Etwa 1,5 Prozent der Patienten kommen wegen Brustschmerzen in die Praxis. Eine Koronarangiografie ist jedoch nur dann empfehlenswert, wenn ein diagnostischer oder therapeutischer Nutzen zu erwarten ist. Das ist der Fall, wenn die Ursachen der Schmerzen auf nichtinvasive Weise nicht aufgeklärt werden können und wenn die Beschwerden mit Medikamenten nicht zufriedenstellend behandelt werden können.
Gemäß DEGAM ist eine perkutane Koronarintervention (PCI) in folgenden Fällen abzulehnen, weil hier kein Vorteil gegenüber medikamentöser Behandlung gezeigt werden konnte:
- Wenn nach vorhergegangener Revaskularisation keine Symptome vorliegen,
- wenn Beschwerden bei bestehender KHK medikamentös gut behandelbar sind.
Auf diese Weise soll die Überversorgung von Patienten mit stabiler KHK und bei asymptomatischen Patienten verhindert werden, denn in Deutschland werden sehr häufig Koronarangiografien durchgeführt: So wurden im Jahr 2015 911.841 Linksherzkatheter-Untersuchungen erbracht, 365.038 PCI durchgeführt und dabei 333.609 Stents eingesetzt. Unnötige Angiografien sind problematisch, weil sie die Strahlenbelastung erhöhen und mit einem Risiko für ein größeres kardiovaskuläres Ereignis (isolierte Kardioangiografie 1,4 Prozent, PCI 3,4 Prozent), für Todesfälle (1,2 Prozent, 2,8 Prozent) und weitere Komplikationen verbunden sind. Das gilt nicht nur für den niedergelassenen Bereich, sondern auch für stationär durchgeführte Herzkatheter-Untersuchungen, die den größten Anteil ausmachen.
Diagnose-Tool: Marburger Herz-Score
Nach der Nationalen Versorgungsleitlinie Chronische KHK (2016) wird empfohlen, bei Brustschmerzpatienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von <15 Prozent keine weitere Diagnostik durchzuführen, um eine stenosierende KHK zu diagnostizieren. Vielmehr sollten andere Ursachen für die Schmerzen erwogen werden. Die DEGAM empfiehlt daher, bei Patienten mit Brustschmerzen das Risiko für KHK einzuschätzen. Für den Allgemeinarzt ist dafür der Marburger Herz-Score entwickelt worden, für den fünf Fragen beantwortet werden müssen:
- Ist der Patient im höheren Alter (Männer ab 55, Frauen ab 65)?
- Hat der Patient die Vermutung, dass eine Herzkrankheit Ursache der Beschwerden ist?
- Hängen die Schmerzen von körperlicher Belastung ab?
- Ist bei dem Patienten schon eine vaskuläre Erkrankung (KHK, periphere AVK, Schlaganfall oder TIA) bekannt?
- Lassen sich die Schmerzen durch Palpation reproduzieren?
Der Score erhöht sich um einen Punkt mit jeder der Fragen 1-4, die mit Ja beantwortet werden und wenn die Frage 5 mit Nein beantwortet wird. Beträgt der Wert für den Marburger Herz-Score (MHS) ≤ 2, ist die Wahrscheinlichkeit gering (< 5 Prozent), dass die Schmerzen auf eine Koronare Herzerkrankung zurückgehen (MHS-Score 0-1: Sehr niedriges Risiko; MHS 2: niedriges Risiko; MHS 3: mittleres Risiko; MHS 4-5: Hohes Risiko). Der Score soll mit der klinischen Einschätzung kombiniert werden, ist das Risiko dann noch immer gering, dass die Schmerzen auf KHK zurückgehen, soll auf weitere Diagnostik verzichtet werden und die bestehende Therapie nicht verändert werden.
Quellen:
1. DEGAM-Leitlinie Nr. 21 “Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden” S2e-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 053-045
2. Deutscher Herzbericht 2016 der Deutschen Herzstiftung
3. Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Chronische KHK, 5. Auflage 2019