NadelstichverletzungenVertrauen als Sicherheitsrisiko

Zwar gibt es eine positive Entwicklung im Umgang mit scharfen Instrumenten, Stiche und Schnitte zählen aber immer noch zu den häufigsten Verletzungen in der Praxis. Gerade in Hausarztpraxen stellt sich durch die große Vertrautheit mit den Patienten leicht Unvorsichtigkeit ein.

Das Team der Hausarztpraxis kennt seine Patienten oft seit Jahren. Man weiß neben Diagnosen und Befunden um die familiäre Situation, soziales Umfeld, die Lebensgeschichte. Das schafft Verbundenheit, Vertrauen und macht auch für Medizinische Fachangestellte (MFA) den Reiz der Arbeit in einer Hausarztpraxis aus. Vielen ist aber nicht klar, dass diese Vertrautheit auch ein Sicherheitsrisiko beinhalten kann: Handschuhe werden bei der Blutabnahme weggelassen – schließlich kennt man sich und die Patientin kommt nur wegen der routinemäßigen HbA 1c-Kontrolle. Beim Hausbesuch werden beim Blutzuckermessen nicht die sicheren Lanzetten benutzt – denn die Kasse zahlt sie nicht. Was soll schon passieren? Der Patient hat ja nichts Ansteckendes und eine kleine Menge Blut ist auch nicht gefährlich, wenn ich mich steche…

Das Sicherheitsbewusstsein und der Umgang mit sicheren Instrumenten hat sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Der Umgang und die Benutzung sicherer Instrumente, etwa bei der Blutabnahme, ist in vielen Hausarztpraxen Routine geworden. Aber das ist kein Grund, nachlässig zu werden.

Stiche oder Schnitte an spitzen oder scharfen medizinischen Instrumenten zählen immer noch zu den häufigsten Arbeitsunfällen im Gesundheitswesen. Die Biostoffverordnung (BioStoffV) schreibt daher den Einsatz der Sicherheits -produkte rechtskräftig vor (Paragraf 9 Abs. 3 Nr. 1, Paragraf 11 Abs. 2) und verbietet das Zurückstecken gebrauchter Kanülen in ihre Schutzkappe (Recapping, Paragraf 11 Abs. 3). Auch die korrekte Entsorgung in klar gekennzeichneten, stich- und bruchfesten Abfallbehältnissen wird darin geregelt (Paragraf 11 Abs. 4). Diese Behältnisse müssen den Abfall sicher umschließen und haben vor Aufnahme der Tätigkeit bereitzustehen.

Von diesen Regelungen sind Kliniken, Arztpraxen, Pflegeheime und mobile Dienste gleichermaßen betroffen. MFA müssen sichere Instrumente und entsprechende Abfallbehälter somit auch bei Hausbesuchen stets mitführen. Viele empfinden die Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz als unnütze Überreglementierung. Warum?

Nicht Vertrauen, sondern eine Sicherheitskultur schützt Mitarbeiter und Patienten. Keiner steigt in ein Flugzeug, bei dem die technische Überprüfung entfällt, weil der Kapitän den verantwortlichen Techniker des Bodenpersonals seit Jahren kennt.

Dazu gehört auch die Beurteilung von Gefährdungen, die im Umgang mit Biostoffen entstehen. Diese müssen spätestens alle zwei Jahre erfolgen (Paragraf 4 Abs. 2 BioStoffV). Die BioStoffV schreibt vor, alle betrieblichen Tätigkeiten mit Biostoffen fachkundig auf ihr Gefahrenpotenzial hin zu beurteilen und die Ergebnisse zu dokumentieren. Dies gilt auch, wenn sich die Arbeitsbedingungen maßgeblich ändern, neue Nadelstichverletzungen gemeldet wurden oder bisherige Schutzmaßnahmen durch bessere ersetzt werden können.

Wird das Prüfintervall nicht beachtet, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, die in der Regel Sanktionen mit sich bringt. Nun ist die Angst vor Sanktionen ein schlechter Arbeitsbegleiter. Es geht vielmehr darum, die medizinischen Tätigkeiten bewusst, systematisch und konzentriert auszuführen. Werden diese noch richtig dokumentiert, ist schon ein Teil der Anforderungen erfüllt. Für die Gefährdungsbeurteilung eignen sich Teambesprechungen mit allen Mitarbeitern.

Da Nadelstichverletzungen trotzdem nie sicher ausgeschlossen werden können, muss das Team vorab festlegen, wie im Falle einer Verletzung vorgegangen werden soll. Wichtig ist, bei einer möglichen HIV-Übertragung festzulegen, wo eine Postexpositionsprophylaxe (einschließlich kompetenter Beratung) innerhalb von maximal zwei Stunden sichergestellt werden kann.

Für Sicherheit engagiert

Das Online-Portal www.nadelstichverletzung.de der Initiative „SAFETY FIRST! Deutschland“ informiert Arbeitgeber/innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen eingehend über ihre Pflichten, die Gefahren von Nadelstichverletzungen und deren Präventionsmöglichkeiten. Für den Verband medizinischer Fachberufe e.V. arbeite ich dort aktiv mit.

Aktuell beschäftigen wir uns mit der Verordnungsfähigkeit sicherer Instrumente, speziell Stechhilfen für Diabetiker. Mehrfach haben wir dazu Politiker und Kostenträger angesprochen. Auch Akteure der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege haben dies eingefordert. Im Juni hat ein erster Runder Tisch von Kostenträgern, Politikern und Gesundheitsberufen getagt. Noch gibt es kein Ergebnis – das Thema bleibt aber auf der Agenda.

Es ist uns wichtig, die Praxisrelevanz von Verordnungen und Gesetzen zu unterstützen. Die Forderung nach dem Einsatz sicherer Instrumente allein hilft aber nicht weiter, wenn die Verordnungsfähigkeit nicht gegeben ist oder aus Budgetgründen nicht erfolgt. Gleichzeitig führen Maßnahmen nur zum Erfolg, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen: Hausärzte als Arbeitgeber müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, notwendige Instrumente, Desinfektionsmittel oder Arbeitsschutzmittel zur Verfügung stellen, Unterweisungen durchführen. Und Mitarbeiter müssen diese korrekt einsetzen und benutzen. Aber wie konsequent sind wir MFA damit im oft stressigen Alltag?

Man weiß genau, dass man gegen Vorschriften verstößt, tut es aber trotzdem. Immer nach dem Motto: „Es wird schon nichts passieren.“ Aber wir haben nicht nur eine Verantwortung für unsere Patienten und uns selbst, sondern auch für unsere Auszubildenden. Seit Jahren bin ich Prüfungsausschussmitglied für MFA. Was bei den Prüfungen im Umgang mit Desinfektionsmitteln gezeigt wird, ist oft fahrlässig. In der Regel kommt dann die Antwort: „Aber in unserer Praxis machen das alle so.“ Nach einer Tätigkeit das Hautdesinfektionsmittel auf die Hände sprühen – ganz nach dem Vorbild der anderen Mitarbeiter? Vor Beginn Handschuhe anziehen und das eine Paar bei allen Tätigkeiten tragen? Es geht nicht um Schuldzuweisung oder ein überkorrektes Arbeiten.

Arbeitsschutz und -sicherheit dürfen uns im Praxisalltag nicht behindern; sie müssen ein Teil davon sein. Standards, Betriebsanweisungen oder Checklisten sollen uns nicht beherrschen; vielmehr sollten sie für das Team wichtige und nötige Unterstützung sein. Das gilt auch für die neuen Regeln zum Impfstatus, die mit dem Präventionsgesetz in Kraft getreten sind. Auf der Website unseres Verbandes www.vmf-online.de und im internen Mitgliederbereich halten wir dazu Informationen bereit. Neu ist auch eine Seite speziell für VERAH® (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) und nicht-ärztliche Praxisassistentinnen (NäPA).

Bei Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz gilt das Gebot: Analysieren, was es für die Praxis bedeutet, warum Politik und Verordnungsgeber zu diesen Maßnahmen greifen und wie sie im Alltag umzusetzen sind. Denn Vertrauen ist gut, Sicherheit ist besser.

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