Berlin. Der Deutsche Ethikrat hält umstrittene Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie, in Altenpflege- und Behinderteneinrichtungen sowie bei der Kinder- und Jugendhilfe als letztes Mittel für angemessen. Das geht aus der Stellungnahme “Hilfe durch Zwang? Professionelle Sorgebeziehungen im Spannungsfeld von Wohl und Selbstbestimmung” hervor, die der Ethikrat am Donnerstag (1. November) in Berlin veröffentlicht hat.
Grundsätzlich sei Zwang jedoch zu vermeiden, heißt es in der Erklärung. Wenn er dennoch erforderlich sei, dann allein im Sinn von Wohltätigkeit und Fürsorge. Voraussetzung sei, dass bei einem Menschen die Fähigkeit zur Selbstbestimmung so stark eingeschränkt sei, dass er keine freiverantwortliche Entscheidung treffen könne.
Unter Zwangsmaßnahmen versteht der Ethikrat unter anderem eine Unterbringung in Kliniken oder anderen Einrichtungen gegen den Willen von Betroffenen. Gemeint sei auch das Anbringen von Bettgittern oder Fixierungsgurten, um medizinische oder pflegerische Maßnahmen leisten zu können.
In der Kinder- und Jugendhilfe geht es um “intensivpädagogische Maßnahmen”. Damit können zum Beispiel längere Aufenthalte in einem anderen Umfeld gemeint sein. Grundsätzlich geht es bei der Stellungnahme um Fälle, in denen Menschen zur Gefahr für sich selbst werden können – nicht zur Gefahr für andere.
Ein generelles Verbot von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen könnte nach Ansicht des Ethikrats zum Beispiel zur Vernachlässigung und Verelendung von Menschen mit psychischen Störungen führen.
Zwang sei ethisch hochumstritten, aber in extremen Fällen unvermeidbar. Allerdings dürfe er nur im Sinne eines wohltätigen Zwecks ausgeübt werden und nicht mit Demütigung, Traumatisierung oder Vertrauensverlust einhergehen. Das dafür verantwortliche Personal müsse speziell geschult sein.
Zuvor müsse jedoch alles versucht werden, Zwang zu vermeiden und die freiwillige Zustimmung von Betroffenen zu erreichen. Wenn Zwang als letztes Mittel angewandt werde, solle das möglichst kurz, möglichst selten und möglichst schonend sein. Beschwerdeverfahren für die Betroffenen müssten möglich bleiben.
Der Ethikrat hat sich für seine Stellungnahme innerhalb von zwei Jahren 19 mal getroffen und 24 Sachverständige befragt. Darüber hinaus hat er 136 Privatpersonen zugehört – darunter auch Menschen, die Zwangsmaßnahmen erfahren haben.
Quelle: dpa