© mauritius Das rekonstruierte Labor, in dem Best und Banting 1921 in Toronto arbeiteten.
Ernährung ist entscheidend
Auch die indischen Ärzte um 500/600 n. Chr. unterschieden zwei Formen der Krankheit: Ihnen war aufgefallen, dass eine Variante vor allem bei wohlhabenden und gut genährten Menschen auftrat, die andere dagegen bei mageren Patienten und in diesen Fällen auch rasch zum Tode führte. Therapeutisch wurde die erste Patientengruppe auf Diät gesetzt, den Patienten der zweiten Gruppe wurde dagegen eine “Reismast” verordnet.
Dass Ernährung entscheidend war, war also von Anfang an bekannt. Auch an anderen Heilversuchen gab es keinen Mangel. Ein Heilmittel aus dem 17. Jahrhundert zum Beispiel enthielt “Gelatine von Vipernfleisch, zerstoßene rote Koralle, süße Mandeln und frische Blüten von Taubnesseln”.
Mit der richtigen Ernährung wurde bis in unsere Zeit experimentiert. Der amerikanische Arzt Frederick Madison Allen (1879-1964) setzte auf die Reduzierung von Kalorien: Diabetiker sollten nur 450 Kalorien am Tag zu sich nehmen. Das verlängerte zwar ihr Leben, schwächte sie aber sehr.
Der erste Diabetologe der USA, Elliott P. Joslin (1869-1962), glaubte, dass Diabetiker keine Kohlenhydrate vertrugen. Seine Diätempfehlung: Zwei Prozent Kohlenhydrate, 20 Prozent Eiweiß und 70 Prozent Fett. Das Gegenteil wurde in den 1970er Jahren empfohlen: nicht mehr als 30 Prozent der Kalorien im Form von Fett. Das führte dazu, dass die Patienten immer dicker wurden.
Trotz aller diätetischen und anderen Therapieversuchen blieb die Prognose der Typ-1-Diabetiker Jahrtausende lang schlecht, meist führte die Krankheit zum Tode. Die ersten echten Fortschritte kamen im 19. Jahrhundert. 1889 wurde entdeckt, dass die Krankheit mit dem Pankreas zusammenhängt: Hunde, denen die Bauchspeicheldrüse entfernt wurde, bekamen die typischen diabetischen Symptome.
Schon 1869 hatte der deutsche Pathologe Paul Langerhans (1847-1888) inselartige Zellhaufen im Pankreas entdeckt, die 1893 zu seinen Ehren “Langerhanssche Inseln” genannt wurden. Ihre Funktion blieb allerdings zunächst unklar. Erst 1902 fanden Wissenschaftler heraus, dass in diesen Inseln eine Substanz produziert wurde, deren Mangel zu Diabetes-Symptomen führte. Das Insulin war entdeckt.
Der nächste große Durchbruch war Banting und Bests sensationeller Erfolg. Von nun an konnte Millionen von Diabetikern das Leben gerettet werden und es ging rasant weiter. Schon 1923 begann das US-Unternehmen Eli Lilly and Company, Insulin zu produzieren und es unter dem Namen “Iletin” zu vermarkten.
1935 war klar, dass es wirklich zwei Typen von Diabetes gibt. 1953 kamen Urinteststreifen auf den Markt. Seit 1969 gibt es in den Notfallzentren von Krankenhäusern Messgeräte für Blutglukose. Insulinpumpen kamen 1976 auf. Und 1978 wurde zum ersten Mal synthetisches Insulin hergestellt.
Weitere Pioniere
Außer dem kanadischen Team um Frederick Banting und Charles H. Best gab es einen weiteren Entdecker des Insulins: Der rumänische Physiologe Nicolae Paulescu (1869-1931) hatte sogar als erster einen Extrakt aus dem Pankreas von Rindern isoliert. Schon 1916 behandelte er erfolgreich diabetische Hunde mit dem “Pankrein”, wie er seinen Extrakt nannte. An Patienten testete er ihn allerdings nicht. 1921 publizierte Paulescu über seine Studien auf Französisch. 1922 ließ er das Herstellungsverfahren von Pankrein in Bukarest patentieren. Dennoch wurde der Rumäne 1923 bei der Vergabe des Nobelpreises nicht berücksichtigt.
Paulescu beschwerte sich beim Nobelpreiskomitee. Es stellt sich heraus, dass die kanadischen Forscher die Arbeit des Rumänen sogar gekannt, aber aus seiner Publikation falsch zitiert hatten. Banting entschuldigte sich persönlich und berief sich auf sein schlechtes Französisch.
Paulescu starb 1931 und geriet in Vergessenheit. Erst in den 60er Jahren wurden der Rumäne und seine Arbeit wiederentdeckt. Dieses Mal reagierte das Nobelpreiskomitee: Es sei korrekt, dass Paulescu als erster Entdecker des Insulins den Preis verdient hätte, doch der Preis könne nur an Wissenschaftler vergeben werden, die dafür nominiert waren. Auch die International Diabetes Federation (IDF) erkannte Paulescus Leistung nun an. Geplant war, etwa einen internationaler Preis nach ihm zu benennen.
2003 sollte in Paris, wo der Rumäne studiert hatte, ein Denkmal für Paulescu enthüllt werden. Doch nun schalteten sich mehrere jüdische Organisationen, darunter das Simon-Wiesenthal-Zentrum, ein und machten darauf aufmerksam, dass Paulescu ein glühender Antisemit gewesen war und in Schriften zur Ausrottung der Juden aufgerufen hatte. Die Zeremonie in Paris wurde abgesagt. Und 2005 beschloss die IDF, sich nicht mehr auf Paulescu zu berufen.
Übrigens hat auch ein deutscher Forscher sich 1923 beim Nobelpreiskomitee beschwert, dass sein Beitrag nicht gewürdigt worden sei: Der Berliner Internist Georg Ludwig Zülzer (1870-1949) war ein echter Diabetes-Pionier. Bereits 1906 und 1907 hatte er Diabetes-Patienten einen Extrakt aus Kälberpankreas gespritzt. Nach kurzzeitiger Besserung waren die Patienten allerdings gestorben. Weshalb, wurde nicht geklärt. Aus seinem “Zülzer-Extrakt” wurde später in veränderter Form ein wirksames Medikament für Diabetiker entwickelt.
Quellen u.a.: De Leiva, Alberto et al : “The discovery of insulin: Continued controversies after ninety years”. Endocrinología y Nutrición (English Edition). 2011.
Holler, Claus: “Geschichte der Ernährungstherapie des Diabetes mellitus”. Journal für Ernährungsmedizin (Ausgabe für Österreich). 2000.
Paul, Gill: “Die Geschichte der Medizin in 50 Objekten”. Haupt Verlag, Bern, 2016.
Das rekonstruierte Labor, in dem Best und Banting 1921 in Toronto arbeiteten.
Charles Herbert Best (1899-1978), links im Bild, und Frederick Grant Banting (1891-1941) 1960 in jenem Labor, wo sie 1921 das Insulin isolierten.