [5]. Darüber hinaus wirkte REN bei einigen Patienten lindernd auf belastende Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Photophobie und Phonophobie. Über alle Studien hinweg zeigte sich eine gute Verträglichkeit.
Dass sich mit REN auch bei jugendlichen Migränepatienten im Alter von 12 bis 17 Jahren Verbesserungen erzielen lassen, zeigte eine prospektive, offene, multizentrische Studie [6].
Zwei Stunden nach der Anwendung erreichten 71,8 Prozent der Jugendlichen eine Schmerzlinderung ihrer akuten Migräneattacke und 35,9 Prozent waren schmerzfrei – bei ebenfalls sehr guter Verträglichkeit. Zusätzlich berichteten 69,7 Prozent der Teilnehmenden von verbesserten funktionellen Fähigkeiten.
Migräneprophylaxe: Signifikant weniger Kopfschmerztage
Eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie untersuchte die prophylaktische Wirksamkeit von REN bei Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne [7]. Unter REN verringerte sich die durchschnittliche Zahl der monatlichen Migränetage um 4,0 Tage (± 4,0) gegenüber 1,3 Tagen (± 4,0) in der Kontrollgruppe.
Der signifikante Unterschied war in beiden Subgruppen stabil (episodische Migräne: −3,2 ± 3,4 vs. −1,0 ± 3,6; chronische Migräne: −4,7 ± 4,4 vs. −1,6 ± 4,4). Darüber hinaus benötigten Patienten mit REN an weniger Tagen eine Akut-Medikation. Es traten keine schweren behandlungsbedingten Nebenwirkungen auf.
Literatur:
- Ruscheweyh R et al. J Headache Pain 2023; 24(1):135
- Reuter U et al. Cephalalgia 2022;(2): 108-118
- Yarnitsky D et al. Headache 2019;59: 1240-1252
- Gaul C. DNP – Die Neurologie & Psychiatrie 2022;5:27-28
- Grosberg B et al. Pain Rep 2021;6(4):e966
- Hershey AD et al. Headache 2021;61(2):310-317
- Tepper SJ et al. Headache 2023;63(3):377-389
Quelle: Online-Konferenz: “REN – die neue medikamentenfreie Therapieoption für Menschen mit Migräne”.