Die rasante Entwicklung von Biologika und Biosimilars hat die therapeutischen Möglichkeiten in vielen medizinischen Fachgebieten revolutioniert. Die komplexen Moleküle bieten gezielte Behandlungsmöglichkeiten für eine Vielzahl von Erkrankungen. Gleichzeitig eröffnen Biosimilars als biologisch ähnliche Nachfolgepräparate neue Perspektiven für eine kosteneffizientere Versorgung ohne Abstriche bei Wirksamkeit und Sicherheit.
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AUTOREN:
Dr. Reinhard Merz (Interessenkonflikte: keine)
Dr. Ulrich Scharmer (Interessenkonflikte: keine)
Gültig bis 4. September 2025
VNR: 2760909013819450018
Die Bayerische Landesärztekammer hat diesen Beitrag in der Kategorie I zur zertifizierten Fortbildung freigegeben.
Nach der Lektüre dieser CME-Fortbildung sollten Sie …
die Grundlagen von Biologika und ihre Einsatzgebiete kennen
die regulatorischen Hintergründe für den Einsatz von Biosimilars kennen
den Beschluss des G-BA über die Möglichkeiten zum Austausch von verordneten Biologika kennen
die immunmodulatorisch wirksamen Biologika und ihre Anwendung bei Psoriasis kennen
die immunmodulatorisch wirksamen Biologika und ihre Anwendung bei rheumatoider Arthritis kennen
Patienten zur Medikamentensicherheit bei der Verwendung von Biologika und Biosimilars beraten können
Zusammenfassung
Die Arzneimittel-Richtlinie des G-BA enthält seit November 2020 Hinweise für eine wirtschaftliche Verordnung von biotechnologisch hergestellten biologischen Arzneimitteln. Seit März 2024 müssen Apotheken jetzt bei biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln wirkstoffbezogen ein preisgünstiges Produkt auswählen, wenn es sich um eine parenterale Zubereitung aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patientinnen und Patienten handelt.
Steht ein Arzneimittel mit Rabattvertrag der Krankenkasse der oder des Versicherten zur Verfügung, ist damit die Wirtschaftlichkeit sichergestellt und ein weiterer Kostenvergleich ist dann nicht notwendig. Dass Hausärztinnen und -ärzte gut über Biologika und Biosimilars informiert sind, ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig. Im Fokus dieser Fortbildung stehen die immunmodulatorisch wirksamen Biologika und ihre Anwendung bei den Indikationen Psoriasis und rheumatoide Arthritis.
Biologika und Biosimilars
Biologika sind definiert als hochmolekulare Wirkstoffe, die in einem biologischen Organismus mit gentechnologischen Methoden hergestellt wurden. Sie unterscheiden sich in vielen Punkten von den chemisch synthetisierten „small molecules“ (niedermolekulare Wirkstoffe). Chemische Arzneimittel bestehen aus rund zwei Dutzend bis wenigen Hundert Atomen (ASS = 21 Atome, Ramipril = 62 Atome), haben eine relativ einfache Molekülstruktur und können oft oral angewendet werden. Biologika bestehen aus mehreren Hundert bis Tausenden Atomen (Insulin = circa 790 Atome, monoklonale Antikörper circa 25.000 Atome), sind hochkomplex aufgebaute Proteine, strukturell heterogen (Mischung nahe verwandter Moleküle) und werden üblicherweise parenteral (als Injektion oder Infusion) verabreicht.
Für die Wirkung von Biologika ist eine korrekte dreidimensionale Tertiärstruktur entscheidend. Diese wird bereits durch geringe Energieeinträge (Erwärmung, Schütteln) gestört, die aktive („native“) Struktur geht in eine inaktive („denaturierte“) Struktur über.
Die strukturelle Übereinstimmung mit dem molekularen Vorbild ist vielfach von untergeordneter Bedeutung, mehr als die Hälfte aller derzeit zugelassenen rekombinanten Wirkstoffe kann man als „nicht naturidentisch“ einstufen. So besteht Etanercept aus Teilen des humanen TNF-Rezeptors und Teilen eines humanen Antikörpermoleküls.
Therapeutisch wirksame Antikörper haben eine besonders hohe molekulare Komplexität mit multiplen Funktionszentren. Sie binden mit ihren variablen Regionen an spezifische molekulare Oberflächen, was zur funktionellen Aktivierung der konstanten Region der schweren Ketten führt, die daraufhin mit Makrophagen oder natürlichen Killerzellen interagieren. Zudem sind Antikörper komplex glykosyliert, was die biologische Halbwertszeit und die Interaktion mit anderen Komponenten des Immunsystems beeinflusst.
Biologika sind mittlerweile von hoher therapeutischer und wirtschaftlicher Relevanz. Der Umsatz mit Biopharmazeutika erhöhte sich in 2022 gegenüber 2021 um 10,5 Prozent auf 17,8 Milliarden Euro. Der Umsatzanteil am gesamten Pharmamarkt ist dadurch von 31,4 Prozent auf 32,9 Prozent im Jahr 2022 angestiegen [1]. Biologika gehören fast ausnahmslos zu den sehr hochpreisigen Arzneimitteln mit hohen finanziellen Belastungen für das Gesundheitssystem.
Änderungen der Herstellungsprozesse nach der Marktzulassung können biochemische Eigenschaften der Proteine beeinflussen, wie Tertiärstruktur, Isoformen oder Glykosylierung. Diese Variationen werden als Mikroheterogenität bezeichnet und können Auswirkungen auf die Sicherheit und Wirksamkeit der Biologika haben. Mikroheterogenität ist ein inhärentes Kennzeichen aller Biologika und nur innerhalb eines definierten Bereichs erlaubt. Bei Änderungen des Herstellungsprozesses muss daher gewährleistet werden, dass der bei der Zulassung definierte Korridor für die Mikroheterogenität eingehalten wird [2].
Biosimilars
Nachahmerprodukte, sogenannte Biosimilars, können zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen. Die EMA definiert Biosimilars als „… biologisches Arzneimittel, das derart entwickelt wurde, dass es einem bereits existierenden Arzneimittel (dem Referenzarzneimittel) ähnelt.“ Es muss dennoch genauso wirksam und sicher wie das Referenzarzneimittel sein und wird in derselben Dosis zur Behandlung derselben Krankheiten verwendet.
Während der Wirkstoff eines Generikums identisch mit dem des Originalpräparats ist, ist ein Biosimilar nur ähnlich zum Original. Das liegt an der unvermeidlichen Mikroheterogenität dieser komplexen Wirkstoffe. Die zusätzlichen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit machen die Entwicklung eines Biosimilars deutlich aufwendiger [3] (Abb. 1, 2).