Dass Hausarzt Dr. Ulrich Fincke nochmal in einer Region praktizieren würde, deren ärztliche Versorgung als angespannt gilt, dafür sprach bis vor Kurzem nicht viel. 1985 verließ der 65-Jährige die DDR und ließ sich in einer Gegend nieder, die als Paradebeispiel für Überversorgung gilt: der Starnberger See. Gerade war Fincke in Pension gegangen, nun arbeitet er seit wenigen Monaten wieder. Und zwar in Worbis im Eichsfeld. Dort hat er die Praxis von Dr. Wolfgang Hoffmann quasi als Freundschaftsdienst übernommen, als dieser plötzlich starb – die Familie von Hoffmanns Schwiegertochter ist eng mit Fincke befreundet.
So ungewöhnlich bereits die Konstellation ist, unter der die Praxis gerade weitergeführt wird, so ungewöhnlich ist auch Finckes Suche nach einem Praxisnachfolger: Zusammen mit Hoffmanns Sohn will er die Praxis über die Online-Börse eBay-Kleinanzeigen verschenken. Sie hoffen, so die Versorgung für etwa 1.500 Patienten in Leinefelde-Worbis aufrecht zu erhalten und die Jobs der drei Arzthelferinnen zu retten.
Nachfolge war eigentlich klar
Noch kurioser: Die Nachfolge war eigentlich geregelt. Wolfgang Hoffmann betrieb seine Praxis seit 1984. Zwei Jahre, so die Verabredung, wollte er noch weitermachen und dann an eine junge Ärztin übergeben, die derzeit ihre Weiterbildung absolviert. Dieser Plan geht nicht mehr auf, als Hoffmann mit 70 Jahren im Oktober 2018 unerwartet stirbt. Im November zeigte sich ein regionales MVZ offen dafür, den Sitz zu kaufen. Allerdings fehlte es dann offenbar an Personal. Die MVZ-Betreiber sprangen Mitte Februar ab.
Dank Ulrich Fincke, der als Notbeauftragter einen temporären Versorgungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KV) hat, ist die Praxis jetzt überhaupt noch offen. Er betont, dass diese für einen potenziellen Nachfolger mit ihrer überdurchschnittlichen Patientenzahl auf jeden Fall attraktiv sei. Wäre die Praxis in einer anderen Region wie am Starnberger See, könnte sie sich vor Bewerbern wohl kaum retten. Sie liegt zentral an einer Bundesstraße, hat zwei Bushaltestellen vor der Tür und zehn Parkplätze. Im gleichen Haus arbeiten zwei Zahnärzte, nebenan zwei Internisten mit kardiologischem und gastroenterologischem Schwerpunkt und eine Apotheke.
Praxen nehmen keine Patienten
“Das wertvollste allerdings”, betont Daniel Hoffmann, der Sohn des Verstorbenen, “sind die Arzthelferinnen”. Sie sind einer der Hauptgründe, warum er und Fincke gerade fieberhaft einen Nachfolger suchen – andernfalls würden die drei Angestellten ihre Jobs verlieren. Zwei von ihnen sind seit 16 Jahren dabei, eine andere gerade in Elternzeit. “Sie kennen 95 Prozent der Patienten mit Namen”, sagt Hoffmann. Und auch für die rund 1.500 Patienten wäre eine Schließung ein harter Schnitt, nicht nur wegen der persönlichen Bindungen, die über die Jahre gewachsen sind. “Wir haben von einigen gehört, dass sie in anderen Praxen abgewiesen wurden, weil dort niemand mehr aufgenommen werden könne”, so Fincke.
Auf die Idee, die Praxis bei eBay zu inserieren, sei er durch eine ähnliche Aktion im Sauerland gekommen. In der Anzeige stehen als Verkaufspreis sechs Euro, aber nur weil eBay keine Verkaufssumme von null akzeptiert. Zu sehen sind bestens hergerichtete Warte- und Behandlungsräume. Man habe bereits eine Reaktion bekommen, sagt er, allerdings von einer Ärztin, deren Facharztabschluss leider noch ausstehe.
Bei der KV Thüringen hat man Kontakt mit Hoffmann und Fincke, sagt Sprecher Veit Malolepsy. Die KV setzt auf Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, um möglichst schnell eine Nachfolge zu regeln. Malolepsy verweist auf das Seminar- und Mentoringprogramm der KV – also die Thüringer Variante der Kompetenzzentren für Allgemeinmedizin. Aus dem Programm gehe jedes Jahr eine Gruppe von 20 bis 30 jungen Allgemeinmedizinern hervor, zudem gebe es Förderprogramme für sich öffnende Hausarztsitze, so Malolepsy. Im Eichsfeld habe man auf diesem Wege in den letzten Jahren zwei Hausarztsitze übergeben können. Insgesamt verbessere sich die Lage in Thüringen. So seien vor fünf Jahren noch 80 der 1.500 Hausarztsitze offen gewesen, inzwischen nur noch 37,5. Aber trotz aller Mut machenden Statistik, sagt Malolepsy, “ist die Lage für die Patienten und die Praxisangestellten in Worbis jetzt natürlich sehr angespannt”.
Im Planungsbereich Leinefelde-Worbis gibt es nach Angaben der KV derzeit einen halben offenen Hausarztsitz, fiele die Hoffmann-Praxis weg, stiege die Zahl auf 1,5. Dass Ulrich Fincke noch länger die Lücke auffüllen könnte, diese Hoffnung gibt es nicht. “Ich arbeite immer noch sehr gerne als Arzt”, sagt er. Aber doch nicht so gerne, um aus der Pensionierung noch einmal dauerhaft in den Beruf zurückzukehren. Dafür habe er zu “viele private Verpflichtungen”. Spätestens im Mai wolle er zurück an den Starnberger See.