Berlin. Patienten sollen künftig besser durch die Notfallversorgung geschleust werden, um die oft überlasteten Notaufnahmen in Krankenhäusern zu entlasten. Dazu plant Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) explizit eine Reform „unter Berücksichtigung der Perspektive der Patientinnen und Patienten“. Dies geht aus einem Diskussionsentwurf seines Ministeriums hervor, der den Bundesländern am 16. Juli zugestellt wurde. Das Schreiben, das der Redaktion von „Der Hausarzt“ vorliegt, soll Mitte August von Bundesgesundheitsministerium und Ländern beraten werden.
Der Diskussionsentwurf basiert auf der Arbeit der im Rahmen der im Koalitionsvertrag beschlossenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe „sektorenübergreifende Versorgung“. Er konkretisiert erste Grundzüge, die Spahn bereits Mitte Dezember 2018 vorgestellt hatte. Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), wertet das Papier als “grundsätzlich gute Grundlage für den weiteren Dialog” – jedoch mahnten sowohl BÄK als auch Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) weiteren Gesprächsbedarf an.
Konkret sind in dem Papier vier Maßnahmen definiert:
Gemeinsame Notfallleitstellen (GNL)
GNL sollen die „zentrale Lotsenfunktion der integrierten medizinischen Notfallversorgung“ übernehmen – als jederzeit erreichbare telefonische Ansprechpartner. Dafür werden die bisher getrennten Rufnummern 112 und 116117 zusammengelegt. GNL disponieren dann sowohl rettungsdienstliche als auch bereitschaftsdienstliche Strukturen, gegebenenfalls auch durch telemedizinische Leistungen. “Vorgesehen ist eine umfassende Kooperationsverpflichtung der an der medizinischen Notfallversorgung Beteiligten, die sich ganz wesentlich auf eine digitale Vernetzung und eine zentrale Steuerung durch GNL bezieht”, heißt es. Dies beinhalte etwa die interaktive Nutzung einer digitalen Dokumentation zur Übertragung der zur Weiterversorgung erforderlichen Daten.
Integrierte Notfallzentren (INZ)
Für den Fall, dass Patienten in Krankenhäuser gehen, soll es bundesweit Integrierte Notfallzentren (INZ) geben, die von den Kliniken und den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) gemeinsam betrieben werden. Patienten sollten dort entweder sofort in die Notaufnahme geschickt oder ambulant weiterbehandelt werden. Die Notfallzentren sollten dem Gesetzentwurf zufolge „jederzeit zugänglich“ und „räumlich derart in ein Krankenhaus eingebunden“ sein, dass sie von den Patienten „als erste Anlaufstelle im Notfall wahrgenommen werden“.
“Die Länder übernehmen die zentrale Rolle zur Planung und Gestaltung der integrierten medizinischen Notfallversorgung in Deutschland und berücksichtigen dabei die bestehenden Strukturen des vertragsärztlichen Notdienstes, insbesondere sogenannte Portalpraxen”, betont das Papier zu dieser Maßnahme. Damit greift es eine Kritik auf, die sowohl Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als auch Bundesärztekammer (BÄK) in ersten Reaktionen am Montag (22. Juli) äußerten: Bestehende Strukturen müssten grundsätzlich mitgedacht und in die Reform integriert werden. “Gewachsene Strukturen” dürften nicht zerstört werden, mahnte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Auch BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt plädierte für “Spielraum zur Integration gewachsener Strukturen wie den bereits bundesweit etablierten 771 Notfall- und Portalpraxen und weiterer regionaler Besonderheiten”.
Rettungsdienst als GKV-Leistungsbereich
Die medizinische Notfallversorgung der Rettungsdienste der Länder soll als “eigenständige Leistung der medizinischen Notfallrettung” anerkannt und unabhängig von der Inanspruchnahme anderer Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewährt werden. Damit werde der zentralen Bedeutung der rettungsdienstlichen Notfallversorgung Rechnung getragen: Die Versorgung am Unfallort und auf dem Weg in die Klinik sei entscheidend für den späteren Behandlungserfolg.
Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Darüber hinaus plant Spahn eine weitere bedeutende Neuordnung. Denn: Eben diese Weiterentwicklung des Rettungsdienstes als eigenständiger GKV-Leistungsbereich und die damit verbundene Koordination von Rettungsdienst und anderen Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung erfordere bundesweite Rahmenvorgaben sowie eine Aufteilung der Finanzierungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Dabei soll jedoch grundsätzlich an der nach geltender Rechtslage gemäß Artikeln 30 und 70 des Grundgesetzes (GG) bestehenden Regelungsverantwortung der Länder für die Organisation und Durchführung des Rettungsdienstes festgehalten werden.
Es handele sich um eine „Reform, die an der Wurzel ansetzt“, begründete Spahn den Funke-Medien gegenüber diese weitreichende Änderung.