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OrganspendeGesundheitsministerin für Widerspruchslösung

Eine Landesministerin fordert für die Organspende die Widerspruchslösung. Sie ist mit diesem Wunsch nicht alleine. Fast alle Länder mit hohen Spenderzahlen haben dieses System. Doch die Probleme hierzulande dürften woanders liegen.

Halle. Die Gesundheitsministerin von Sachsen-Anhalt, Petra Grimm-Benne (SPD), hat sich für die Einführung einer Widerspruchslösung bei Organentnahmen ausgesprochen. Die halte sie „für durchaus zweckdienlich“, sagte sie der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Ausgabe vom 12.02.). Ein solcher „Vorstoß“ sei aber nur sinnvoll, wenn sich eine Mehrheit finde, schränkte sie ein.

Hintergrund sind die seit Jahren sinkenden Zahlen postmortaler Organspender und der bei ihnen entnommenen Organe (siehe Grafik). Bei der Widerspruchslösung wird die Bereitschaft zur Spende vorausgesetzt, sofern nicht aktiv widersprochen wurde. In Deutschland gilt eine Zustimmungslösung, „Entscheidungslösung“ genannt.

Obwohl laut Umfragen eine Mehrheit der Bundesbürger die Organspende befürwortet, besitzt nur etwa ein Drittel einen Organspendeausweis. Mit 10,6 Organspendern pro eine Million Einwohner gehört die Bundesrepublik europaweit zu den Schlusslichtern. In den meisten Staaten, vor allem jenen mit hohen Spenderzahlen, gilt eine Widerspruchsregelung (siehe Grafik).

Forderung auch aus der Ärzteschaft

Mit der Forderung nach einer solchen ist die SPD-Politikerin Grimm-Benne nicht alleine. Ihr Parteigenosse und Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach erneuerte erst Mitte Januar seine Forderung: „Wir brauchen eine Widerspruchslösung“, sagte er in einem Interview. Der Organspendeausweis setze „zu hohe Hürden“. Lauterbach plädiert für ein Widerspruchsregister, ähnlich wie es etwa Österreich hat.

Zeitgleich forderte auch der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst, „die Systemänderung“. Denn: „Unser Organspende-System hat versagt.“ Ergo: „Die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung ist dringend nötig.“ Es sei Zeit für eine „offene, ehrliche und transparente Debatte“. Der Chirurg Windhorst ist bekannt als lautstarker Fürsprecher der Widerspruchslösung.

Ansonsten ist sie realiter nicht gut gelitten in der verfassten Ärzteschaft. Illustrieren lässt sich das anhand des 113. Ärztetags, 2010 in Dresden. Damals hatte der bayerische Delegierte Dr. Karl Breu kurz vor Toresschluss einstimmig seinen Antrag durchgebracht, dass man eine „neue gesetzliche Regelung im Sinne der Widerspruchslösung“ anstrebe (V – 59). Im Präsidium der Bundesärztekammer wird man sich die Augen gerieben haben. Jedenfalls wurde der Beschluss ein Jahr später in Kiel wieder kassiert. Auf Antrag des Vorstands wurde beschlossen, die sogenannte „Selbstbestimmungslösung“ anzustreben (I – 03).

Scheu vor einer Debatte?

Von offiziellen Standesvertretern wird die Widerspruchslösung gemieden wie das Weihwasser vom Teufel. Hinter vorgehaltener Hand sind viele dem System zugeneigt. Besonders ausgeprägt ist die Zustimmung in den transplantierenden Organfächern. Doch seit den 2012 fortfolgend bekannt gewordenen Allokationsskandalen ist offenbar die Scheu gewachsen, das Thema auf die Agenda zu setzen. Zu groß ist die Furcht vor der gesellschaftlichen Abneigung. Und dass durch eine neuerliche Debatte die Akzeptanz in der Bevölkerung noch weiter absinken könnte.

Dabei könnte ein Blick in andere Länder diese Sorgen vermutlich zerstreuen. Denn weder in Spanien, noch in Kroatien oder Österreich – alles Länder mit sehr hohen Spenderzahlen – gibt es Debatten über vermeintliche Kehrseiten der Widerspruchsregelung. Dort wird vielmehr darüber diskutiert, wie der nächste Transplantationsrekord erreicht werden kann.

Nicht nur, dass fast alle Länder mit hohen Spenderraten ein Widerspruchssystem einsetzen. Auch hat dort offenbar die Akzeptanz nicht gelitten. Beispiel Österreich: Dort kann sich jeder Bürger in einem Widerspruchsregister gegen die Organspende entscheiden. Rund 37.000 Menschen habe das bisher getan – gerade einmal vier Promille der Bevölkerung in der Alpenrepublik.

Spanier treiben’s auf die Spitze

Ohnehin scheint die Art der Zustimmung (explizit vs. präsumtiv) nur ein kleiner von zahlreichen Puzzlesteinen für ein erfolgreiches Transplantationswesen zu sein. Maßgeblich dürfte vielmehr sein, wie strukturiert und organisiert das System ist. Österreich und Spanien beispielsweise haben in den Kliniken hauptamtliche Transplantationsbeauftragte bzw. -koordinatoren. Sie sorgen dafür, dass potenzielle Postmortemspender überhaupt erkannt werden und dann die richtigen Abläufe stattfinden. Denn schon eine vergessene Hirntoddiagnostik kann eine Organspende unmöglich machen.

Auf die Spitze treiben dieses System die Spanier. Und der Erfolg scheint ihnen recht zu geben: Zuletzt vermeldete das Land fast 44 Organspender pro eine Million Einwohner – mehr als viermal so viele wie in Deutschland. Dahinter steckt der Nephrologe Dr. Rafael Matesanz. Er hat 1989 die staatliche Transplantationsbehörde ONT (Organización Nacional de Trasplantes) gegründet und ist seither ihr Chef.

Auch in spanischen Krankenhäusern sinkt seit Jahren die Zahl der Patienten mit einer primären letalen Hirnschädigung (das Stereotyp vom „verunfallten Motoradfahrer“). Arbeitsschutz hat die Zahl der Unfälle reduziert. Patienten überleben neurologische Traumata dank neuer Therapien. Wegen Patientenverfügungen sterben mehr Patienten außerhalb der Intensivstation – und dann an einem Herzkreislaufstillstand statt einer primären Hirnschädigung.

Auf all diese Entwicklungen haben die Spanier reagiert. In den Kliniken wird beispielsweise beim Beginn einer Palliativtherapie auch daran gedacht, dass der sterbende Patient letztlich ein Organspender sein kann. Bereits in diesem Prozess wird der Transplantationskoordinator mit einbezogen – auch für ein Gespräch mit den Angehörigen (Am J Transplant 2017; 17: 1447–1454).

Immer mehr Spender mit Herztod in Spanien

Letztlich geht es um die Frage, wie der Patient sterben möchte, und ob etwa trotz seines Wunsches, auf lebenserhaltende Maßnahmen zu verzichten, dennoch eine organerhaltende Intensivtherapie möglich ist.

Ähnlich gehen die Koordinatoren in Spanien auch auf anderen Stationen außerhalb der Intensivmedizin vor, die bislang im Fokus der Transplantationsbeauftragten steht. Laut ONT-Chef Matesanz sterben intramural immerhin fast zwei Drittel der Patienten auf Normalstationen.

Außerdem haben sich die Spanier entschieden, auch auf Organe mit erweiterten Spenderkriterien zurückzugreifen – von älteren Spendern oder Patienten mit Malignomen oder Infektionen. Mittlerweile stammen 30 Prozent der in Spanien explantieren Organe von Gestorbenen, die älter als 70 Jahre waren.

Und auch der kardiovaskuläre Tod ist in Spanien kein Ausschlusskriterium für die Organspende. Er macht dort mittlerweile rund 17 Prozent aller Todesfeststellungen der postmortalen Spender aus. Hierzulande sind ausschließliche „Non-heart-beating donors“ (NHBD) bekanntlich verboten.

An immerhin einer wichtigen Stellschraube ist die deutsche Politik seit der Novelle des Transplantationsgesetzes (TPG) von 2012 dran: den Transplantationsbeauftragten. In Bayern gibt es bereits verpflichtende Freistellungsregelungen. Auch Hamburg und andere Länder wollen nachziehen. Eine mögliche neue große Koalition aus Union und SPD will eine solche Regelung bundesweit schaffen „und diese finanzieren“. Außerdem will sie die Vergütung für Organentnahmen erhöhen.

 

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