Berlin. Gespräche über aus Sicht von Patienten mangelhafte Hilfsmittel gehören für viele Hausärzte zum Alltag – besonders die Versorgung mit Inkontinenzhilfen oder Rollatoren sorgt immer wieder für Gesprächsstoff, weil diese als minderwertig empfunden werden oder nur mit Zuzahlung in qualitativ ausreichender Form zu bekommen sind. Das könnte sich bald ändern, hofft der GKV-Spitzenverband, der am Dienstag (26.2.) in Berlin das neue Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnis vorgestellt hat.
Demnach sollen Sanitätshäuser und andere Anbieter von Hilfsmitteln Patienten in Zukunft besser über verkaufte Artikel informieren, zudem öfter zuzahlungsfreie Produkte anbieten. Der GKV-SV setzt damit eine Vorgabe des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) um, das bereits 2017 in Kraft trat und – unter anderem – die Hilfsmittelversorgung verbessern sollte. Der Spitzenverband wurde im Gesetz beauftragt, in diesem Sinne das Verzeichnis „grundlegend zu aktualisieren“. Die neue Version enthält nun 32.500 Produkte in 41 Produktgruppen.
Spezielle Anforderungen werden besser berücksichtigt
Acht Milliarden Euro gaben die gesetzlichen Kassen laut Spitzenverband 2017 für Hilfsmittel aus, im Vergleich zu 2013 sei dies ein Plus von mehr als 40 Prozent gewesen. Diese Ausgabensteigerung sei bei einer im Schnitt immer älter werdenden Bevölkerung und einem Hilfsmittelmarkt mit vielen innovativen Produkten „vernünftig und nachvollziehbar“, betonte der GKV-Vorstand Gernot Kiefer, „und kein Grund zu jammern“. Es sei aber wichtig, möglichst vielen Patienten auch ohne Zuzahlung qualitativ hochwertige Hilfsmittel anzubieten, die ihrem individuellen Bedarf entsprächen. Das Hilfsmittelverzeichnis diene der Transparenz, sei aber nicht exklusiv – weiterhin könnten also auch andere Hilfsmittel verordnet werden, dann mit individueller Prüfung des Bedarfs.
Die neue Fassung soll aber von vornherein auf einzelne Patienten besser eingehen. Dr. Walter Seliger, der beim Spitzenverband für den Bereich Hilfsmittel verantwortlich ist und das Verzeichnis für diesen verhandelte, nannte als prominentestes Beispiel Rollstühle. Die Unterkategorien dieser Produktgruppe seien weiter ausdifferenziert worden, so dass jetzt auf Körpergewicht und Alter der Patienten angepasste Stühle gelistet würden, und etwa auch solche mit neigbarer Sitzfläche. Rollatoren, eine andere Produktgruppe, würden als Hilfsmittel künftig nur noch aufgenommen, wenn sie nicht schwerer als zehn Kilogramm seien. Generell sollen bei allen Hilfsmitteln spezielle Anforderungen durch Geschlecht, Alter, Behinderung oder chronische Erkrankungen berücksichtigt werden.
Über Hilfsmittel ohne Zuzahlung muss informiert werden
Ein Dorn im Auge ist dem GKV-Spitzenverband offenbar die Rolle vieler Sanitätshäuser. Diese hätten es in den letzten Jahren sehr gut verstanden, Produkte an die Kunden zu bringen, für die der GKV-Festbetrag nicht ausreiche, sagte Walter Seliger. Vor allem bei Rollatoren sei die Zuzahlung inzwischen eher die Regel. Um das Sachleistungsprinz zu stärken, also die zuzahlungsfreie Hilfsmittelversorgung, werden die Anbieter mit „Dienstleistungsanforderungen“ ab sofort verpflichtet zu dokumentieren, dass sie im Beratungsgespräch ein Produkt ohne Selbstbeteiligung zumindest angeboten haben.
Die Zuzahlung dürfe nicht die Regel sein, wenn es nicht um Sonderwünsche, sondern begründete Ansprüche gehe, sagte Gernot Kiefer. Es müsse eine „Ende damit haben“, dass etwa funktionierende Inkontinenzhilfen für viele Patienten anscheinend nur noch mit Aufpreis zu bekommen seien. Das gleiche gelte für Rollatoren.
Wie gut funktioniert die Kontrolle?
Allerdings ist noch offen, wie gut die Dienstleistungsanforderungen in den Sanitätshäusern kontrolliert werden können, schließlich verbleiben die Beratungsprotokolle in aller Regel bei den Händlern. Man werde Ende dieses Jahres wohl einen ersten Eindruck bekommen, prognostizierte Walter Seliger. Dann nämlich, wenn man sehe, wie viele Rollatoren an GKV-Versicherte ohne Zuzahlung abgegeben wurden und wie hoch die durchschnittliche Zuzahlung war.
Das neue Hilfsmittelverzeichnis sei jedenfalls eng an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet, meinte Gernot Kiefer. So habe man Patientenvertreter bei der Ausarbeitung sehr eng eingebunden, „weit intensiver, als das in anderen Bereichen sonst üblich ist“. Auch bei der regelmäßigen Fortschreibung des Verzeichnisses würden diese mitarbeiten, genauso gebe man den Herstellern Gelegenheiten zu Stellungnahmen. Aktualisiert würde jede Produktgruppe des Verzeichnisses nun mindestens alle fünf Jahre. Anlassbezogen kann es aber auch kürzere Intervalle geben.