Veränderte Pharmakokinetik bei Älteren
Ältere Patienten, die zahlreiche Medikamente parallel einnehmen, leiden deutlich häufiger unter Nebenwirkungen als Jüngere. Vor jeder neuen Verordnung sollten daher die tatsächlich verwendeten Medikamente dahingehend überprüft werden, ob sich mögliche Wechselwirkungen ergeben könnten und ob sie überhaupt noch erforderlich sind.
Zu beachten ist zudem, dass Ältere eine veränderte Pharmakokinetik aufweisen. So werden lipophile Wirkstoffe z.B. Benzodiazepine langsamer ausgeschieden, bei hydrophilen Substanzen wie etwa Morphin kommt es zu höheren Plasmakonzentrationen aufgrund eines geringeren Körperwassers. Auch an Plasmaproteine gebundene Wirkstoffe – die häufig im ZNS angreifen – können in einer höheren freien Konzentration verfügbar sein.
Etwa die Hälfte aller Medikamente wird renal eliminiert – und das bei einer häufig altersbedingt eingeschränkten Nierenfunktion. Vorsicht ist daher z.B. geboten bei der Verordnung von Morphin, Codein oder NSAID. Geeigneter als Morphin und Codein (die akkumulieren) ist Hydromorphon, das bei Niereninsuffizienz nur wenig ansteigt und besser dialysierbar ist. Unter NSAID steigt das Risiko für eine gastrointestinale Blutung in Abhängigkeit vom Alter stark an. Eine Hilfestellung für die individuelle Dosierung bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bietet die Internetseite www.dosing.de.
Einige Medikamente gelten als potenziell ungeeignet für ältere Menschen. Dazu zählen in der Urologie angewandte Anticholinergika sowie trizyklische Antidepressiva, da sie die Kognition beeinträchtigen. Die Sturzgefahr erhöhen lang-wirksame Benzodiazepine oder schnell-wirksames Nifedipin. Obwohl eine Multimedikation möglichst zu vermeiden ist, sollte man keinesfalls auf die erforderlichen Analgetika verzichten.
(Prof. Petra A. Thürmann, Wuppertal)
Einnahmekalender zeigt Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch
Viele Patienten nehmen aus Angst vor drohenden Kopfschmerzen bereits ein Schmerzmedikament ein. Daraus kann – auf Basis einer episodischen Migräne oder eines Kopfschmerzes vom Spannungstyp – ein Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch (MOH) entstehen. Wie schnell ein MOA auftritt, ist von der Akutmedikation abhängig: Ein Übergebrauch von Triptanen führt nach durchschnittlich 1,7 Jahren zur MOA, Analgetika nach 4,8 Jahren. Da sich viele Patienten nicht bewusst sind, wie viel Analgetika sie einnehmen, sollte man einen Kopfschmerz- und Einnahmekalender führen lassen. Die Therapie beruht auf drei Säulen: der Patientenedukation, einer Medikamentenpause bzw. Reduktion sowie einer medikamentösen Prophylaxe. In der Praxis hat es sich bewährt, die Schmerzen in der ersten Woche der Medikamentenpause durch die begleitende Gabe eines Steroids (z.B. Prednison) abzumildern. Zur Prophylaxe stehen Topiramat, Botulinumtoxin und die CGRP-Antikörper Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab zur Verfügung. Mit der Medikation kann unmittelbar begonnen werden, auch wenn noch Medikamentenübergebrauch vorliegt.
(Prof. Dagny Holle-Lee, Essen)
Muskelaufbau als Sturzprophylaxe
Lässt bei älteren Menschen die Mobilität aufgrund von Krankheiten nach, hat dies zahlreiche Auswirkungen: Die geistige Verfassung leidet ebenso wie die körperliche Fitness, was im Falle eines Sturzes zu einer höheren Verletzungsgefahr führt. Ohne multimodale Frührehabilitation erlangen viele Patienten ihre Selbstständigkeit nach einem Sturz nicht wieder. Als wichtige Sturzprophylaxe gilt der Muskelaufbau ab dem 50. bis 60. Lebensjahr. Dafür sollte man den Patienten raten, frühzeitig an einem Bewegungsprogramm teilzunehmen. Nicht zuletzt hängt die Erholung nach einem Sturz auch vom vorherigen Leistungszustand ab.
(Prof. Sylvia Kotterba, Leer)
Individualisierung statt Standardisierung
Rund 3,4 Millionen Menschen leiden hierzulande an schweren chronischen Schmerzen. Dem stehen etwa 1.200 ambulant tätige Schmerzmediziner gegenüber – erforderlich wären mindestens 10.000 Schmerzexperten. Gerade ältere Patienten kommen daher häufig zu kurz und sind zudem in Studien und Leitlinien unterrepräsentiert. Insgesamt, so fordert die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS), sollte sich die Behandlung der Schmerzpatienten – allen voran der Älteren – am einzelnen Patienten ausrichten und nicht einer evidenzbasierten Konformität weichen. Eine gute Versorgung sei mehr, als das Abarbeiten von Leitlinien.
(Dr. Johannes Horlemann, Kevelaer)
Rationaler Umgang mit Cannabinoiden
Cannabinoide werden vor allem als Schmerztherapeutika eingesetzt, das geht aus einer Zwischenauswertung der vorgeschriebenen Begleiterhebung des BfArM hervor. Allerdings sind Cannabinoide nur als Zusatztherapie anzuwenden und nur, wenn alle Standardtherapien nicht erfolgreich waren. Die DGS empfiehlt die Verwendung von Cannabinoiden entsprechend der vorliegenden Evidenz. Eine konkrete Hilfestellung zum Einsatz von Cannabis bietet die DGS-PraxisLeitlinie “Cannabis in der Schmerztherapie”.
(Norbert Schürmann, Moers)
Morbus Fabry früh erkennen
Morbus Fabry ist eine seltene Erbkrankheit, die unter anderem starke, brennende Schmerzen in Händen und Füßen verursacht und im Verlauf zu einer progredienten Niereninsuffizienz, Myokardhypertrophie und Polyneuropathie führen kann. Es gibt zwar eine kausale Therapie, doch die Erkrankung wird oft erst 13 bis 18 Jahre nach dem Auftreten erster Symptome diagnostiziert. Das PraxisRegister Schmerz könnte zu einer früheren Diagnose beitragen. Anhand eines neuen Algorithmus wurden einige Verdachtsfälle identifiziert, die nun weiter untersucht werden.
(PD Dr. Michael A. Überall, Nürnberg)
Quelle: Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2020 fand vom 21. bis zum 25. Juli 2020