Stuttgart. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) sieht sich angesichts des steigenden Bedarfs an Hausärzten gezwungen, eigene Hausarztpraxen zu betreiben. 20 bis 30 solcher Praxen in Baden-Württemberg halte er für realistisch, sagte KV-Vize Johannes Fechner am Montag (12. März) in Stuttgart. Rund 500 Hausarztpraxen könnten in den nächsten fünf Jahren nicht nachbesetzt werden, davon geht die KV aus. Dies sei nicht nur ein Problem im ländlichen Raum, sondern auch in Städten und Ballungsgebieten, erläuterte KV-Chef Norbert Metke.
Der wachsende Bedarf an Ärzten und Pflegekräften sei “alarmierend”, so die KV. “Das ist eine Notfallmaßnahme für einen begrenzten Zeitraum”, sagte Metke. In Ostdeutschland gebe es das Modell schon seit Jahren, wobei in etlichen Fällen die von der KV angestellten Ärzte schließlich die Praxis übernähmen. Mit dieser Neuerung will die KV bereits 2018 beginnen – wo genau, gab sie nicht bekannt. Die betroffenen Kommunen wünschten das nicht, denn sie sähen darin einen Standortnachteil.
Darüber hinaus forderte die KV, dass bundesweit die Zahl der Medizinstudienplätze steigen müsse. Auch im eigenen Land sieht sie Nachholbedarf: So gebe es noch nicht an jeder Hochschule in Baden-Württemberg einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin.
Was bietet der Masterplan?
Die Maßnahmen der KV sind Teil eines millionenschweren Masterplans. So sollen Übernahmen und Neugründungen von Praxen sowie die Anstellung von Ärzten in schlecht versorgten Gebieten unterstützt werden. Außerdem würden man auf rund 800 Ärzte in Baden-Württemberg zugehen, die derzeit nicht als Ärzte tätig seien. Ein Hospitationsprogramm soll sie erneut fit für die ambulante Versorgung machen.
Daneben hofft die KV auf den Einsatz nicht-ärztlicher Praxisassistentinnen (NäPA), die die Ärzte entlasten sollen. Allein sie sollen mit 16 Millionen Euro gefördert werden. Speziell für die Bedürfnisse und Aufgaben in der Hausarztpraxis bildet der Deutsche Hausärzteverband Medizinische Fachangestellte zur VERAH aus (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis). Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 10.000 VERAH.
Zudem kann sich die KV vorstellen, die telemedizinische Betreuung auszuweiten, die ab April in Stuttgart und Tuttlingen erprobt wird.
Höhere Bagatellgrenzen bei Prüfanträgen gefordert
Die KV fordert zudem, dass der Arztberuf attraktiver werden müsse, indem der Gesetzgeber endlich die Bürokratie abbaue. Es gebe “Richtlinien für alles”. Daraus resultierten Tausende Prüfanträge der Krankenkassen, selbst zu Beträgen von wenigen Euro, die bei den Ärzten wie Kassen “enormen Aufwand” verursachten, kritisiert die KV. Es müsse “endlich höhere realitätsbezogene Bagatellgrenzen” geben.
Auch die Budgetierung für ambulante ärztliche Leistungen ist der KV ein Dorn im Auge. Politiker agierten immer noch vor dem Hintergrund der Kostenbegrenzung, obwohl sich die gefühlte Überversorgung vor 25 Jahren inzwischen zu einer Unterversorgung gewandelt habe.
SPD kritisiert Landesregierung
Rückenwind bekam die KV von Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Er forderte überdies von der neuen Bundesregierung eine bundeseinheitliche Lösung, um Klinik- und Praxisversorgung sowie Pflege und andere Gesundheitsdienstleister besser zu verzahnen.
Die SPD im Landtag nimmt vor allem die Landesregierung in die Pflicht. Sie negiere den Ärztemangel, weil sie nach wie vor behaupte, in allen Regionen Baden-Württembergs sei sowohl bei den Hausärzten als auch den Fachärzten eine ausreichende Versorgung gegeben, sagte Gesundheitsexperte Rainer Hinderer. Eine Sprecherin Luchas sagte, wenn das Land die Problematik negieren würde, würde es keine millionenschweren Förderprogramme auflegen.
Auf ihrer Website stellt die KV eine Übersicht ausgeschriebener Sitze zusammen. Der Hausärzteverband Baden-Württemberg bietet ebenso eine Praxis- und Stellenbörse, mit der man nicht nur nach Praxisnachfolgern, sondern auch nach Ärzten in Weiterbildung oder Anstellung suchen kann.
Quelle: dpa/lsw