Kürzlich ist die vierte Auflage der NVL Asthma erschienen, Sie waren als Vertreter der DEGAM an der Erstellung beteiligt. Sind Sie mit der Aktualisierung zufrieden?
Schneider: Eine Überarbeitung war nötig, weil es Änderungen bei der Medikation gab. Kritisch sehe ich, dass die Leitlinie so lang geworden ist. Wer soll die vielen Seiten lesen? Es bräuchte eine kürzere Fassung für den Anwender. Inhaltlich bin ich mit der Aktualisierung aber zufrieden.
Sie erwähnten Änderungen bei der Medikation. Die bedarfsorientierte Anwendung der Fixkombination aus einem ICS in niedriger Dosis und Formoterol in Stufe 1 und 2 entspricht einem Off-Label-Use. Wie kommt es, dass Sie die Empfehlung dennoch aussprechen?
Die Studien SYGMA I, SYGMA II und Novel START haben mit sehr großen Patientenzahlen gezeigt, dass die Asthmakontrolle steigt, wenn Patienten in Stufe 1 und 2 das Kombipräparat nehmen.
Wir sehen, dass Patienten mit mildem Asthma oft nur das Salbutamolspray anwenden – das aber deutlich mehr, als es eigentlich angezeigt ist. Wenn jemand mehr als zwei Hub Salbutamol pro Woche braucht, spricht man von teilkontrolliertem Asthma. Diese Patienten profitieren von dem Kombipräparat, weil sie mit dem LABA auch entzündungsdämpfendes Cortison inhalieren.
Zwar verdienen die genannten Studien auch Kritik – etwa wurden sie von AstraZeneca gesponsert, zudem war bei Novel START der Statistiker nicht verblindet. Aber wenn man alles auf den Prüfstein legt, kommt dennoch heraus, dass das Kombipräparat den Patienten eher hilft. Allerdings entspricht hier die Zulassung noch nicht der aktuellen Evidenz.
Daher kommt diese für Hausärzte wichtige Änderung im Stufenschema in der unmittelbaren Anwendung noch nicht voll zum Tragen.
Gibt es in der vierten Auflage weitere Änderungen, die für Hausärzte aus Ihrer Sicht zentral sind?
Eine weitere wichtige Neuerung betrifft die Verordnung von Inhalativa. Der Markt wird überschwemmt mit neuen Devices. Durch Änderungen der Rabattverträge kann es passieren, dass Patienten einen neuen Inhalator bekommen, obwohl das gar nicht intendiert ist und sie mit der vorherigen Technik gut zurechtgekommen sind.
Im Abschnitt 13.3 haben wir daher formuliert, dass Ärzte bei “Aut-idem” ein Kreuz setzen sollen, wenn sie nicht wünschen, dass ein Systemwechsel passiert.
Wir sehen die Gefahr, dass Krankenkassen Regressforderungen stellen. Aber trotzdem können wir nicht von der Evidenz abrücken. Für die Patienten – vor allem für ältere Leute – ist es wichtig, dass der Inhalator nicht ständig gewechselt wird.
Die NVL empfiehlt jetzt auch, vor Stufe 5 oder 6 und nach asthmabedingten Krankenhausaufenthalten die Indikation zu einer Rehabilitation zu prüfen. Was ist der Hintergrund?
In Stufe 5 und 6 kommt es zu einer erheblichen Intensivierung der Medikation. Bevor Patienten dauerhaft orales Kortison oder sehr teure Antikörpertherapien erhalten, sollte der Arzt zum Beispiel schauen, ob der Patient in der Lage ist, richtig zu inhalieren, ob er seine Symptome richtig einschätzt und ob sein Selbstmanagement gut ist.
Dabei sollen Ärzte keine formelle Prüfung starten, aber für sich selbst überlegen, ob es notwendig ist, nachzuschulen oder dem Patienten bei einem stationären Aufenthalt zu helfen, alles in den Griff zu bekommen.
Viele Patienten haben Probleme, die Inhalationssprays richtig anzuwenden. Haben Sie Tipps, wie Hausärzte hier vorgehen können?
Wenn die Patienten zu mir kommen – etwa zum Check fürs DMP – bitte ich sie immer, ihr Spray mitzubringen und lasse mir zeigen, wie sie inhalieren.
Manche Patienten machen es drei Monate lang richtig und dann plötzlich wieder verkehrt. Oder sie können es nach einem Device-Wechsel nicht mehr. Daher ist es wichtig, sich immer wieder abzusichern, dass der Patient genau richtig inhaliert.
Prof. Antonius Schneider, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Technische Universität München