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Die Zukunft der Psychiatrie Prävention ist vorrangig

Beim DGPPN-Kongress (28.11.-1.12.2018 in Berlin) ging es um ein Ausloten zukünftiger Aufgaben. Auch diesmal wurde ein umfassender Überblick über die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Psychiatrie geboten.

Psychische Erkrankungen sind inzwischen als Volkskrankheiten anerkannt. Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen gehören heute zu den häufigsten Gründen für Krankschreibungen und Berentungen. Jeder Vierte ist mindestens einmal im Jahr betroffen. Daraus resultiert eine enorme volkswirtschaftliche Belastung. Angesichts dieser Zahlen kommt der Prävention eine zentrale Bedeutung zu. Doch was kann getan werden, damit psychische Erkrankungen erst gar nicht entstehen?

Die meisten psychischen Erkrankungen manifestieren sich bereits in den ersten Lebensjahrzehnten und können früh Einfluss auf das weitere Leben nehmen. Nicht selten zeigt sich eine Chronifizierung. Die Betroffenen leiden nicht nur emotional und körperlich, sondern auch an den sozialen Folgen und der Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität.

Um die Zahl der Neuerkrankungen zu reduzieren ist ein Umdenken weg von allein kurativen hin zu modernen präventiven Konzepten erforderlich. Hier setzen neue innovative Modelle der Diagnostik an mit dem Ziel, psychischen Erkrankungen effektiv entgegenzuwirken. Ein Beispiel dafür ist die Demenz. Hier bedarf es einer besseren Aufklärung und auch mehr Wissen darüber, was den Menschen geistig fit hält. Dazu gehören Ernährung, Bewegung und soziale Aktivitäten. In Zukunft werden Biomarker als Schlüssel für die Früherkennung und für die Entwicklung neuer Medikamente Anwendung finden. Sinnvoll sind der Ausbau von Präventiv- und Früherkennungszentren. Es ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sozialen Rahmenbedingungen und Lebenswelten so zu gestalten, dass ein gesundheitsförderndes Verhalten möglich wird, wobei gemeindenahe Versorgungsstrukturen anzustreben sind. (Prof. Steffi G. Riedel-Heller, Leipzig).

Zwangsmaßnahmen

Das Thema “Zwangsmaßnahmen und Fixierung” ist ein auch gesellschaftlich und juristisch immer wieder diskutiertes Problem. Dabei geht es um die Vermeidung von Gewalt und Aggression. Die Leitdevise beim Umgang mit schwer psychisch kranken Patienten lautet: Verhandeln statt Behandeln. Einigkeit besteht dahingehend, dass Zwangsmaßnahmen nur dann in Betracht gezogen werden sollten, wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung in gefährlichen Situationen nicht auch durch andere geringere menschenrechtliche Eingriffe abgewendet werden kann; denn jeder Patient hat Anspruch auf größtmögliche Freiheit und Teilhabe. Diesem Anspruch gerecht zu werden, ist aber nicht nur eine Frage ethischen Handelns sondern auch geeigneter Rahmenbedingungen. Diese müssen so gestaltet sein, dass ein menschenwürdiger patientenorientierter Umgang in der Psychiatrie möglich ist. Unverzichtbare Voraussetzungen dafür sind eine vertrauensvolle zugewandte Atmosphäre mit angemessenen Räumlichkeiten, eine angemessene Personalausstattung und eine ausreichende Finanzierung. Wichtig ist auch, dass das zuständige Personal in Deeskalationstechniken umfassend geschult ist. Die richtige Maßnahme zu ergreifen, um eine drohende krankheitsbedingte Gefahr für sich und andere abzuwenden, ist eine besondere ethische Herausforderung in der psychiatrischen Versorgung. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dürfen Zwangsmaßnahmen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nur nach Richtervorbehalt zum Einsatz kommen. (Prof. Arno Deister, Itzehohe).

Suizidalität

Jedes Jahr nehmen sich mehr als 10.000 Menschen in Deutschland das Leben. Das entspricht der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Doch die Suizidrate hat sich in Deutschland in den letzten 50 Jahren fast halbiert. Weltweit ist der Suizid bei jungen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren aber die zweithäufigste Todesursache. Alarmierend ist weiterhin die hohe Zahl an Suizidversuchen, die in Deutschland bei ca. 100.000 liegt. Etwa 90 Prozent der Suizide stehen in einem Zusammenhang mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen wie Suchterkrankungen oder Schizophrenie. Daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen. Ziel muss es sein, den Prozess so früh wie möglich aufzuhalten.

Doch beim Thema Prävention ist nicht nur die Medizin gefragt, sondern auch die Gesellschaft. Das Wissen über psychische Erkrankungen und Suizid muss gefördert werden, damit jeder bei sich oder in seinem Umfeld das Suizidrisiko erkennt und auf Warnsignale achten kann, was voraussetzt, dass diese bekannt sind. Dann sollten Betroffene unverzüglich einer psychiatrischen Behandlung zugeführt werden. Auch wenn in den letzten Jahren das Wissen um bestimmte Risikofaktoren deutlich zugenommen hat, so sind immer noch relevante Fragen unbeantwortet. (Prof. Arno Deister, Itzehohe).

Digitalisierung

Mittels faszinierender Bildgebung sprich funktionellem MRT und Big Data kommt man den neurologischen Mechanismen im Gehirn immer näher. Big Data, Deep Learning, Biomarker und künstliche Intelligenz bieten große Chancen, um die Entschlüsselung psychischer Erkrankungen zu verbessern. Was bis vor Kurzem noch wie Science-Fiction klang, ist längst Realität geworden. Selbsttrainierende Algorithmen und neurochemische Untersuchungen erlauben, Verhaltensweisen zu verstehen, die für psychische Störungen charakteristisch sind. Dank künstlicher Intelligenz in Verbindung mit großen Datensätzen sind heute Leistungen möglich, die früher allein dem menschlichen Gehirn vorbehalten waren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir Gehirnfunktionen naturnah simulieren können. Auf der Basis all dieser Daten wird versucht, psychische Erkrankungen zu objektivieren und vorhersehbar zu machen. Doch die Frage ist: Inwieweit ist menschliches Verhalten wirklich objektivierbar? Und wird es wirklich gelingen, psychische Erkrankungen rechtzeitig aufzuhalten?

Doch diese Entwicklungen sind für die Forschung Chance und Risiko zugleich. Bei aller Begeisterung für diese Entwicklungen müssen auch die Konsequenzen für den Datenschutz und die Privatsphäre bedacht werden. Auch ethische Grundsatzfragen müssen geklärt werden: Ist alles, was möglich ist, auch erlaubt?

Online-Therapien und E-Mental-Health sind bereits in der psychiatrischen Versorgungspraxis angekommen. Diese Verfahren sind für Menschen, die bislang keinen Kontakt zum Versorgungssystem haben oder wollen, eine erste Hilfe und wichtige Unterstützung. Sie ersetzen aber keineswegs die ärztliche Behandlung. (Dr. Iris Hauth, Berlin)

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