Zu Ihnen kommt Herr P., 63 Jahre alt, weil er in letzter Zeit “so furchtbar schlecht schläft”. Herr P. hatte vor zehn Jahren einen Herzinfarkt erlitten und einen aortokoronaren 3-fach Bypass erhalten. Luftnot oder weitere Beschwerden verneint er.
Ob er ein Druckgefühl auf der Brust verspüre, kann er allerdings nicht so genau sagen, “vielleicht manchmal, wenn es ganz schlimm ist”. Herr P. arbeitet im Vertrieb eines großen Logistik-Unternehmens und geht nächstes Jahr in Rente.
Der Blutdruck beträgt 140/80mmHg, Herzfrequenz 64/min, eine Herzinsuffizienz ist nicht bekannt. Am Ende des Gesprächs erwähnt er noch wie nebenbei, dass der Herzchirurg ihm damals gesagt hätte: “Jetzt haben Sie zehn Jahre Ruhe.” Diese Zeit wäre jetzt ja wohl um.
Medikation: ASS 100 mg 1 – 0 – 0, Metoprolol 50 mg 1 – 0 – 0, Atorvastatin 10 mg 0 – 0 – 1
Das sagt der Facharzt
Bei Herrn P. liegt in Form von Druckgefühl zumindest ein Anzeichen einer Progression der koronaren Herzkrankheit vor. Deshalb ist eine Abklärung der Beschwerdesymptomatik notwendig:
Es sollten ein 12-Kanal-EKG, Belastungs-EKG und ein Echokardiogramm durchgeführt werden. Damit lassen sich Informationen zur Anatomie des Herzens, zur Pumpfunktion, zu Rhythmusstörungen und zu Durchblutungsstörungen erhalten.
Das Belastungs-EKG erlaubt zudem Informationen zum Herzfrequenz- und Blutdruckverhalten unter Belastung.
Sollten im Belastungs-EKG auffällige Befunde im Bereich der ST-Strecke auftreten, ist eine weitergehende Ischämie-Diagnostik erforderlich, zum Beispiel mittels Stress-MRT, Stress-Echo-, oder Myokard-szintigramm.
Beim Nachweis einer Ischämie wäre dann eine erneute Herzkatheteruntersuchung notwendig, um die Anatomie der nativen Herzkranzgefäße und der Bypässe zu beurteilen.
Eine Abklärung ist in jedem Fall nötig, ein weiteres Zuwarten ohne Diagnostik nicht zu vertreten. Herr P. ist älter als 60 Jahre und auch Bypasse altern im Laufe von Jahren.
Früher haben wir bei solchen Patienten routinemäßig eine Koronarangiographie durchgeführt, das brauchen wir jetzt nicht mehr. Wenn die Diagnostik vorher in Ordnung ist, kann man den Patienten laufen lassen.
Für alle KHK-Patienten ist allerdings ganz wichtig: Sie sollten regelmäßig angebunden sein und kardiologisch betreut werden.
Zu uns kam ein Patient mit koronarer Herzkrankheit und durchgemachtem Vorderwandinfarkt, der seit sieben Jahren nicht mehr beim Kardiologen war, das geht natürlich nicht.
Es kommt darauf an, dass man die Patienten ordentlich aufklärt und ihnen die Gründe für ihre KHK erläutert – etwa Blutfette, Rauchen, hoher Blutdruck.
Wenn man ihnen dann erklärt, dass man die Engstellen reparieren kann und sie danach ein gutes Leben vor sich haben, wenn sie sich an ein paar Regeln halten, dann werden meiner Erfahrung nach 90 Prozent zufrieden sein.
Wenn sie gut geführt werden, fällt kaum jemand in ein “Loch”. Zunächst ist eine KHK ja keine psychische, sondern eine organische Erkrankung, bei der man oft klar sagen kann, wo die Ursachen liegen.
Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Joachim Trappe ist Internist und Kardiologe und Direktor der Kardiologie und Angiologie des Marienhospitals Herne – Ruhr-Universität Bochum.
Das sagt der Hausarzt
Wenn jemand mit KHK nach ACVB neue Beschwerden entwickelt, werde ich absolut hellhörig. Zunächst würde ich wissen wollen, ob der Patient seine Medikamente regelmäßig nimmt, und wann er zuletzt beim Kardiologen war.
Dann frage ich, ob sich in seinem Leben etwas geändert hat, wie es zum Beispiel seiner Familie geht. Ich werde ihn dezidiert danach fragen, in welchen Situationen die Beschwerden auftreten:
Wenn er einen Wäschekorb hochträgt? Wenn er den Rasen mäht, Fahrrad fährt? Wenn er abends vom Stammtisch kommt?
Ein Labor mache ich auf jeden Fall, mit großem Blutbild, Blutfette, Leber-werte, Niere – es sind jede Menge Werte, die eine Rolle spielen. Ich schreibe ein EKG und gebe auch einen Termin zur Langzeit-Blutdruck-Messung.
Und dann werde ich wahrscheinlich alle Kardiologen in der Nähe durchtelefonieren, um möglichst früh einen Termin zu bekommen. Der Kardiologe macht dann ein Echo, ein Stress-Echo und ein Belastungs-EKG.
Ich würde versuchen, den Patienten bei seiner Verantwortung zu packen, für seine Familie, seine Enkelkinder, damit er sich wirklich beim Kardiologen vorstellt.
Wenn beim eindringlichen Nachfragen doch noch Beschwerden herauskommen, die stärker auf eine kardiologische Symptomatik hinweisen, weise ich ihn notfalls auch in die nächste kardiologische Fachabteilung ein, damit nichts anbrennt.
Es ist häufig schwierig, bei unklaren kardiologischen Beschwerden zu sagen, woher sie kommen. Patienten, die nach einer ACVB-OP psychische Beschwerden entwickeln, sehe ich nicht selten.
Es ist ja auch eine große Operation, den Patienten wird das Herz stillgelegt, die Brust aufgerissen…manche von ihnen nehmen sich das im wahrsten Sinne des Wortes “zu Herzen” und entwickeln Schlafstörungen, Ängste oder Depressionen.
Ich habe das Gefühl, dass solche Probleme in der Kardiologie eher stiefmütterlich behandelt werden. Gerade betreue ich einen Patienten, der mich seit seinem Herzinfarkt zweimal die Woche anruft.
Eine Psychotherapie lehnt er ab, aber auf den Platz in einer Langzeittherapie müsste er sowieso über ein Jahr warten.
Peter Zimmermann ist Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin und führt eine diabetologische Schwerpunktpraxis in Sonsbeck bei Xanten.
Das sagt die Evidenzbasierte Medizin
Die Autoren der aktuellen Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) “Chronische KHK” empfehlen, psychische und soziale Informationen schon in der ersten Anamnese bei Verdacht auf eine KHK zu erheben.
So soll eine frühzeitige Fixierung auf somatische Ursachen vermieden werden. Weiter können laut Expertenkonsens “niedrige Sozialschicht, mangelnde soziale Unterstützung, Stress in Beruf und Familie, Depressivität, Angst, post-traumatische Belastungsstörung, Schizophrenie, bipolare Störung oder bestimmte Persönlichkeitsmuster, vor allem Feindseligkeit und das sogenannte “Typ-D-Muster” (chronisch negativer Affekt und soziale Hemmung) sowohl die Entwicklung als auch den Verlauf einer KHK negativ beeinflussen.
Die NVL listet deshalb ausführliche Screening-Fragen zum Erkennen dieser Faktoren auf.
In einer Metaanalyse zu Patienten mit KHK führten Psychotherapie und/oder Behandlung mit Psychopharmaka zu einer Verbesserung der Depressivität sowie zu einer moderaten Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse.
Allerdings hatten sie keinen signifikanten Einfluss auf die Gesamtmortalität. Entscheidet man sich zur Pharmakotherapie, sollten SSRI bevorzugt werden, auch wenn sie proarrhythmische Effekte durch QTc-Intervall-Verlängerungen haben können. Trizyklische Antidepressiva empfiehlt die NVL wegen ihrer kardialen Nebenwirkungen nicht.
Auch die DEGAM-Leitlinie “Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention” kann zur Entscheidungsfindung und zur Diskussion mit dem Patienten herangezogen werden.