Berlin. Nach aktuellen Studien kommt es bei 15 bis 20 Prozent der mit SARS-CoV-2 Infizierten zu einem schweren Verlauf. Drei bis fünf Prozent müssen intensivmedizinisch betreut werden, bei einem Teil von diesen wird eine Beatmung notwendig.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) hat am 17. April auf einer Pressekonferenz ihr “Positionspapier zur praktischen Umsetzung der apparativen Differenzialtherapie der akuten respiratorischen Insuffizienz bei COVID-19” vorgestellt. Einige Punkte sind auch für Hausärzte wissenswert.
Verlauf in drei Phasen
COVID-19 verläuft in 3 Phasen: frühe Infektion, pulmonale Manifestation sowie schwere hyperinflammatorische Phase.
Bei einem leichten Verlauf endet die Erkrankung nach Phase I vor der pulmonalen Manifestation. Bei schwerem Verlauf hingegen verschlechtert sich in Phase II der Gasaustausch in der Lunge, die Patienten sind aber noch weitgehend stabil und spüren nur bei stärkerer Belastung Atemnot.
Die Erkrankung kann sich hier stabilisieren oder in die Phase III übergehen, die von einer überschießenden Entzündung mit einem “Zytokinsturm” gekennzeichnet ist. Unter anderem steigen einige Interleukine, TNF-alpha, Interferon-gamma, ferner CPR, Procalcitonin und Ferritin.
Ein starker Anstieg von Interleukin-6, Ferritin und CRP scheint mit einer höheren Sterblichkeit verbunden zu sein. Auch hohe Werte von D-Dimeren und Troponin weisen auf eine ungünstige Prognose hin.
Kritische Phase etwa 8. bis 12. Tag
Laut Prof. Torsten Bauer, stellvertretender Präsident der DGP und Mitautor des Positionspapieres, liegt die kritische Phase etwa zwischen dem achtem und 12. Tag. Entweder sinke das Fieber und dem Patienten gehe es besser oder die Infektion nehme einen kritischen Verlauf.
Im Einzelfall könne die kritische Phase aber auch früher oder später beginnen, erläuterte Bauer weiter. Wichtig sei daher gerade auch im ambulanten Bereich eine engmaschige Überwachung der Patienten, denn die Verschlechterung könne manchmal innerhalb von Stunden weit fortschreiten.
Die Frage, ob es nicht besser sei, die Patienten möglichst früh stationär einzuweisen, verneinte Bauer, denn dies könne zur Überlastung der Kliniken beitragen. Bestehe aber Dyspnoe und zeige das Röntgenbild oder im Einzelfall das CT die für COVID-19 typischen Milchglasherde, gehöre der Patient in die Klinik.
Bauer schätzt, dass etwa 20 Prozent aller COVID-Patienten stationär behandelt werden müssten, 5 Prozent auf einer Intensivstation.
Verlauf und Prognose der akuten respiratorischen Insuffizienz
Aus klinischer Sicht wird der Beginn von COVID-19 mit dem Auftreten von Fieber und/oder grippeähnlichen Symptomen festgelegt. Da in Phase I Nasenabstriche in 28 Prozent, Rachenabstriche in 68 Prozent falsch-negativ sein können, sollten laut Robert Koch-Institut bei weiter bestehendem Verdacht auch Proben aus den tiefen Atemwegen entnommen werden.
Phase II wird anhand des “Horovitz-Quotienten” aus arteriellem Sauerstoffpartialdruck (pAO₂) zu Sauerstoffgehalt der Einatemluft (FiO₂) in leichte oder schwere Hypoxie eingeteilt. Erreicht ein Patient bei Atmen von Raumluft (FiO₂ etwa 0,21) einen pAO₂ von 63 mmHg, beträgt der Quotient 63/0,21 = 300 mmHg. Werte von 300 mmHg und darüber gelten als leichte, Werte darunter als schwere Hypoxie.
Da keine kausale Therapie der Infektion verfügbar ist, kommt es in Phase II darauf an, Komorbiditäten zu behandeln und die Organfunktionen zu überwachen. Dazu gehören die Lymphozytenzahl (Werte < 800/mm³ gelten als prognostisch ungünstig) und das Troponin (myokardiale Schädigung als eigenständiger Risikofaktor für Letalität).
Phase III ist durch eine übermäßige Entzündungsreaktion aufgrund einer unzureichenden Immunreaktion gegen das Virus gekennzeichnet. Abhängig vom Quotienten pAO₂/FiO₂ werden drei Schweregrade unterschieden (jeweils mit PEEP oder CPAP ≥ 5 cm H₂O):
- leicht: 201 bis 300 mmHg,
- mäßig: 101 bis 200 mmHg,
- schwer: < 100 mmHg.
Respiratorische Insuffizienz: Was beeinflusst den Schweregrad?
Man vermutet, dass COVID-19 den Organismus zum einen durch direkte zytotoxische Effekte (Einschleusen des Virus, intrazelluläre Replikation, Untergang der Wirtszelle), zum anderen durch das Versagen der Entwicklung einer ausreichenden Immunität zum Beherrschen der Infektion schädigt
Welchen Schweregrad die respiratorische Insuffizienz bei COVID-19 erreicht, hängt von der Interaktion dreier Faktorenbereiche ab:
- Schweregrad der Infektion, Immunantwort, Funktionalität und Komorbiditäten,
- ventilatorische Reaktion des Patienten auf die Hypoxämie (Atemantrieb) und
- Zeit zwischen den ersten Symptomen und dem Beginn der klinischen Behandlung.
Zwei Pneumonie-Formen im CT
Im CT lassen sich zwei Formen der COVID-19-Pneumonie abgrenzen: Typ L und Typ H.
Typ L kann vom Patienten unter Sauerstoffunterstützung kompensiert werden, die Elastizität der Lunge ist im Gegensatz zum klassischen ARDS gut erhalten. Daher unterscheidet sich auch die apparative Differenzialtherapie bei L-Typ-Pheumonie durch SARS-CoV-2 von der bei ARDS.
Man vermutet, dass bei der L-Typ-Pneunomie eine Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörung besteht, die dadurch hervorgerufen wird, dass in den vorwiegend subpleural gelegenen Entzündungen und Flüssigkeitseinlagerungen (diese entsprechen dem Milchglasmuster im CT) die Gefäße trotz Hypoxie maximal dilatiert sind (Verlust des Euler-Lilijestrand-Reflexes).
Dies hat ein erhebliches Shuntvolumen mit sauerstoffarmem Blut zur Folge. Die Patienten atmen zwar vermehrt (hohe Atemfrequenz, mit daraus resultierender ausgeprägter Hypokapnie), empfinden aber wegen der erhaltenen Compliance der Lunge kaum Dyspnoe.
Man vermutet, dass die gesteigerte Atemarbeit mechanischen Stress für die Lunge bedeutet, der das Gewebe zusätzlich schädigt. Zufuhr von Sauerstoff kann die Ventilation zwar etwas entlasten, aber wegen des Shunts ist der Effekt vermutlich limitiert.
Eine Unterstützung mittels nicht-invasiver Beatmung (CPAP über Maske oder Helm) erscheint zwar sinnvoll, aber nur, wenn sie die Atemfrequenz unter 30/Minute senkt, denn fehlende Synchronie zwischen Patient und Beatmungsgerät oder zu hohe Druckamplituden könnten die Lunge zusätzlich schädigen. Es ist daher zu überlegen, ob Intubation mit invasiver Beatmung den mechanischen Stress besser verringern kann.
Typ H bekommen etwa 20 Prozent aller COVID-19-Patienten. Die Schwere der Schädigung spiegelt sich im CT durch flächenhafte Verdichtungen wie bei anderen Pneumonien wider. Die Compliance der Lunge ist niedrig und es besteht ein hoher Rechts-Links-Shunt. Ähnliche Bilder wurden auch bei SARS und MERS beobachtet.
Kardiale Komorbidität berücksichtigen
Praktisch ist wichtig zu prüfen, ob es sich tatsächlich um einen L-Typ handelt. Darüber hinaus muss die kardiovaskuläre Situation gründlich abgeklärt werden, denn eine akute kardiale Schädigung erhöht die Sterblichkeit mehr als hohes Alter, Diabetes, COPD oder kardiale Vorerkrankungen.
Nicht-invasiv oder invasiv beatmen?
Bei fünf bis sechs Prozent der COVID-19-Patienten entwickelt sich eine schwere Hypoxämie, die intensivbehandlungspflichtig ist, oft mit nicht-invasiver oder invasiver Beatmung.
Ursächlich für die hypoxämische respiratorische Insuffizienz ist entweder eine schwere Pneumonie oder ein sich in der Folge entwickelndes ARDS-ähnliches Bild. Die schwere Pneumonie ist definiert durch Fieber oder vermutete Atemwegsinfektion und entweder eine Atemfrequenz > 30/min, schwere Luftnot oder eine SpO2 unter 90 Prozent bei Raumluft.
Die Beatmung bei schwerer COVID-19-Pneumonie erfordert einen unterschiedlich hohen konstanten positiven endexspiratorischen Druck (PEEP), um ein Kollabieren der Alveolen zu verhindern. Bei schwerer respiratorischer Insuffizienz ist die nicht-invasive Beatmung (NIV) aufgrund von Maskenundichtigkeiten oder -unverträglichkeiten limitiert.
Bei einem pAO₂/FiO₂-Quotienten < 150 mmHg steigt bei ARDS die Letalität unter NIV, unter anderem, weil hohe inspiratorische Druckunterstützung das Atemzugvolumen gefährlich erhöhen und dadurch Lungenschäden verschlimmern kann. Unter diesen Umständen sollte die Intubation bevorzugt werden.
NIV erfordert immer ein engmaschiges Monitoring, um ein NIV-Versagen rechtzeitig zu erkennen und rasch auf invasive Beatmung zu wechseln. Eine Notfallintubation sollte immer vermieden werden, weil sie die Letalität der Patienten und die Viruslast für das Notfallteam erhöht.
Mit einer Intubation dürfe man nicht zu lange warten, so Prof. Michael Pfeifer, Präsident der DGP und Mitautor des Positionspapieres. Sie sei keine Ultima Ratio, denn eine zu späte Intervention erhöhe die Sterblichkeit. Für die Indikationsstellung spielten die Gasaustauschwerte zwar eine große Rolle, aber man müsse immer das klinische Gesamtbild berücksichtigen: “Alleine wegen schlechter Blutgase wird nicht intubiert.”
Die DGP tritt in ihrem Positionspapier Behauptungen entgegen, Patienten würde durch die Beatmung Schaden zugefügt. “Eine künstliche Beatmung löst nicht grundsätzlich bleibende Gesundheitsschäden an der Lunge aus”, so Bauer. Zwar gebe es Patienten, bei denen der Heilungsprozess nach einer solchen Beatmung länger dauert, einer vollständigen, möglicherweise durch Reha-Maßnahmen begleiteten Genesung stehe jedoch in der Regel nichts im Wege.
Allgemein sollte für COVID-19-Patienten rechtzeitig geklärt werden, ob sie gegebenenfalls mit einer Intubation einverstanden sind oder ob eine DNI-Anweisung (Do Not Intubate) vorliegt.
Wann besteht Intensivpflicht?
Die Major-Kriterien für die Aufnahme auf eine Intensivstation sind (eines genügt):
- Notwendigkeit der Intubation und maschinellen Beatmung,
- Notwendigkeit der Gabe von Vasopressoren (septischer Schock).
Daneben gibt es 9 Minor-Kriterien. Sind mehr als 2 erfüllt, besteht Intensivpflicht:
- schwere akute respiratorische Insuffizienz (PaO₂ ≤ 55 mmHg bzw. ≤ 7 kPa bei Raumluft),
- Atemfrequenz ≥ 30/Minute,
- multilobäre Infiltrate in der Röntgen-Thoraxaufnahme,
- neu aufgetretene Bewusstseinsstörung,
- systemische Hypotension mit Notwendigkeit der aggressiven Volumentherapie,
- akutes Nierenversagen (Harnstoff-N ≥ 20 mg/dl),
- Leukopenie (< 4.000 /mm³),
- Thrombozytopenie (< 100.000/mm³),
- Hypothermie (< 36 °C).
Das Positionspapier ist online verfügbar, ebenso ein Mitschnitt einer Pressekonferenz mit Prof. Michael Pfeifer und Prof. Torsten Bauer.