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Hausarzt MedizinLeitliniengerechte Pharmakotherapie der Depression

Antidepressiva haben eine hohe Non-Responderrate. Durch den klugen Einsatz von Antidepressiva kann jedoch den meisten Patienten geholfen werden.

Die Depression stellt eine der häufigsten psychischen Krankheiten weltweit dar. In Deutschland erkranken ca. 6,2 Mio. Menschen im Laufe eines Jahres an einer unipolaren Depression [1]. Daher ist ihre Behandlung in der hausärztlichen Praxis richtig aufgehoben. Etwa 59 Prozent aller Depressionsdiagnosen in Deutschland werden ausschließlich von einem Hausarzt gestellt [2]. Ebenso erfolgt ein großer Teil der ambulanten Behandlungen auf hausärztlicher Ebene [3].

Ist die Diagnose einer Depression unter Ausschluss möglicher organischer und substanzassoziierter Ursachen sichergestellt, gilt es, eine Therapieentscheidung zu treffen. Wichtig hierfür ist die Einbeziehung des Patienten im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung, zu der psychoedukative Aufklärung und eine stabile Therapeut-Patient-Beziehung erforderlich sind. Im Folgenden soll ein Überblick über die Pharmakotherapie der Depression in Anlehnung an die S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression [4] gegeben werden.

Im Falle einer leichten depressiven Episode kann in Hinblick auf die relevante Spontanremissionsrate zunächst im Sinne einer aktiv abwartenden Begleitung ("watchful waiting") vorgegangen werden. Hierfür sind engmaschige Reevaluationen der Symptomatik wichtig [4]. Persistieren die Symptome über einen Zeitraum von zwei Wochen hinweg, besteht eine Behandlungsnotwendigkeit durch niederschwellige hausärztliche soziotherapeutische Interventionen (siehe Tab. 1) oder spezifische Psychotherapie.

Bei leichten depressiven Episoden rät die S3-Leitlinie von einem generellen Einsatz von Antidepressiva ab, da hier keine relevante Überlegenheit über Placebo besteht. Während mittelgradige depressive Episoden mit monotherapeutischen Behandlungsansätzen durch entweder Psycho- oder Pharmakotherapie behandelt werden können, liegt bei einer schweren Depression die Indikation für eine Kombination aus beidem vor. Damit spricht die Leitlinie nur für schwere depressive Episoden eine klare Empfehlung für Antidepressiva aus. Die Schweregradeinteilung richtet sich gemäß ICD-10 nach der Anzahl der Haupt- und der Zusatzsymptome.

Erster Behandlungsschritt

Die Entscheidung für eine Psychopharmakotherapie erfordert die Auswahl eines Wirkstoffes. In Deutschland besteht eine Zulassung für etwa 30 unterschiedliche Antidepressiva, zwischen denen sich auf bisheriger Studienlage hinsichtlich der Non-Response-Rate und der Wirklatenz keine klinisch bedeutsamen Unterschiede erkennen lassen [5]. Die Auswahl einer antidepressiven Substanz sollte unter Berücksichtigung des Nebenwirkungsprofiles (Tab. 2), möglicher Komorbiditäten und Arzneimittelinteraktionen sowie etwaiger Vorerfahrungen des Patienten getroffen werden [5].

Antidepressiva lassen sich nach ihren Wirkmechanismen und molekularen Strukturen in Klassen zusammenfassen (Tab. 2). Letztlich ähneln sie sich aber bezüglich ihrer pharmakologischen Eigenschaften, da sie nahezu alle eine Erhöhung der Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt bewirken [6]. Hinsichtlich der möglichen Nebenwirkungen unterscheiden sich die Substanzklassen (Tab. 2).

Das ausgewählte Antidepressivum sollte während des ersten Behandlungsschrittes in Standarddosis verabreicht werden. Dies entspricht der Dosis, für die eine Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Empfiehlt sich für manche Antidepressiva der Beginn mit einer niedrigeren Startdosis und das folgende schrittweise Aufdosieren, so kann die Startdosis bei anderen Substanzen, insbesondere bei den SSRI, der Standarddosis entsprechen. Eine geeignete Übersicht wird durch die S3-Leitlinie Unipolare Depression zur Verfügung gestellt [4].

Entsprechend der Wirklatenz müssen nach Erreichen der Standarddosis drei bis vier Wochen (bei älteren Menschen sechs Wochen) abgewartet werden, bevor eine Response auf das Medikament beurteilt werden kann (siehe Abb. 1). Während dieser Zeit sind wöchentliche Kontakte mit dem Patienten zur Sicherstellung der Medikamentenadhärenz und zum Erkennen von Nebenwirkungen und einer Verschlechterung der Symptomatik ratsam [5].

Es empfiehlt sich, bereits zu Beginn der Behandlung einen Entscheidungstag mit dem Patienten festzulegen, an dem das Ansprechen auf die Therapie evaluiert wird. Ausschlaggebend hierfür ist die Reduktion der Symptomatik. Um diese zu beurteilen, bedarf es einer verlässlichen Dokumentation des klinischen Bildes vor Beginn der Medikation, welche durch das Notieren des psychopathologischen Befundes oder geeignete Selbst- und Fremdbeurteilungsmethoden (Beck-Depressions-Inventar, Hamilton-Depressionsskala) ermöglicht wird [7].

Im Falle einer Response ist eine Fortführung der Psychopharmakotherapie mit dem Ziel der vollständigen Remission indiziert, welche den erfolgreichen Abschluss der Akuttherapie markiert. Zur Vermeidung eines Frührezidivs sollte das Antidepressivum nach Eintritt der Remission in unveränderter Dosierung über vier bis neun Monate im Sinne einer Erhaltungstherapie weiterverordnet werden [4, 8]. Bei rezidivierenden Verläufen empfiehlt sich darüber hinaus eine langfristige Rezidivprophylaxe über mindestens zwei Jahre [4].

Zweiter Behandlungsschritt

Beendigung der Medikation

Angesichts der pharmakologischen Ähnlichkeit aller Antidepressiva kann ein Nichtansprechen auf ein Antidepressivum auch als Hinweis auf eine generell geringe Chance, auf Antidepressiva zu respondieren, interpretiert werden. Ein Stopp der Pharmakotherapie stellt daher ein rationales, wenngleich (zu) selten durchgeführtes Vorgehen dar. Dies gilt in noch stärkerem Maße, wenn bereits mehrere Antidepressiva erfolglos eingesetzt wurden. Die Weiterbehandlung kann dann mit Psychotherapie oder mit in einer Hausarztpraxis gut umsetzbaren psychosozialen Strategien erfolgen (Tab. 1).

TDM (Therapeutisches Drug Monitoring)

Sollte durch den ersten Behandlungsschritt keine ausreichende Symptomreduktion erreicht werden, stellt die Serumspiegelbestimmung des Medikamentes einen wichtigen Schritt zur Therapieoptimierung dar. Anhand dieser kann die Notwendigkeit einer Dosisadaptation bestimmt werden, welche sowohl im Falle eines sub- als auch eines supratherapeutischen Serumspiegels erfolgen sollte. Empfehlungen zu therapeutischen Serumspiegelbereichen stellt die Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) zur Verfügung [9] (www.t1p.de/w665).

Für einige Antidepressiva ist eine Serumspiegelkontrolle nicht oder lediglich mit Einschränkung empfohlen (nicht für Tranylcypromin und Agomelatin, eingeschränkt für Paroxetin, Mianserin, Moclobemid und Bupropion). Die Blutentnahme muss mit mindestens 12-stündigem Abstand zur letzten Einnahme des Antidepressivums erfolgen.

Dosiserhöhung

Für viele antidepressive Substanzen (z. B. TZA, Venlafaxin, Tranylcypromin) lässt sich eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung nachweisen, sodass eine Hochdosistherapie bei Verträglichkeit der Substanz eine sinnvolle Optimierungsstrategie darstellt [10]. Ausgenommen hiervon sind SSRI, für die eine Dosiserhöhung keine sinnvolle Strategie ist [11].

Wechsel des Antidepressivums

Obwohl diese Methode in der Praxis vermutlich am häufigsten angewendet wird, fehlt die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit dieser Strategie [12]. Die Studien-lage zeigt, dass die Wirksamkeit eines Wechsels nicht über die bloße Fortführung des bislang unwirksamen Antidepressivums hinausgeht. Der Wechsel des Antidepressivums wird somit von der S3-Leitlinie nicht als Handlungsoption erster Wahl nach ausbleibender Response empfohlen [4]. Insbesondere sollte ein Ausprobieren durch mehrfachen Substanzwechsel und wiederholtes Aufeinanderfolgen unterschiedlicher Antidepressiva vermieden werden.

Kombination

Die Hinzugabe eines zweiten Antidepressivums kann bei Nicht-Ansprechen auf eine Monotherapie in Erwägung gezogen werden. Als wirksam erweist sich in diesem Zusammenhang allein die Kombination von Wiederaufnahmehemmern (SSRI, SNRI oder TZA) einerseits mit präsynaptischen α2-Inhibitoren (Mirtazapin, Mianserin) andererseits [13].

Augmentation

Eine weitere Möglichkeit bei Non-Response auf eine antidepressive Monotherapie ist die additive Gabe einer eigenständig nicht antidepressiv wirksamen Substanz. Hierfür stehen unterschiedliche Psychopharmaka zur Verfügung, von denen insbesondere das intrazellulär wirksame Lithium hervorzuheben ist [14]. Die Effektivität dieses Augmentationsverfahrens ist wissenschaftlich gut belegt und stellt eine wichtige Möglichkeit der Behandlung therapieresistenter Depressionen dar [15, 16]. Der eigenständige antisuizidale Effekt ist ein zusätzlicher Vorteil der Lithiumaugmentation [17] – eine Eigenschaft, die Antidepressiva nicht haben [18]. Die Lithiumtherapie sollte durch einen hierin erfahrenen Arzt erfolgen.

Auch kann eine Hinzugabe von atypischen Antipsychotika erwogen werden [19, 20]. Hierfür zugelassen ist einzig Quetiapin. Ebenfalls liegen positive Belege für eine Hinzugabe von Risperidon, Aripiprazol und Olanzapin bezüglich der Wirksamkeit vor.

Therapiealgorithmen

Angesichts der Komplexität einer antidepressiven Behandlung und der Vielzahl an pharmakologischen Handlungsalternativen ist ein systematisiertes Vorgehen ratsam. Von zentraler Bedeutung ist die Festlegung von zeitlichen Intervallen, nach denen die Veränderung der Symptomatik mithilfe einer geeigneten Dokumentationsweise beurteilt wird, um die Notwendigkeit eines weiteren Behandlungsschrittes zu erkennen. Unerlässlich innerhalb der einzelnen Behandlungsschritte ist die jeweilige Einhaltung der empfohlenen Dosierung und Wirklatenzen der Antidepressiva. Randomisierte Vergleichsstudien haben wiederholt gezeigt, dass ein deratiges Vorgehen einer freien, weniger strukturierten Strategie überlegen ist [21, 22].

Hausärztliche Versorgung

Häufig stellt der Hausarzt die erste ärztliche Anlaufstelle für Betroffene dar. Ihm kommt eine zentrale Aufgabe in der Behandlung und eine koordinierende Rolle und Beratungsfunktion bezüglich der Notwendigkeit fachärztlicher Konsultation und weiterer Maßnahmen zu.

Eine Überweisung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sollte erfolgen, wenn

  • Unsicherheiten bezüglich der Diagnose bestehen.

  • nach sechs Wochen ambulanter Behandlung lege artis keine ausreichende Besserung der Symptomatik eingetreten ist (nach erfolgloser erster oder zweiter Behandlungsphase).

  • eine schwere Ausprägung der Symptomatik vorliegt, insbesondere bei Suizidalität oder psychotischen Symptomen (z. B. depressiver Wahn).

  • es sich um therapieresistente, rezidivierende oder chronische Verläufe handelt oder Komorbiditäten mit anderen schweren psychischen Erkrankungen vorliegen.

  • die Depression im Rahmen einer bipolar affektiven Erkrankung (manisch-depressive Krankheit) auftritt.

Fazit

  • Leichte depressive Episoden sollten nicht generell mit einem Antidepressivum behandelt werden. Selbst bei mittelgradigen Episoden ist die Pharmakotherapie nur eine alternative Option.

  • Für die Pharmakotherapie der Depression ist ein systematisches Vorgehen mit regelmäßiger Einschätzung des klinischen Bildes nach vorab definierten Zeitintervallen (i.d.R. 3 – 4 Wochen) und mithilfe sorgsamer Dokumentation wichtig.

  • Spricht ein Patient auf ein Antidepressivum nicht an, ist die Beendigung der Pharmakotherapie eine rationale Strategie. In jedem Fall sollte das Aneinanderreihen verschiedener Antidepressiva vermieden werden.

  • Für den zweiten Behandlungsschritt im Falle einer Non-Response stehen unterschiedliche Optimierungsstrategien zur Verfügung: Serumspiegelbestimmung, Dosisanpassung, Kombination spezifischer Antidepressiva, Augmentation.

  • Während der Behandlungsphasen sind eine ausreichende Dosierung und Dauer (3-4 Wochen, bei älteren Patienten 6 Wochen) der antidepressiven Medikation zu beachten.

Interessenkonflikte: Beide Autoren haben keine finanziellen Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie.

Literatur

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  • 2 Melchior H, Schulz H, Härter M (2014) Faktencheck Gesundheit. Regionale Unterschiede in der Diag-nostik und Behandlung von Depressionen. http://depression.faktencheck-gesundheit.de/fachinformation/fachinformation-startseite (letzter Aufruf am 07.02.2018).

  • 3 Gerste B und Roick C (2014) Prävalenz und Inzidenz sowie Versorgung depressiver Erkrankungen in Deutschland – Eine Analyse auf Basis der in Routinedaten dokumentierten Depressionsdiagnosen. Schattauer: Versorgungs-Report 2013/2014. S. 21–54.

  • 4 DGPPN, BÄK, KBV, AWMF, AkdÄ, BPtK, BApK, DAGSHG, DEGAM, DGPM, DGPs, DGRW (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression (2015) S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage, Version 1, November 2015 (www.depression.versorgungsleitlinien.de).

  • 5 Bschor T, Adli M (2008) Therapie depressiver Erkrankungen. CME-zertifizierte Fortbildung. Dtsch Ärztebl 105:782-792.

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  • 9 Hiemke C, Baumann P, Bergemann N, Conca A, Dietmaier O, Egberts K, Fric M, Gerlach M, Greiner C, Gründer G, Haen E, Havemann-Reinecke U, Jaquenoud Sirot E, Kirchherr H, Laux G, Lutz UC, Messer T, Müller MJ, Pfuhlmann B, Rambeck B, Riederer P, Schoppek B, Stingl J, Uhr M, Ulrich S, Waschgler R, Zernig G (2011) AGNP consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in psychiatry: update 2011. Pharmacopsychiatry 44: 195–235.

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